Auch vier Wochen nach der offiziellen Bestätigung der Gespräche zwischen der Commerzbank und der Deutschen Bank ist klar, dass nichts klar ist. Fest steht lediglich: Die Geduld der Aktionäre ebenso wie der Arbeitnehmer ist aufgebracht. Verantwortlichen wie Christian Sewing und Paul Achleitner auf der einen, und Martin Zielke sowie Stefan Schmittmann auf der anderen Seite, bleibt nur noch wenig Zeit. Eher schon innerhalb von Tagen denn Wochen müssen sie ihre Absicht offenlegen.
Wollen sie die Fusion oder wollen sie sie nicht? Seit vier Wochen loten Deutsche Bank und Commerzbank einen möglichen Zusammenschluss der beiden Großbanken aus. Offizielle Stellungnahmen sind rar, aber fast täglich gibt es Spekulationen, Gerüchte, Informationen aus anonymen Quellen. Mitarbeiter, Kunden, Investoren fordern Klarheit, wie es weitergeht. Wie ist der Stand der Gespräche?
Nach monatelangen Spekulationen machen die beiden Institute am 17. März öffentlich, dass sie miteinander die Möglichkeit eines Zusammenschlusses ausloten. Die Deutsche Bank teilt mit, der Vorstand habe "beschlossen, strategische Optionen zu prüfen", bei der Commerzbank ist die Rede von "ergebnisoffenen Gesprächen über einen eventuellen Zusammenschluss". Auch nach vier Wochen Gesprächen und Prüfung von Zahlen beziffern beide Seiten die Wahrscheinlichkeit, dass das Fusionsvorhaben vertieft wird, auf 50:50.
Commerzbank-Chef Martin Zielke betonte in einem Gespräch mit Mitarbeitern, über das im Intranet der Bank berichtet wurde, jedoch auch: "Die Alternative, nichts zu tun, gibt es nicht." Wachstum aus eigener Kraft habe einen Nachteil: "Es braucht Zeit, um Marktanteile substanziell zu steigern", erklärte Zielke. "Nur mit deutlich höheren Marktanteilen werden sich die notwendigen Investitionen rechnen."
Eingebunden sind die Aufseher – sowohl der Europäischen Zentralbank (EZB) als auch der deutschen Finanzaufsicht BaFin – schon in diesem frühen Stadium, alles andere wäre bei einer angestrebten Fusion in dieser Größenordnung geradezu fahrlässig. Denn die Strategen bei Deutscher Bank und Commerzbank würden ansonsten Gefahr laufen, auf der Zielgeraden von den Bankenaufsehern ausgebremst zu werden, sollten sie sich auf eine Fusion einigen. Zuletzt hat sich angedeutet, dass dies aber bereits früher geschehen könnte.
Beide Seiten widersprechen dem verbreiteten Eindruck, sie hätten sich nur auf Druck der Politik zu Gesprächen durchgerungen. Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Paul Achleitner sagte Ende März bei einer Konferenz in Liechtenstein, Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) habe "in keiner Art und Weise" Druck auf ihn oder die Bankführung ausgeübt. Großen Einfluss hat der Bund gleichwohl: Er ist mit gut 15 Prozent größter Anteilseigner der Commerzbank.
Dass der Prozess überhaupt so eine Dynamik bekam, hat zweifellos mit der Werbetour von Scholz und seinem Staatssekretär Jörg Kukies zu tun. Noch im Februar hätten die meisten Branchenkenner gewettet, dass auch dieses Fusionsgerücht sich wieder verflüchtigen wird. Doch immer wieder betonten Scholz und Kukies, zuvor Deutschland-Chef der US-Bank Goldman Sachs, Deutschland brauche starke Banken. Kukies traf sich offiziellen Angaben zufolge 2018 fast zwei Dutzend Mal mit führenden Vertretern der Deutschen Bank. Bereits am Tag nach Bekanntgabe der Sondierungsgespräche beriet Kukies sich erneut mit Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing. Das geht aus einer Antwort der parlamentarischen Staatssekretärin Christine Lambrecht auf eine Anfrage des Linken-Bundestagsabgeordneten Michael Leutert vom 8. April hervor.
Die Sorgen vor einem drastischen Personalabbau sind groß. Die Gewerkschaft Verdi fürchtet um mindestens 30.000 Stellen. Der Commerzbank-Gesamtbetriebsrat forderte in einer "Protestnote" vom Vorstand den Abbruch der Gespräche. "Ihr Vorhaben hat im Management, bei den Mitarbeitern, in den Gremien, bei den Kunden unserer Bank wie auch in der Gesellschaft keinen Rückhalt", schrieben die Arbeitnehmervertreter. "Wir sind der Auffassung, dass Sie sich ohne einen erkennbaren Plan, ohne Vision und ohne den Rückhalt in ein unbeherrschbares Abenteuer stürzen." Die Financial Times zitierte Commerzbank-Gesamtbetriebsratschef und Aufsichtsratsvize Uwe Tschäge mit der Aussage, die gut 49.000 Mitarbeiter des Instituts befänden sich in einer "Abwehrschlacht" gegen einen möglichen Zusammenschluss.
Auch in der Deutschen Bank gibt es viel Widerstand gegen eine Banken-Hochzeit. In einer Umfrage des Gesamtbetriebsrats des größten deutschen Geldhauses antworteten knapp 69 Prozent der 7.840 Teilnehmer mit "Nein" auf die Frage, ob die Deutsche Bank die Commerzbank übernehmen solle. Gerade einmal 18,6 Prozent stellen sich hinter die Pläne. Fast 84 Prozent fordern, die Deutsche Bank solle zunächst die Integration der Postbank abschließen.
Auch andere Fachleute wie der renommierte Bankenexperte Prof. Dr. Sascha Steffen von der Frankfurt School of Finance & Manegement sehen eine hohe Zahl an Stellen bei den Geldhäusern in Gefahr. Im Gespräch mit DER AKTIONÄR sagte Steffen: "Schwer zu sagen, es gibt viele doppelte Bereiche, 30.000 bis 40.000? Aber das ist Spekulation." Er rechnet ferner damit, dass der deutsche Staat auch nach erfolgter Fusion Großaktionär des neuen Instituts bleiben würde: "Ich würde auch erwarten, dass er seine Beteiligung sogar noch erhöhen muss, da auch eine Fusion nicht ohne zusätzliches Kapital zu stemmen sein dürfte."
Im Ringen um die Zukunft der großen deutschen Privatbanken bringt sich – unbestätigten Berichten zufolge – wieder einmal die italienische Unicredit ins Spiel. Die Großbank, die seit Übernahme der Hypovereinsbank (HVB) 2005 in Deutschland vertreten ist, könnte ein Gebot für die Commerzbank abgeben, sollten die Fusionsgespräche scheitern. Der Financial Times zufolge will die Unicredit das MDAX-Institut in diesem Fall nicht komplett übernehmen, sondern nur die Kontrolle über das Geldhaus erlangen – möglicherweise, um dann die Tochter HVB mit dem Privatkundengeschäft der Commerzbank zu einer schlagkräftigeren Einheit zu verschmelzen.
Nach allem, was man hören und lesen kann, drückt die Commerzbank eher aufs Tempo. "Ich verspreche Ihnen: Wir werden die Zeit der Unsicherheit, die durch die Sondierung entsteht, so kurz wie möglich halten und hart dafür arbeiten, schnell zu einem Ergebnis zu kommen", schrieb Commerzbank-Chef Zielke bereits kurz nach Bekanntgabe der Fusionsgespräche an die Mitarbeiter seines Hauses. In Medienberichten hieß es zuletzt, Zielke dringe auf eine Entscheidung möglichst vor Ostern. Auf der Gegenseite schien es zuletzt eher auf die Woche nach Ostern zuzulaufen. Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Achleitner hatte Ende März gesagt, die Bank wolle sich im Umfeld der Quartalszahlen zum Stand der Fusionsgespräche äußern. Deutschlands größtes Geldhaus legt seine Zwischenbilanz am 26. April vor.
Der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Florian Toncar, mahnte mehr Zeit zur Prüfung des Für und Wider einer Fusion an: Scholz und die Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat der Commerzbank sollten dafür eintreten, "dass vor den Hauptversammlungen der beiden Banken Ende Mai keine Vorentscheidung in Richtung Fusion getroffen wird". Dann könnten beide Institute bei den Treffen der Anteilseigner "ein Stimmungsbild der Aktionäre zu der Fusionsidee einholen und dieses in möglichen weiteren Verhandlungen einbeziehen", sagte Toncar. "Denn die beiden Banken gehören nicht dem Management, sondern den über viele Jahre gebeutelten Aktionären."
Marktteilnehmer fürchten indes im Rahmen einer möglichen Fusion auch eine erneute Aktienschwemme bei Deutschlands größter Bank. Die Financial Times hatte Ende März berichtet, die Deutsche Bank erwäge die Erhöhung des Kapitals zwischen drei und zehn Milliarden Euro. Während das Management eher das untere Ende der Spanne anstrebe, fordere der Staat das obere Ende. Das Institut dementierte prompt. Wirklich überraschen aber würde ein solcher Schritt nicht. Immerhin wäre es lediglich die vierte Kapitalerhöhung seit dem Jahr 2010. Seitdem schwemmte die Deutsche Bank den Markt mit 1,335 Milliarden neuen Aktien und sicherte sich so 26,7 Milliarden Euro frische Mittel, verwässerte damit aber auch die Anteile der Altaktionäre erheblich. Hinzu kommt: Die eingespielte Summe ist höher als das Institut heute noch wert ist.
Die Aktien beider Institute zählen zu den großen Verlierern der vergangenen Monate und Jahre und notieren unweit ihrer Allzeittiefs. Während sich das Commerzbank-Papier weiterhin im Trading-Szenario des AKTIONÄR nach oben bewegt, steht die Aktie der Deutschen Bank derzeit nur auf der Beobachtungsliste.
Den Verantwortlichen beider Institute bleibt nicht mehr viel Zeit, wollen sie verhindern, dass die Unsicherheit über den Ausgang der Gespräche sich verfestigt und die Notierungen weiter belastet.
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Ein Beitrag von Leon Müller, Chefredakteur des Magazins DER AKTIONÄR und Chief Editor Börsen.Briefing. – dem täglichen Newsletter des Anlegermagazins DER AKTIONÄR (registrieren Sie sich kostenfrei unter www.boersenbriefing.de)
Mit Material von dpa-AFX
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