Der größte Börsenskandal in der deutschen Geschichte entwickelt sich mehr und mehr zur Farce. Einer Farce, welche die Glaubwürdigkeit des Finanzstandorts Deutschland bis hin zum Grundvertrauen der Bürger in den Staat zu erschüttern imstande ist.
Der Umgang mit dem Zahlungsdienstleister Wirecard aus Aschheim bei München ist denkwürdig. Denn: Ein Unternehmen, das für Dritte Zahlungen abwickelt, das eine Bank sein Eigen nennt, ist nach Auffassung der Behörden, des Bundestags und der Aufsicht kein Finanzunternehmen, sondern eine Technologiefirma. Eine Unterscheidung mit weitreichenden Folgen. Fast schon surreal wirkt da ein Satz aus dem Frühjahr 2019. In der Begründung zur Allgemeinverfügung zum Verbot der Begründung und der Vergrößerung von Netto- Leerverkaufspositionen in Aktien der Wirecard AG schrieb die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht am 18. Februar: „Die Wirecard AG ist ein weltweit tätiges Zahlungsdienstleistungsunternehmen mit Sitz in Deutschland.“
Dort steht es also, schwarz auf weiß: Wirecard wird als Zahlungsdienstleistungsunternehmen gesehen. Richtig? Falsch! Die BaFin „verwendet diesen Begriff an dieser Stelle nicht im Sinne des ZAG, sondern untechnisch“, wie aus einer kleinen Anfrage des Abgeordneten Fabio De Masi sowie weiterer hervorgeht. Die Bezeichnung enthalte eben keine Aussage über eine aufsichtsrechtliche Einordnung. Mit ZAG ist das Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz gemeint.
Die Festlegung, ob es sich bei Wirecard um ein Finanz- oder ein Technologieunternehmen handelt, ist entscheidend für die Beantwortung der Frage nach der aufsichtsrechtlichen Verantwortlichkeit und der möglichen Vernachlässigung entsprechender Pflichten. Dass man nun hingeht und ausgerechnet der BaFin mangelnde Sensibilität bei der Verwendung des Begriffes „Zahlungsdienstleistungsunternehmen“ unterstellt, grenzt an Hohn und ist – um es ganz deutlich zu sagen – eine Beleidigung des mündigen Bürgers. So einfach darf es sich der Bundestag als Vertreter des Volkes nicht machen. Sonst erodiert noch weitaus mehr als nur der Aktienkurs eines betrügerischen DAX-Unternehmens.
Dieser Artikel ist in DER AKTIONÄR Nr. 39/2020 erschienen, welches Sie hier als PDF gesamt herunterladen können.