Der Kurs der Aktie von Tata Motors ist am Donnerstag regelrecht in sich zusammengebrochen, verlor 30 Prozent, ging unter. Auf dem indischen Automobilkonzern lasten Probleme der britischen Tochter Jaguar Land Rover. Hausgemacht, aber auch der Politik geschuldet: Der Brexit wird zunehmend zur Gefahr. Auch für Volkswagen, BMW und Daimler, wie eine neue Studie zeigt.
Der B-Day rückt näher: Am 29. März wird Großbritannien die Europäische Union verlassen. Ob geordnet oder ungeordnet („No-Deal“) – das steht heute noch nicht fest. Ein Zustand, der wohl noch einige Wochen andauern wird. Und für Verunsicherung sorgt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz mahnte die Finanzindustrie zuletzt an, sich vorsichtshalber auch auf den schlimmsten Fall vorzubereiten, also einen ungeordneten Austritt Großbritanniens. Sie – die Finanzindustrie – würde wohl besonders von einem solchen getroffen werden. Aber nicht nur sie, wie eine aktuelle Studie zeigt. Ihr zufolge wären allein in Deutschland 100.000 Arbeitsplätze gefährdet. Schaden nehmen könnte allen voran die Exportlastige Automobilindustrie mit Volkswagen, BMW und Daimler.
Ein mahnendes Beispiel gibt es auch schon: Tata Motors. Der indische Autokonzern hat mit der Übernahme von Jaguar Land Rover (bisher) eine Erfolgsgeschichte geschrieben. Sie könnte ein abruptes Ende nehmen. Donnerstag vergangener Woche crashte die Aktie von Tata an der Börse in Mumbai um 30 Prozent. Es war der größte Kursrückgang an dem Handelsplatz seit 26 Jahren, wie das Handelsblatt feststellt. Ursächlich dafür: Wertminderung auf die Tochter Jaguar Land Rover. Wie das Wirtschaftsblatt einen Analysten zitiert, wäre es für Jaguar Land Rover (und damit mittelbar auch für Tata) eine Katastrophe, sollte sich Großbritannien für einen No-Deal-Brexit entscheiden.
Ein solcher könnte nach neuen Berechnungen die Arbeitsplätze von 100 000 Menschen in Deutschland gefährden. Das ergab eine Simulation von Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, über die die Welt am Sonntag berichtete.
Ob es eine Einigung gibt und vor allem wann, ist allerdings weiter unklar. Am Sonntag bestätigte eine Sprecherin der britischen Regierung der Deutschen Presse-Agentur, dass Premierministerin Theresa May das Parlament in London noch einmal um mehr Zeit für Nachverhandlungen mit der EU bitten wolle.
Für eine Abstimmung über das weitere Vorgehen ist demnach nun der 27. Februar vorgesehen. Die Opposition wirft May vor, Zeit zu schinden, um die Abgeordneten kurz vor dem Brexit-Datum am 29. März in einer Friss-oder-stirb-Abstimmung vor die Wahl zwischen ihrem Vertrag mit der EU und einem ungeregelten Brexit zu stellen.
Dass es überhaupt ein Abkommen Großbritanniens mit der EU gibt, dürfte auch für deutsche Arbeitnehmer von Interesse sein, wenn man der Untersuchung aus Halle folgt: "In keinem anderen Staat ist der Effekt auf die Gesamtbeschäftigung so groß wie in Deutschland", sagte einer der Studienautoren, Oliver Holtemöller, der Zeitung.
Nach einem ungeregelten Brexit würden wieder Zölle auf Importe nach Großbritannien erhoben. Die Simulation der Wissenschaftler erfasse nur Jobeffekte, die auf den daraus folgenden Exporteinbruch zurückzuführen seien. Weitere Brexit-Gefahren für den Arbeitsmarkt, etwa sinkende Investitionsbereitschaft, bildeten die Zahlen nicht ab.
In Deutschland sei demnach von einem Exportrückgang vor allem die Autoindustrie betroffen. Die größten Auswirkungen gäbe es – gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten – am VW-Standort Wolfsburg und am BMW-Standort Dingolfing-Landau in Niederbayern. Für Wolfsburg habe die Formel ergeben, dass 500 Arbeitnehmer potenziell betroffen seien, für Dingolfing-Landau seien es 265. In beiden Fällen entspräche das rund 0,4 Prozent der gesamten Beschäftigten.
Viele Arbeitnehmer (726 oder rund 0,3 Prozent) müssten demnach auch im Landkreis Böblingen bei Stuttgart um ihre Stellen fürchten. Dort sitzen Technologiekonzerne wie IBM oder Siemens, auch Daimler hat ein Werk. Ähnlich sei die Situation im Märkischen Kreis im südlichen Westfalen, wo viele mittelständische Unternehmen mit Auslandsgeschäft sitzen - laut der Formel sind hier 703 Stellen oder 0,3 Prozent der Beschäftigten potenziell bedroht.
Zusammengefasst: Gefahren sehen die Wissenschaftler vor allem für Landkreise in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen. Jobs in Ostdeutschland seien dagegen kaum gefährdet.
Nach Deutschland sei Frankreich das EU-Land, dessen Arbeitsmarkt durch einen ungeregelten Brexit am stärksten bedroht sei. Hier seien fast 50.000 Arbeitnehmer betroffen. In China seien es knapp 59.000. Gemessen an der Gesamtbevölkerung seien die Auswirkungen in Malta und Irland am größten. Weltweit könnten den Berechnungen zufolge nach einem ungeregelten Brexit 612.000 Menschen ihre Arbeit verlieren.
Die Zahlen sind Ergebnisse einer Simulationsrechnung: Für die Untersuchung sind die Autoren davon ausgegangen, dass die Importe Großbritanniens nach einem ungeordneten Brexit um 25 Prozent einbrechen – ein Wert, der gängigen wissenschaftlichen Schätzungen entspreche. Sie entwickelten eine Formel, mit der sie berechnen konnten, wie sich ein solcher Importeinbruch auf welche Industrie und welches Land auswirkt. Grundlage dafür waren Daten der World Input Output Database (WIOD), die die Welthandelsverflechtungen von Staaten dokumentiert.
Andere Brexit-Nachrichten dürften Arbeitnehmern in der EU dagegen Hoffnung machen. Das niederländische Wirtschaftsministerium teilte am Samstag mit, dass 42 britische Unternehmen seit 2018 in die Niederlande umgezogen seien. Damit waren demnach 291 Millionen Euro Investitionen verbunden, etwa 2.000 Arbeitsplätze seien geschaffen worden.
Wie geht es nun weiter? May will spätestens am Mittwoch eine Erklärung im Parlament über den Stand der Verhandlungen abgeben. Sollte das Parlament May am Donnerstag mehr Zeit gewähren, wäre das bereits die zweite Verlängerung seit der krachenden Niederlage für ihren Brexit-Deal Mitte Januar. Bisher lehnt die EU jegliche Änderung am Brexit-Abkommen kategorisch ab.
Diese wie alle weiteren Sitzungen im Parlament werden mit größter Aufmerksamkeit in den Konzernzentralen der deutschen Automobilhersteller in Wolfsburg, Stuttgart und München verfolgt werden. Großbritannien ist schließlich für Volkswagen, Daimler und BMW ein wichtiger Exportmarkt. Eine übergeordnete Schwächung des Binnenhandels mit den genannten negativen Effekten auf die Konjunktur, einhergehend mit Arbeitsplatzverlusten würde die Exportlastige deutsche Automobilindustrie hart treffen.
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Mit Material von dpa-AFX
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