Die Suche nach einem wirksamen Covid-19-Medikament läuft auf Hochtouren. Die Politik ist nun gefordert, die heimischen Hoffnungsträger bei der Entwicklung zu unterstützen. Um den Druck zu erhöhen, haben sich vier Unternehmen – AiCuris, Atriva Therapeutics, Immunic und InflaRx – in der Initiative BEAT-COV (Biotech Emergency Alliance for Therapies against Covid-19) zusammengeschlossen. DER AKTIONÄR hat die Vorstandsvorsitzenden Niels Riedemann (InflaRx) und Daniel Vitt (Immunic) darüber interviewt.
DER AKTIONÄR: Herr Vitt, Herr Riedemann, was erwarten Sie sich von dem Zusammenschluss?
Daniel Vitt: Wir haben uns zusammengetan, um mehr Bewusstsein für die Notwendigkeit von Covid-19-Therapien zu generieren, insbesondere in Öffentlichkeit, Politik und Medien. Die vier beteiligten Firmen – AiCuris, Atriva, InflaRx und Immunic – sind mit ihren Covid-19- Medikamentenkandidaten bereits in der klinischen Entwicklung vorangeschritten und Ergebnisse der aktuellen Studien sollten schon bald vorliegen. Wir haben eine reelle Chance, einen tatsächlichen Beitrag zur Problemlösung von Covid-19 leisten zu können.
Niels Riedemann: Sowohl die einzelnen Firmen als auch der Interessensverband unserer Industrie (Bio Deutschland) haben sich an die Politik und verschiedene Ministerien gewandt, um dieses wichtige Thema zu besprechen und ggfs. ein passendes Förderprogram aufzulegen. Im Sommer gab es hier aber wenig Interesse und keine klaren Aussagen. Wir haben BEAT-COV gegründet, um einen weiteren gemeinsamen Vorstoß zu machen, da mittlerweile der Bedarf an Therapieoptionen für die erkrankten Patienten auch einem deutlich breiteren Bevölkerungsanteil bewusst geworden ist und wir der Meinung sind, dass die Politik nun handeln sollte.
Wann rechnen Sie mit einer Reaktion? Wie stellen Sie sich eine Unterstützung von der Bundesregierung vor?
Vitt: Wir haben sowohl auf Landesebene als auch Bundesebene erste Reaktionen gesehen. Mit Blick auf Bayern können wir bereits zwei Erfolge verbuchen: Insgesamt 50 Millionen Euro konnten durch Anstrengungen des Bundestagsabgeordneten Florian Hahn MdB in den Bundeshaushalt für die Förderung von Covid-19-Therapeutika eingebracht werden. Zudem konnte eine bayerische Therapiestrategie von Freien Wählern und CSU, unterstützt von der Netzwerkorganisation BioM, weitere 50 Millionen Euro für Erfolg versprechende Covid-19-Medikamentenkandidaten sichern.
Wir wünschen uns und hoffen, dass wir dieses Interesse der Politik weiter steigern und zeitnah zusätzliche Mittel sichern können, um insbesondere Spätphasenstudien der verschiedenen Wirkstoffentwickler sowie Produktion und Zulassung finanzieren zu können. Hier werden deutlich mehr Mittel nötig sein, um die Kandidaten zur Zulassung und Marktreife zu bringen – Mittel, die die einzelnen Firmen nur schwerlich aus der eigenen Tasche tragen können.
Riedemann: Die Politik erkennt zunehmend den Förderbedarf in der Medikamentenentwicklung gegen Covid-19 und es gibt bereits erste öffentliche Signale für mögliche zusätzliche Fördermittel. Wir hoffen, dass im Erfolgsfall mit einer Bereitstellung von Geldern auch die nötige Infrastruktur geschaffen wird, um diese schnell an die vielversprechendsten klinischen Projekte zu bringen. Hierzu bedarf es einer raschen und unkomplizierten Förderung von denjenigen Entwicklungskandidaten, welche eine gute wissenschaftliche Rationale aufweisen und zudem schnell die klinische Entwicklung abschließen können, um den Patienten zeitnah zur Verfügung gestellt zu werden.
Richtet sich der Fokus derzeit zu stark auf die Impfstoffforschung gegen Covid-19?
Vitt: Ich denke, ja. Die Impfstoffforschung ist natürlich absolut wichtig und wird einen großen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie leisten. Es ist beeindruckend, wie schnell die Impfstoffunternehmen bei der Entwicklung vorangeschritten sind. Auf der anderen Seite wird es auch in Zukunft erkrankte Covid-19-Patienten geben, sicherlich auch weiterhin mit schweren Verläufen oder gar Todesfolge. Und genau diesen Menschen wollen wir mit den Medikamenten helfen. Dafür braucht es in der Öffentlichkeit, in den Medien und in der Politik mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein für die Notwendigkeit von Medikamenten.
Riedemann: Wir kämpfen seit Monaten darum, dass weit fortgeschrittene Produktkandidaten für die Covid-19-Therapie parallel zum Impfansatz unterstützt werden und die Entwicklung beschleunigt wird. Deswegen haben wir nun die Biotech Emergency Alliance for Therapies against Covid-19, kurz BEAT-COV, gegründet. Aufgrund der Dringlichkeit müssen kostenintensive Entwicklungsstufen nicht sukzessive, sondern parallel durchgeführt werden, was das finanzielle Risiko für Biotechnologiefirmen erhöht und ihre vorhandenen finanziellen Ressourcen teilweise deutlich überfordert. Eine Förderung des Staates reduziert die bisher eingegangenen finanziellen Risiken von mittelständischen Biotechnologie-Unternehmen zum Beispiel bei Entwicklung und Aufbau der Produktion. Viele Firmen sind hier schon früh ins Risiko gegangen, benötigen aber Unterstützung bei der Finanzierung der großen Schritte vor der Zulassung. Wir alle wollen schnell innovative und zielgerichtete Medikamente Ärzten und Patienten zur Verfügung stellen.
Welchen Stellenwert könnte die deutsche Biotech-Industrie nach der Corona-Pandemie einnehmen?
Vitt: Ich denke, die deutsche Biotechindustrie hat massiven Rückenwind bekommen. Firmen wie BioNTech haben international eindrucksvoll gezeigt, dass Forschung & Entwicklung Made in Germany innovativ und technologisch führend ist – was sicherlich auch für viele andere deutsche Biotechunternehmen zutrifft. Auch nach Corona wird das den deutschen Firmen auf nationaler und globaler Ebene helfen. Die Arbeiten der an BEAT-COV aktiv beteiligten Firmen werden hoffentlich noch einen weiteren Schub in der internationalen Wahrnehmung geben.
Riedemann: Die Biotechindustrie in Deutschland hat schnell auf die Pandemie reagiert und ein deutsches Unternehmen konnten den ersten zugelassenen Impfstoff entwickeln. Forschung genießt in Deutschland einen hohen Stellenwert; gerade in der Grundlagenforschung und in den Frühphasen der Medikamentenentwicklung wird viel gefördert und auch Venture Capital investiert. Aber wenn es daran geht, vielversprechende Kandidaten in der späteren Phase zu unterstützen, zu fördern und darin zu investieren, so findet dieser Schritt fast nie in Deutschland statt. Das ist besonders bedauernswert, da mit diesem letzten Schritt und der damit verbundenen Marktzulassung auch eine erhebliche Wertschöpfung einhergeht und somit auch Arbeitsplätze entstehen. Wir hoffen, dass diese Pandemie den Stellenwert der Biotechunternehmen in Deutschland deutlicher werden lässt. Deutschland kann zur anerkannten Kompetenz in der Forschung, auch wieder eine weltweit anerkannte Stellung in der Entwicklung und Vermarktung neuer Medikamente einnehmen, wenn die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Herr Riedemann, Sie setzen im Kampf gegen Covid-19 auf IFX-1. In welchem Entwicklungsstadium befindet sich derzeit das Programm? Wann ist mit Daten und – im Erfolgsfall – mit einer Zulassung zu rechnen?
In unterschiedlichen abgeschlossenen klinischen Studien haben bereits über 300 Patienten eine Behandlung mit IFX-1 erhalten. Dabei hat sich gezeigt, dass diese Behandlung gut vertragen wird und keine Sicherheitsbedenken auftraten. Bisher wurden Studien zum Beispiel in den Indikationen Sepsis, aber auch verschiedenen schweren dermatologischen Entzündungskrankheiten durchgeführt. Zwei aktuelle Studien laufen auch bei Patienten mit lebensbedrohlicher Gefäßentzündung. Dies sind alles Bereiche, in denen es einen dringenden medizinischen Bedarf gibt. IFX-1 blockiert hier einen Faktor im menschlichen Blut (C5a), welcher stark entzündungsfördernd ist und auch zu Schäden an eigenen Organen führen kann. Somit versuchen wir diesen Organschaden mit IFX-1 zu verringern oder zu vermeiden.
Wir haben sehr früh gesehen, dass bei kritisch kranken Covid-19-Patienten ungewöhnlich hohe C5a-Konzentrationen auftreten. Daher hat InflaRx bereits im März 2020 die klinische Entwicklung von IFX-1 beziehungsweise Vilobelimab für die Behandlung von Covid-19 gestartet. Der laufende Phase-3-Teil der Studie vergleicht die IFX-1 Behandlung mit einem Placebo-Kontrollarm.
Der Phase-2-Teil der Studie ist bereits abgeschlossen und lieferte trotz der noch kleinen Patientenzahl (30) vielversprechende Ergebnisse. Im aktuell laufenden Phase-3-Teil der Studie sollen insgesamt 360 Patienten behandelt werden; nach 180 Patienten wird eine verblindete Interimsanalyse durchgeführt. Die Studie ist so aufgesetzt, dass sie den statistischen Nachweis führt, ob IFX-1 (Vilobelimab) das Versterben von beatmeten Intensivpatienten signifikant verringern kann. Wir erwarten Daten aus dieser Studie im kommenden Jahr 2021.
Nach Abschluss der Phase-3-Studie werden wir im Erfolgsfall mit den Behörden eine mögliche Zulassung besprechen.
Welche finanziellen Mittel würden Sie für die Produktion benötigen?
Riedemann: Der Produktionsprozess von Antikörpern ist aufwendig und kostenintensiv und geht in die höheren zweistelligen und manchmal auch dreistelligen Millionenbeträge. Natürlich hängt dies von der Menge an produziertem Antikörper ab, aber auch vom Produktionsprozess. Aufgrund der Dringlichkeit sollten die für eine Zulassung notwendigen, kostenintensiven Entwicklungsschritte nicht sukzessive, sondern parallel durchgeführt werden. Wir sind hier als Firma ins Risiko gegangen und haben nach einer erfolgreichen Phase-2-Studie nun die Phase 3 begonnen. Um die Prozesse zu beschleunigen, und das Medikament im Erfolgsfall schneller zu den Patienten zu bekommen, sind zusätzliche finanzielle Mittel notwendig.
Bisher haben wir erste Förderbemühungen des BMBF gesehen, welche im Wesentlichen frühe Forschung im Bereich Covid-19 unterstützt hat und breit gestreut ganz überwiegend auf Universitäten und Forschungseinrichtungen und auch auf junge Unternehmen verteilt wurde. Diese Frühphasenförderungen mit oft bis ein oder zwei Millionen Euro können aber den Finanzierungsbedarf der späten Phasen nicht decken und adressieren diesen ja auch nicht. Gemeinsam mit den Kollegen aus der BEAT-COV Initiative fordern wird eine signifikante Förderung zur Finanzierung von fortgeschrittenen, erfolgversprechenden Therapieoptionen, insbesondere zur Unterstützung von späten Phasen der klinischen Entwicklung, der Produktion, des Zulassungsprozesses und der Markteinführung. Diese Art der Förderung fehlt bislang.
Herr Vitt, welchen Ansatz verfolgt Immunic im Kampf gegen Covid-19?
Vitt: Unser Hauptproduktkandidat IMU-838, ein DHODH-Inhibitor in Tablettenform, wird als Therapieoption für Covid-19 entwickelt, da er sowohl entzündungshemmende als auch antivirale Eigenschaften besitzt und die angeborene Immunität reaktiviert. Der Wirtszell-basierte Wirkmechanismus ist unabhängig von Virusproteinen, verhindert so Resistenzen und bietet eine breite antivirale Anwendbarkeit – für Covid-19 und möglicherweise auch potenzielle künftige Viruspandemien. IMU-838 wurde bereits an über 800 Personen klinisch getestet und besticht durch seine herausragende Sicherheit und Verträglichkeit. Die antivirale Aktivität von IMU-838 konnten wir präklinisch gegen SARS-CoV-2 und zuvor auch schon gegen andere Viren (u. a. HIV, Hepatitis C, Arenavirus) erfolgreich nachweisen.
Der Hauptfokus von Immunic liegt auf der Entwicklung von selektiven, oral verfügbaren Therapien zur Behandlung chronischer Entzündungs- und Autoimmunerkrankungen. IMU-838 ist unser am weitesten fortgeschrittenes Entwicklungsprogramm – ein selektiver Immunmodulator, der den intrazellulären Stoffwechsel von aktivierten Immunzellen hemmt, indem er das Enzym DHODH blockiert. Neben Covid-19 wird IMU-838 zur Behandlung von Multipler Sklerose entwickelt, wobei wir im Sommer 2020 exzellente Daten aus unserer Phase-2-Studie berichten konnten. Zudem befindet sich IMU-838 in klinischen Phase-2-Studien in Colitis Ulcerosa und, in Zusammenarbeit mit der Mayo Clinic, in primär sklerosierender Cholangitis.
Wann ist mit Ergebnissen zu rechnen?
Vitt: Anfang November 2020 haben wir die Rekrutierung von 200 Patienten in einer randomisierten, Placebo-kontrollierten, doppelt verblindeten Phase 2-Studie bei mittelschwer erkrankten Covid-19-Patienten abgeschlossen. Die Ergebnisse zur Wirksamkeit werden im ersten Quartal 2021 erwartet. Danach ist die Fortführung der Studie als konfirmatorische Phase-3-Studie geplant.
Vielen Dank für das aufschlussreiche Interview!
Erhalten Immunic und InflaRx Unterstützung aus Berlin, sollten die Aktien durchstarten. Wenig Kapital investieren, hochspekulative Papiere.