Der DAX eilt von einem Hoch zum Nächsten. Die Schwelle von 12.000 Punkten ist greifbar nahe, nachdem der Leitindex vor gut einem Monat erstmals die Marke von 11.000 Punkten geknackt hatte. Anhaltenden Treibstoff für die Rally liefern die Geldschwemme der Europäischen Zentralbank (EZB), die vor einer Woche mit umfangreichen Staatsanleihekäufen begonnen hatte, und der Kursverfall des Euro. Wie geht es nach dem einzigartigen Jahresstart nun weiter? DER Aktionär sprach mit Folker Hellmeyer, Chefanalyst bei der Bremer Landesbank.
DER AKTIONÄR: Herr Hellmeyer, der DAX hat die 11.800 Punkte Marke hinter sich gelassen. Thema Griechenland ist abgehakt, der Konflikt in der Ukraine ist mit der Waffenruhe entschärft. Befinden wir uns also in der besten aller Börsenwelten?
FOLKER HELLMEYER: Nein, es ist nicht die beste Börsenwelt. Wir befinden uns jedoch in einer Zeit, in der es nahezu zwingend ist, am Aktienmarkt dabei zu sein. Wenn wir nach Europa blicken, dann haben wir vorherrschend positive Konjunktursignale. Die Reformen entfalten ihre Wirkung wie zum Beispiel in Spanien, Portugal oder Irland. Aktuell stieg der deutsche Gfk Konsumklimaindex auf 9,7 Punkte und markierte den höchsten Stand seit Oktober 2001. In der Weltwirtschaft werden wir 2015 ein Wachstum in der Bandbreite zwischen 3,0% bis 3,7% haben. Die Krisen erscheinen im Moment überschaubar. In Griechenland und der Ukraine ergeben sich derzeit eingefrorene Konflikte, also eine Art neutrale Konstellation. Die Zentralbankpolitik ist für mich entscheidend. Durch die Käufe, die ab März anstehen werden, haben wir noch einmal Druck auf die Anleiherenditen. Manche Experten gehen von negativen Zinsen für 10-jährige Bundesanleihen aus. Dieses Szenario unterstützt den Aktienmarkt. Wir haben auf dem aktuellen Niveau eine Dividendenrendite von 2,7 Prozent, ein KGV im historischen Mittel von rund 14, ein Kursbuchwert-Verhältnis im historischen Mittel. Das heißt, der Aktienmarkt ist im Vergleich zum Rentenmarkt überhaupt nicht überbewertet.
DER AKTIONÄR: Sind es die Ausländer, die Versicherungen die ihre Investitionsquoten in Aktien hochfahren, oder wo sind die Kurstreiber?
Ja, in Japan fährt zum Beispiel der größte Pensionsfonds die internationale Aktienquote nach oben. Die Allianz tut das ebenfalls, um nur einige Beispiele zu nennen. Das sind fraglos wichtige Treiber der Hausse. Fakt ist, dass wir in Europa derzeit im DAX oder EuroStoxx keine hoch, sondern fair bewertete Märkte haben. Ganz im Gegensatz zu den USA, die 20 bis 25 Prozent über den Bewertungen der europäischen Aktienmärkte liegen. Das heißt: In Europa bekommt man noch gute Qualität zu günstigen Preisen.
Ein schwacher Euro, niedriger Ölpreis, das sollte sich doch alles wie ein Konjunkturprogramm für die deutschen Unternehmen entwickeln – mit welchen Folgen?
Deutschlands Wirtschaft profitiert derzeit sehr stark von diesen exogenen Einflüssen. Das wird im Laufe des Jahres auch zu höheren Unternehmensgewinnen führen. Von dieser Seite erhält der Aktienmarkt Rückenwind.
Was kann den Markt derzeit die gute Laune verderben? Ein wieder aufkeimender Konflikt in der Ukraine, die Zinsangst in den USA?
Beide Krisen bieten latent das Risiko technischer Rückschläge, ich betone technische Rückschläge nicht Trendwende.
Darüber hinaus gibt es aber noch ein anderes Thema, das derzeit unterbelichtet ist und kurzfristig belastend wirken kann.
Quantitativ ist das Konjunkturbild in den USA sicherlich im Großen und Ganzen in Ordnung, analog zu 2007! Notenbank-Chefin Janet Yellen bringt das immer wieder zum Ausdruck. Besorgnis erregend ist, dass die US-Wirtschaft strukturell schwächer aufgestellt ist als vor der Lehman-Pleite im Jahr 2008. Wir sehen beispielsweise im Moment bei den Hypothekenanträgen mit Kaufinteresse das niedrigste Kaufinteresse seit 1995/96 obwohl wir ein extrem niedriges Zinsniveau haben und in den letzten Jahren ein massives Subventionsprogramm durch die Fed und die US-Politik umgesetzt wurde. Sofern es also zu Zinserhöhungen kommen würde, steht die nächste Immobilienkrise quasi direkt vor der Tür. Hinzu kommen die Automobilkredite. Hier haben wir mittlerweile ein Subprimeproblem. Es kommt zu den höchsten Ausfallraten seit 2008.
Der Lichtblick der US-Wirtschaft, Fracking, leidet dramatisch unter der negativen Öl-Preisentwicklung. Das fällt den USA derzeit kräftig auf die Füße.
Diese Liste mit den Problemen in den USA könnte man noch weiter fortsetzen.
Fakt ist: Das Risiko einer deutlichen Abschwächung der US-Wirtschaftsdynamik ist im laufenden Jahr aus meiner Sicht extrem ausgeprägt.
Was kann also aus ihrer Sicht im schlimmsten Fall passieren?
Ich erwarte in den USA bestenfalls einen kleinen Zinsschritt in den USA von 25 oder maximal 50 Basispunkten, keine Zinswende. Dann wird man voraussichtlich schnell wieder davon abrücken, weil die US-Wirtschaft Zinserhöhungen nicht verträgt. Ich schließe nicht aus, dass im vierten Quartal über ein erneutes QE-Programm in den USA diskutiert wird.
Der Zwang zu einem Investment in Aktien würde durch diese dann im Raum stehenden Maßnahmen tendenziell weiter zunehmen.
Europa oder Amerika – wo ist der Anleger besser aufgehoben?
Der Anleger ist aus einem ganz einfachen Grund in Europa besser aufgehoben. Europa hat sich gewandelt, hat durch Reformen neue Strukturen geschaffen. Die Nachhaltigkeit des Wachstums ist ausgeprägter. In den USA blieben diese ganzen Reformen aus. Die US-Interventionen sind wie Kosmetik, damit gewinnt man eine Nacht, aber nicht das Leben!
Ende Februar ist das Kursziel vieler Experten für den DAX bereits erreicht. Was trauen Sie den Märkten noch zu?
Die Märkte können eine Dynamik bekommen, die für uns derzeit noch gar nicht vorstellbar ist. Fakt ist: man muss in meinen Augen am Aktienmarkt dabei sein. Wer noch nicht dabei ist, der sollte zumindest versuchen einen Fuß in die Tür zu stellen, und das am besten breit gestaffelt. Wie gesagt, betrachtet man die Kennziffern, ist der Aktienmarkt noch nicht überbewertet.
In Schwächephasen wird immer wieder Kaufinteresse aufkommen, was auch neue Höchstkurse im DAX nach sich ziehen wird. Allerdings bin ich nicht bereit ein DAX-Ziel auszugeben. Fakt ist, dass wir nach wie vor großes Potenzial nach oben haben. Dagegen limitierte Korrekturen die uns bis in den Bereich 10.500 oder maximal 10.300 führen könnten.
Dennoch: viele Standardwerte wie etwa eine Daimler oder eine Deutsche Post sind klasse gelaufen, haben sich bereits weit von ihren 200-Tage-Linien entfernt, ist die Entwicklung noch gesund oder übertreibt die Börse?
Aus meiner Erfahrung heraus würde ich sagen, dass wir überreif für eine Korrektur sind. Die klassischen Analysemethoden werden derzeit allerdings im Wesentlichen durch die politische Steuerung des Kapitalmarktes außer Kraft gesetzt. Wer jetzt einsteigen will, der muss Korrekturen bis in den Bereich 10.500 bis 10.300 in Kauf nehmen. Dabei dann sukzessive die Positionen ausbauen. Diejenigen die bereits investiert sind, die sollten sich einfach zurücklehnen und die Gewinn laufen lassen. Das einzige was mich dazu bewegen würde, dieses Szenario neu zu überdenken, wäre die Tatsache, dass die Ukraine Krise außer Kontrolle geraten würde.
Welche Branchen und Einzelwerte würden Sie derzeit bevorzugen?
Grundsätzlich sollte der Investor in Geschäftsmodell investieren die unverzichtbar sind. Die Weltbevölkerung wächst, Konzern wie Nestle oder Mondelez werden dabei profitieren. Spannend bleibt auch nach wie vor der Chemie- und der Pharmasektor. Für besonders sportliche Investoren: Billig sind aus meiner Sicht derzeit auch Edelmetall- und Minenwerte. Hier findet meiner Ansicht nach derzeit eine Bodenbildung statt.