Dermapharm ist als Hersteller von patentfreien Markenarzneimitteln eine feste Größe in Deutschland. Ausgerechnet der Corona-Impfstoff von BioNTech verleiht frische Kursfantasie. DER AKTIONÄR hat mit dem CEO des SDAX-Unternehmens, Dr. Hans-Georg Feldmeier, unter anderem über die Kooperation mit der Mainzer Biotech-Schmiede, der Übernahme von Allergopharma und den Folgen der Krise gesprochen.
DER AKTIONÄR: Herr Dr. Feldmeier, was waren die wichtigsten Entwicklungen in den zurückliegenden neun Monaten?
Dr. Hans-Georg Feldmeier: Im Mittelpunkt stand natürlich die Bewältigung der Coronakrise und die Einführung von Maßnahmen zur Sicherung der Betriebsabläufe während des Lockdowns. Die Nachfrage nach unseren Arzneimitteln ist im ersten Quartal sehr hoch gewesen. Da galt es, unter sehr komplizierten Rahmenbedingungen den Betrieb täglich 24 Stunden aufrechtzuerhalten. Wir haben als pharmazeutische Industrie glücklicherweise nicht eine derartige Krisensituation wie beispielsweise die Luftfahrtindustrie erleben müssen. Dennoch gibt es innerhalb der Branche unterschiedliche Entwicklungen in den ersten neun Monaten.
Wir verfügen über ein sehr breites Sortiment. Dies hat sich wiederum als großer Vorteil erwiesen. Auch wir konnten nicht mit jedem einzelnen Produkt so performen, wie wir uns das 2019 noch vorgestellt haben. Da wir aber so breit aufgestellt sind, konnte die Dermapharm Holding in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres teils schwächere Produktverkäufe sehr gut kompensieren. Nachfragesteigerungen hatten wir unter anderem bei unserem Dekristol (Vitamin D) oder Dexamethason, das bei der intensivmedizinischen Behandlung von Covid-19-Patienten zum Einsatz kommt.
Wie zufrieden sind Sie bisher mit der Transaktion und Integration von Allergopharma?
Ich bin sehr zufrieden mit den Ergebnissen, die wir in dieser Zeit erreichen konnten. Wir haben uns ganz bewusst für Allergopharma entschieden, weil die Gesellschaft eine exzellente Ergänzung unseres Geschäftes darstellt. Die Allergopharma verfügt über innovative Produkte und ist in einem Markt tätig, in dem nur sehr wenige Player aktiv sind. Und das ist auch immer unser Ziel bei Akquisitionen gewesen, nicht von den ruinösen Rabattverträgen und dem generischen Wettbewerb abhängig zu werden. Wir haben es hier mit einem margenstarken Markt zu tun und wir sind überzeugt, dass wir das Potenzial der Allergopharma in Zukunft noch besser entwickeln können.
Wir haben mit dem Team der Allergopharma in den letzten Monaten sehr intensiv zusammengearbeitet und unsere Konzepte eingebracht, um die Akquisition bestmöglich in die Unternehmensgruppe zu integrieren. Innerhalb kürzester Zeit rollen wir unsere IT-Systeme bis Jahresende aus. Darüber hinaus erfolgt das Abkoppeln von Strukturen des Alteigentümers. Dabei kommen wir schneller als geplant voran. Wir konnten im Ergebnis einer umfangreichen Analyse erhebliche Einsparpotenziale feststellen und heben, was sich auch schon im vierten Quartal und nachfolgend in 2021 noch deutlicher zeigen wird.
Im September haben Sie eine Kooperations- und Liefervereinbarung mit BioNTech geschlossen. Was ist der Auftrag der Dermapharm Holding?
Die Firma BioNTech hat eine Entwicklungs- und Vermarktungskooperation mit Pfizer. BioNTech ist der Innovator des Impfstoffes und hat mit Pfizer natürlich einen sehr starken Partner. Wenn man bedenkt, dass das Coronavirus erst zu Beginn dieses Jahres aufgeklärt wurde und es Unternehmen gelungen ist, in so kurzer Zeit die Entwicklung eines Impfstoffes durchzuführen, dann ist das eine fantastische Leistung, die wir alle sehr wertschätzen und anerkennen.
Als wir die Anfrage von BioNTech erhalten haben, verfügte die Gesellschaft noch über keine eigene Produktionsstätte für die Herstellung von anwendungsbereiten Impfstoffen. An unserem Standort in Brehna haben wir Sterilbetrieb mit sämtlichen technischen Voraussetzungen und vor allem hochmotiviertem und sehr gut ausgebildetem Personal, um diese Produkte herstellen zu können.
Da war es selbstverständlich, dass wir hier unterstützen. Denn das ist der Auftrag der pharmazeutischen Industrie in dieser Zeit und das ist der große Vorteil von einem Unternehmen, welches Produktionsstätten in Deutschland oder Europa unterhält, weil wir dadurch sofort reagieren konnten.
Gemeinsam mit den Kollegen von BioNTech konnten wir die Herstellungsprozesse sehr schnell industrialisieren, die analytischen Methoden zur Qualitätskontrolle etablieren und Lösungen für die sehr anspruchsvolle Kühllogistik erarbeiten. Wir haben dann auch sehr schnell von der zuständigen Behörde des Landes Sachsen-Anhalt die Genehmigung erhalten, diesen Impfstoff in Brehna herzustellen.
Glauben Sie, dass die europäische Pharma- und Biotech-Industrie nach der Krise mehr von politischer Seite unterstützt wird? Schließlich zählen die deutschen Unternehmen BioNTech und CureVac zu den aussichtsreichsten Corona-Impfstoff-Entwicklern der Welt.
Wir brauchen in Europa Spitzenforschung von den Unternehmen, die Sie genannt haben. Interessant ist aber auch ein Blick auf die Gesellschafterstruktur. Letztlich sind es Unternehmerpersönlichkeiten, die selber Firmengründer gewesen sind, die Risikokapital investiert haben und an den Erfolg der Biotechnologieunternehmen geglaubt haben. Leider gibt es das in Deutschland oft noch zu wenig.
Ich bin davon überzeugt, dass die Spitzenforschung nur dort funktioniert, wo im gleichen Fachgebiet auch eine entsprechende Breite vorhanden ist. Im deutschen Pharmamarkt sind 75 Prozent der verschreibungspflichtigen Arzneimittel sogenannte Generika. Ein großer Teil dieser Produkte wird von den Krankenkassen im Rahmen von Rabattverträgen ausgeschrieben. Diese Praxis, wie auch das seit 2009 geltende Preismoratorium, führen zu nicht mehr auskömmlichen Preisen. Wir erleben, dass dadurch viele Arzneimittelproduktionen in Drittländer abwandern, weil sie in Europa nicht mehr auskömmlich herstellbar sind. Wir brauchen aber diese Hersteller genauso wie die forschende pharmazeutische Industrie in Europa, weil, um bei dem Beispiel der Impfstoffe zu bleiben, wir auch die Produzenten der sterilen Kochsalzlösungen brauchen, um den Impfstoff vor der Anwendung entsprechend zu verdünnen. Da schließt sich wieder der Kreis. Und die Politik muss das endlich begreifen. Spitzenforschung ist nur da möglich, wo es eine breite Basis gibt und sich aus der Breite heraus eine Spitze entwickeln kann. Wenn wir in Deutschland beispielsweise nicht den Massensport im Fußball hätten, wäre auch die Spitze nicht so erfolgreich. Genauso ist es in der Wirtschaft.
Es soll sich jedoch etwas in Europa ändern. Blickt Dermapharm trotz des herausfordernden Marktumfelds zuversichtlich in die Zukunft?
Es wird vonseiten der Europäischen Kommission an einer europäischen Pharmastrategie gearbeitet. Es gibt zum Beispiel Überlegungen, einzelne Wirkstoffproduktionen mittels Investitionsförderung wieder in der EU aufzubauen. Ich glaube aus verschiedenen Gründen nicht, dass dies zielführend ist, weil es viel zu lange dauert. Mit zehn bis zwölf Jahren muss man rechnen, bis diese Wirkstoffe in Arzneimitteln eingesetzt werden können. Danach aber ist völlig unklar, wer bereit ist, den Mehrpreis dauerhaft zu zahlen. Ich denke, wir müssen vielmehr aufpassen, dass das, was an industriellem Kern der pharmazeutischen Industrie in der EU vorhanden ist, nicht weiter durch eine falsche Sparpolitik zerstört wird. Das ist es, was sich in Europa ändern muss! Wir haben die Dermapharm in den letzten Jahren so umgebaut, dass wir nicht von den Rabattverträgen abhängig sind und blicken daher optimistisch in die Zukunft, gerade in das Jahr 2021. Darüber hi-naus erwarten wir ein sehr gutes viertes Quartal.
Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!
Dermapharm besticht durch ein breites Portfolio in vielen aussichtsreichen Märkten. Die Aktie bleibt bei Schwäche ein klarer Langfrist-Kauf.
Hinweis nach §34 WPHG zur Begründung möglicher Interessenkonflikte: Aktien oder Derivate, die in diesem Artikel besprochen / genannt werden, befinden sich im "Real-Depot" von DER AKTIONÄR.