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Corona-Crash fordert Tribut: Dividendenzahlungen und Hauptversammlungen gestrichen oder verzögert

Corona-Crash fordert Tribut: Dividendenzahlungen und Hauptversammlungen gestrichen oder verzögert
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15.03.2020 ‧ Leon Müller

Vor dem Hintergrund des Verbots von Großveranstaltungen droht Anlegern jetzt eine Absage-Welle: Hauptversammlung könnten in den Sommer hinein verschoben werden. Doch nicht nur die Termine sind vage. Auch die Höhe der Dividende dürfte „intensiv diskutiert werden“. DER AKTIONÄR sprach mit Marc Tüngler von der DSW.

Marc Tüngler besucht regelmäßig die Hauptversammlungen deutscher Unternehmen und wahrt dort die Interessen vieler Anleger. Als Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz ist es seine Pflicht, sich für die Interessen der privaten Anleger einzusetzen. Der DSW hat eigenen Angaben zufolge rund 30.000 Mitglieder, seine Vertreter besuchen jährlich in etwa 700 Hauptversammlungen. DER AKTIONÄR erreichte Tüngler am Wochenende.

Herr Tüngler, in wenigen Wochen entfaltet die diesjährige HV-Saison ihre volle Kraft. Angesichts der grassierenden Coronavirus-Epidemie einhergehend mit der Empfehlung, Veranstaltungen mit über 1.000 Teilnehmern nicht stattfinden zu lassen, stellt sich die Frage, ob viele HVs überhaupt stattfinden werden. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?

Die Entwicklung der letzten Tage hat gezeigt, dass alles zu unternehmen ist, die Ausbreitung des Virus einzudämmen und so wenige Sozialkontakte wie eben nur nötig zu pflegen. Ein vernünftiges und verantwortungsvolles Handeln lässt nicht zu, dass die Veranstaltungen stattfinden wie geplant. Zumindest aber sollten Aktionäre den Versammlungen, sofern sie stattfinden, fernbleiben und andere Wege der Teilnahme und auch Teilhabe nutzen.

Ein vernünftiges und verantwortungsvolles Handeln lässt nicht zu, dass die Veranstaltungen stattfinden wie geplant.

Marc Tüngler

Das Gesetz gewährt wenig bis keinen Spielraum eine Hauptversammlung ausfallen zu lassen. Welche Möglichkeiten haben Unternehmen überhaupt?

Das Aktiengesetz schreibt in § 175 zunächst vor, dass innerhalb der ersten acht Monate nach Abschluss des Geschäftsjahres eine Hauptversammlung stattzufinden hat. Findet die Hauptversammlung also jetzt nicht statt, wird versucht, sie zunächst in den Juli oder August zu verschieben. Das ist rechtlich kein Problem. Ist die Corona-Krise dann noch nicht unter Kontrolle und Großveranstaltungen immer noch untersagt, wird erneut verschoben werden müssen. Das wird dann aber wohl nicht in den Unternehmen entschieden werden.

Die Hauptversammlung hat in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahrs stattzufinden.

§ 175 Aktiengesetz

Ist es denkbar, dass HVs ausnahmsweise auch digital abgehalten werden?

Reine Online- und damit Digital-Hauptversammlungen sind in Deutschland nicht zulässig. Immer muss es (auch) eine Präsenzveranstaltung geben. Aber der Gesetzgeber hat zahlreiche Optionen geschaffen, dass Aktionäre ihre Rechte auch über Online-, via Brief- oder Vertretungslösungen ausüben können. Leider haben viele Unternehmen ihre Satzungen aber nicht ausreichend vorbereitet oder wollen insbesondere die gesetzlich gebotenen Online-Möglichkeiten nicht nutzen. Das rächt sich jetzt.

(Anm. d. Redaktion: Erste Unternehmen, darunter ISRA Vision (17. März), Carl Zeiss Meditec (24. März) und Sartorius (26. März) fordern ihre Aktionäre auf, ihre Stimmen schriftlich abzugeben.)

Eines der zentralen Themen auf Hauptversammlungen ist für viele Anleger die Festlegung der Dividende. Einige Unternehmen haben bereits ihren Vorschlag zur Ausschüttung mit der Vorlage der vorläufigen 2019er-Zahlen unterbreitet. Dieser Vorschlag aber wurde unterbreitet, ehe das Coronavirus zum Thema wurde. Halten Sie es für möglich, dass die Vorschläge abgeändert werden?

Das ist nicht auszuschließen. Dies gilt erst recht, wenn die Hauptversammlungen jetzt erst im Sommer oder danach stattfinden. Allerdings darf man nicht unterschätzen, dass die Anpassung einer bereits kommunizierten Dividende nach unten zu einem deutlichen Vertrauensverlust führen kann. So wird die Dividende aus dem Bilanzgewinn des Vorjahres 2019 bemessen und gezahlt. 

Dass Vorschläge zur Höhe der Dividende abgeändert werden, ist nicht auszuschließen.

Marc Tüngler

Theoretisch könnten auch die Anteilseigner selbst noch auf der HV den Vorschlag zur Ausschüttung in ursprünglicher Höhe ablehnen und stattdessen für eine geringere oder gar keine Ausschüttung plädieren?

Das ist sicher möglich, sehe ich derzeit aber eher auf wenige Einzelfälle beschränkt. Die verantwortliche und langfristige Ausrichtung der Aktionäre und die Sorge um die aktuelle sowie zukünftige Entwicklung wird aber definitiv intensive Diskussionen auslösen – und das eben auch um die Höhe der Dividende. Der Impuls sollte und muss meines Erachtens hier aber vom Management ausgehen.

Wie werden Sie abstimmen, haben Sie hierzu schon eine Vorgehensweise festgelegt?

Die Aktionäre, die wir vertreten, und auch die DSW selbst denkt im Kern langfristig und unternehmerisch. Dazu gehört auch ein hohes Maß an Verantwortung für die Zukunft der Gesellschaften. Wichtig ist die Option, nachhaltig und damit langfristig eine gute Dividende zahlen zu können. Kurzfristige, übermäßig hohe Auszahlungen auf Kosten der Zukunft sind definitiv nicht unser Weg.

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Zum Abschluss erlauben Sie mir die Frage, wie Sie die gegenwärtige Situation an den Märkten und bei den Unternehmen aus Sicht der DSW einschätzen?

Schaue ich nach Asien, zeigen die – sicher sehr radikalen – Maßnahmen dort, dass eine Eindämmung des Virus möglich und auch die Rückkehr der Wirtschaftsleistung in Richtung Normalität denkbar ist. Dennoch wird uns Anleger und die Unternehmen der Virus noch lange beschäftigen und weitere Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Die massiven Korrekturen der letzten Tage haben aber bereits vieles vorweggenommen. Kann das Virus schnell eingedämmt werden, werden die Börsen darauf positiv reagieren. Allerdings beunruhigt mich die Situation in den USA.

Die massiven Korrekturen der letzten Tage haben bereits vieles vorweggenommen.

Marc Tüngler

Was beunruhigt Sie dabei konkret?

Mich beunruhigen die Fallzahlen in Kombination mit dem desaströsen Gesundheitssystem und dem bis Freitag vollends saloppen Umgang mit dem Virus in den USA.

Haben Sie einen Ratschlag für Privatanleger?

Auch die nächsten Wochen wird das Anlegerleben alles andere als entspannt ausfallen. Aber sicher ist auch: es wird der Moment kommen, an dem das Vertrauen zurückkehrt. Niemand weiß, wann genau das sein wird. Es braucht ein wenig Geduld. Aber die Übertreibungen der letzten Tage haben viele Kurse schon jetzt auf ein Niveau gedrückt, das schon bald auch gute Kaufgelegenheiten bieten wird.

Die Dividenden- und Hauptversammlungssaison könnte in diesem Jahr vor dem Hintergrund der Coronavirus-Epidemie verschoben werden. Erste Unternehmen haben ihre Termine bereits abgesagt. Weitere fordern zur schriftlichen Stimmabgabe auf. Aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen Anleger zudem damit rechnen, dass Dividendenvorschläge abgeändert werden.

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