Börsianer schauen nach Osten. Während Russland beteuert, keinen Einmarsch in die Ukraine zu planen, scheint sich im Donbass die Lage zuzuspitzen. Am Aktienmarkt würde eine Eskalation kurzfristig wohl einen Knick abwärts auslösen. Doch Analysten raten zum Aussitzen. Auch die Inflation und mögliche Notenbank-Reaktionen bleiben im Fokus der Börsianer. Der Wochenausblick.
Das geopolitisch nervöse Umfeld hatte den deutschen Aktienmarkt zuletzt in Mitleidenschaft gezogen. Auch das längere Wochenende in den USA, wo am Montag wegen eines Feiertags nicht gehandelt wird, sorgte am Freitag für Zurückhaltung.
Der Leitindex DAX ging bei 15.042 Xetra-Punkten ins Wochenende. Damit ergibt sich auf Wochensicht ein Minus von 2,5 Prozent. Der MDAX der mittelgroßen Werte rutschte in der abgelaufenen Börsenwoche um 1,3 Prozent auf 32.972 Punkte. Beim DAX könnte in der neuen Woche die charttechnische Unterstützung bei 14.815 Punkten in den Fokus rücken, wo der Leitindex mehrmals Verlaufstiefs markierte.
Der Westen ist angesichts des russischen Truppenaufmarsches im Grenzgebiet zur Ukraine weiterhin äußerst besorgt. Befürchtet wird, dass die Verlegung Zehntausender Soldaten der Vorbereitung eines Kriegs dienen könnte. Russland weist derartige Pläne zurück. Unterdessen haben die Moskau-treuen Separatisten wegen der Gefahr einer militärischen Eskalation in der Ostukraine Zivilisten zur Flucht ins Nachbarland Russland aufgefordert.
Bundesbürger sollen Ukraine verlassen
Das Auswärtige Amt hat die Reisewarnung für die Ukraine verschärft. Bundesbürger werden zum sofortigen Verlassen des Landes aufgefordert. Die Nato zieht Mitarbeiter ihrer Vertretung in Kiew ab. Und die Lufthansa setzt ab Montag ihre Flüge von und nach Kiew und Odessa aus.
Der britische Premier Boris Johnson drohte Russland entschiedene Sanktionen als Reaktion auf eine Aggression an: "Was immer in den nächsten Wochen passiert, wir können nicht erlauben, dass europäische Staaten von Russland erpresst werden."
Angesichts der besorgniserregenden Entwicklungen in der Ostukraine hat auch Bundeskanzler Olaf Scholz Russland eindringlich vor einem Angriff gewarnt und zu Verhandlungen aufgerufen. "In Europa droht wieder ein Krieg", sagte der SPD-Politiker am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
Finanzminister Christian Lindner befürchtet, dass Russland im Falle eines Krieges mit der Ukraine Gas-Lieferungen nach Deutschland unterbrechen könnte. Dieser Schritt könne die größte europäische Wirtschaft lähmen, warnte der FDP Politiker in einem Interview mit der Financial Times.
Weitere diplomatische Bemühungen
Russlands Präsident Wladimir Putin und sein französischer Kollege Emmanuel Macron wollen am Sonntag erneut miteinander telefonieren. Das bestätigte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Samstag der Staatsagentur Tass. Außenminister Sergej Lawrow gab in einer in Moskau verbreiteten Mitteilung indirekt Deutschland und Frankreich als Vermittler im Ukraine-Konflikt eine Mitschuld an der sich zuspitzenden Lage im Konfliktgebiet.
Im Konfliktgebiet in der Ostukraine ist es in der Nacht zum Sonntag zu neuen Angriffen gekommen. Die Aufständischen in den Gebieten Luhansk und Donezk teilten am Morgen mit, seit Mitternacht seien mehrfach Dörfer beschossen worden. Auch die ukrainische Armee listete am Morgen mehrere Verstöße gegen den geltenden Waffenstillstand, schreibt das Handelsblatt.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte zuvor in München "klare" Aussagen zum viel diskutierten Nato-Beitritt der Ukraine. Niemand sollte denken, dass die Ukraine ein permanenter Puffer zwischen dem Westen und Russland bleibe.
"Auf des Messers Schneide" sieht Analyst Jim Reid von der Deutschen Bank die Lage rund um die Ukraine. Laut dem Analysten Andreas Hürkamp von der Commerzbank dürfte der deutsche Leitindex DAX im Fall eines Einmarschs Russlands in die Ukraine Richtung 14.000 Punkte fallen. Zuletzt stellte die runde Marke von 15.000 Punkten noch eine gute Unterstützung für das Börsenbarometer dar. Der Broker IG taxierte den Weekend-DAX am Sonntag-Morgen bei 14.950 Punkten.
Krise aussitzen
Allerdings, schränkte Hürkamp ein, hätten in der Historie regional begrenzte Kriege die Aktienmärkte oft nur kurzfristig belastet. Daher bestehe für langfristig orientierte Anleger, die in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt Aktienpositionen aufgebaut haben, durchaus die Möglichkeit, die Ukraine-Krise auszusitzen.
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Der Ukraine-Konflikt ist nicht der einzige Belastungsfaktor. Für die Analysten der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) stehen neben der Geopolitik auch die hohe Teuerung beziehungsweise die Antworten der Notenbanken darauf im Fokus. Diese machen ihre Geldpolitik auch davon abhängig, welche Rückschlüsse aktuelle Wirtschaftsdaten auf die Konjunktur und damit die Inflation zulassen.
Neue Konjunkturdaten im Blick
So haben den Helaba-Experten zufolge in den USA jüngst die Einzelhandelsumsätze und die Industrieproduktion positiv überrascht, während regionale Stimmungsindikatoren eher enttäuscht hätten. In der neuen Woche folgten nun unter anderem mit den Neubau-Verkäufen am Donnerstag und den Auftragseingängen langlebiger Güter am Freitag weitere Daten, die Hinweise zur Politik der tonangebenden US-Notenbank geben können.
An den Märkten wird laut Helaba spekuliert, ob die Fed im März den Zinserhöhungszyklus mit einem kleinen oder großen Schritt beginnen wird. Von den Fed-Mitgliedern seien dazu widersprüchliche Signale gekommen.
Nach Auffassung des Analysten Sven Streibel von der DZ Bank wird die Notenbank-Rhetorik insgesamt zwar schärfer. Nach der Fed und der britischen Notenbank stelle nun auch die Europäische Zentralbank eine restriktivere Geldpolitik in Aussicht. Allerdings sei die derzeit antizipierte US-Zinswende schon überregional vollumfänglich in den Kursen berücksichtigt. Anleger fürchten, dass bei unerwartet stark steigenden Zinsen zur Bekämpfung der Inflation Aktien gegenüber Anleihen in einem schlechteren Licht erscheinen.
Mit Blick auf die hierzulande anstehenden Konjunkturdaten richtet sich die Aufmerksamkeit am Dienstag auf den Ifo-Geschäftsklima-Index für Februar. Dieser dürfte laut Helaba wegen der anstehenden Corona-Lockerungen leicht zulegen. Unsicherheiten durch die Ukraine-Krise und Belastungen durch hohe Energiekosten blieben allerdings.
Weitere Geschäftszahlen
Darüber hinaus dürften in der neuen Woche auch Geschäftszahlen von weiteren Unternehmen neue Impulse liefern. Am Dienstag etwa öffnen aus dem DAX der Medizinkonzern und Krankenhaus-Betreiber Fresenius sowie seine Dialyse-Tochter Fresenius Medical Care ihre Bücher. Am Mittwoch folgen unter anderem der Rückversicherer Munich Re und Henkel. Am Donnerstag schauen die Anleger zum Beispiel auf die Quartalszahlen der Deutschen Telekom sowie HeidelbergCement und am Freitag auf die Resultate des Chemie-Konzerns BASF.
Aus der zweiten und dritten Reihe sowie dem Ausland legen in der neuen Woche unter anderem auch folgende Unternehmen neue Zahlen vor: Aareal Bank, Alibaba, Booking, Dr.Hönle, Ebay, Frosta, Hochtief, Home Depot, Norsk Hydro, Puma, Rio Tinto, Stellantis, Swiss Re und Telefonica. (Mit Material von dpa-AFX)
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