Nach den Negativ-Berichten der Financial Times (FT) zu Jahresbeginn hat Wirecard selbst schwere Vorwürfe gegen das Blatt erhoben und klagt. Tatkräftige Unterstützung bekommt sie dabei von der Börsenaufsicht BaFin. Doch ein Pressebericht zeigt nun: Die Beweislage ist dünn.
Nachdem die FT-Artikel den Kurs der Wirecard-Aktie seit Ende Januar massiv unter Druck brachten, ist die BaFin dem Unternehmen rasch zur Seite gesprungen. In einer bis dato einmaligen Aktion verhängte sie am 18. Februar ein Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien und legte Anfang April eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Marktmanipulation bei der Staatsanwaltschaft München I nach.
Viele Vermutungen, kaum Beweise
Diese liegt inzwischen der Süddeutschen Zeitung (SZ) vor – und enthalte nur „dünne Indizien“ gegen Dan McCrum und Stefania Palma, die beiden FT-Autoren, gegen die sich die Anzeige unter anderem richtet. Der von Wirecard erhobene Vorwurf, die FT habe sich mit Spekulanten verbündet, findet sich in der Strafanzeige allenfalls als Vermutung wieder.
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Das Zusammenspiel von bestimmten Abläufen an der Börse und negativen Presseberichten sei „außergewöhnlich“ gewesen und wecke den Verdacht, dass mehrere Händler vorab über die FT-Berichte informiert waren, erklärt die BaFin gegenüber der SZ.
In der Anzeige sei eine Reihe verdächtiger Transaktionen aufgeführt. So hätten drei Händler mit Wetten auf fallende Kurse der Wirecard-Aktie rund um die Veröffentlichung des Artikels am 30. Januar zwischen 195.000 und 366.000 Euro verdient.
Allerdings: Zu diesem Zeitpunkt hätten neben der FT auch „etliche Personen“ bei Wirecard selbst sowie bei einer vom Unternehmen beauftragte Anwaltskanzlei in London von der unmittelbar bevorstehenden Veröffentlichung des Berichts gewusst. „Ein Leck könnte es folglich an mehreren Stellen gegeben haben“, resümiert die SZ. Dass die Informationen von Dan McCrum selbst weitergegeben wurden, davon ist in der Anzeige kein Wort zu lesen.
Ein Vorwurf wird dagegen daraus konstruiert, dass die Financial Times ihre belastenden Artikel über mehrere Tage hinweg veröffentlicht hat – „ein Anhaltspunkt dafür, dass McCrum über einen längeren Zeitraum eine möglichst große Wirkung auf den Aktienkurs von Wirecard habe entfalten wollen.“
„BaFin vs. Presse“ statt „Wirecard vs. FT“?
Die SZ-Autoren wittern gar einen Angriff auf die Pressefreiheit. Zumindest stelle sich die Frage, „ob bei der Bafin nicht ein elementares Missverständnis vorliegt über Arbeit und Funktion der Presse“ vorliege. Und ob die „Vorschriften zum Schutze des Aktienhandels überhaupt anwendbar sind auf die Arbeit von Journalisten.“
Die Situation ist verworren, in den meisten Fällen steht Aussage gegen Aussage. Ob und wann die gegenseitigen Anschuldigungen vollständig geklärt werden können, steht in den Sternen. Im Gegensatz zur BaFin ist die Lage für die Staatsanwaltschaft nämlich alles andere als klar: „Ich habe meist ein Grundgefühl für einen Fall, aber das fehlt mir hier völlig“, zitiert die SZ Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl. „Es ist schwer zu sagen, wohin es geht.“
Auf die Kursentwicklung der Wirecard-Aktie wirkt sich der SZ-Artikel am Freitagvormittag kaum aus. Wer auf ein Comeback spekuliert weiß aber inzwischen, dass der Zwist mit der FT und die daraus resultierenden Untersuchungen die starke operative Entwicklung des Zahlungsabwicklers aktuell in den Schatten stellen.
Hinweis nach §34 WPHG zur Begründung möglicher Interessenkonflikte: Aktien oder Derivate, die in diesem Artikel besprochen / genannt werden, befinden sich im "Real-Depot" von DER AKTIONÄR.