Wirecard steckt in heftigen Turbulenzen. Die Aktie ist zum Spielball von Leerverkäufern geworden. Auslöser all dessen: Die Financial Times. Ein neuer Bericht weckt nun Zweifel an der gesamten Story. Die FT selbst könnte in den Fokus der Ermittlungen geraten. Die Akte Wirecard, sie ist inzwischen eine Geschichte über auffällige Bewegungen bei Short-Positionen, Anwälte mit Klagemut, fragwürdige journalistische Praktiken und Anleger, die all das ertragen müssen. Lesen Sie hier alles, was Sie über den Fall Wirecard jetzt wissen müssen.
Der Aschheimer Zahlungsdienstleister Wirecard AG sieht sich nach einem rasanten Börsenaufstieg derzeit Manipulationsvorwürfen ausgesetzt, vorgetragen von der britischen Wirtschaftszeitung Financial Times. Zum Krimi stilisiert, reagieren Aktionäre zunehmend verunsichert. Täglich neue Wendungen tragen ihr Übriges dazu bei. Gestern Abend ereilte sie eine Nachricht, die Verschwörungstheorien nährt. Eine Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse.
In den vergangenen Tagen glich der Verlauf des Börsenkurses der Wirecard AG einer rasanten Achterbahnfahrt, Modell Geisterbahn mit Horror-Szenerie und ungeheuerlichen Überraschungs-Effekten. Angetrieben wurde die Fahrt von Berichten der renommierten britischen Wirtschaftszeitung Financial Times. Sie hat in den vergangenen Tagen und Wochen mehrere Berichte veröffentlicht mit dem Vorwurf von Kontomanipulationen und Dokumentfälschungen gegen eine Tochter der Wirecard AG in Singapur. Darin werden dem Unternehmen Scheinumsätze mit verschobenen Geldern vorgeworfen. Wirecard dementierte jeden der Berichte umgehend und stellte klar, dass keine Regelverstöße festgestellt wurden. Die FT wiederum erklärte auf Nachfrage des AKTIONÄR Börsen.Briefing. „Wir stehen zu unserer Geschichte und zur Integrität unserer Berichterstattung.“ Die Aktie schwankte in den darauffolgenden Tagen extrem, auch am Mittwoch fiel sie erneut unter die Marke von 100 Euro.
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Derart große Kursschwankungen sind bei Dax-Unternehmen sehr ungewöhnlich. Deshalb prüft die Finanzaufsicht Bafin derzeit, ob es sich um eine gezielte Attacke von Spekulanten handelte. Auch die Staatsanwaltschaft München ermittelt inzwischen wegen Marktmanipulation gegen unbekannt. Die Ermittler haben keinen Anfangsverdacht auf Manipulationen durch die Konzernspitze festgestellt. Zwei Vorstandsmitglieder nutzten Mitte vergangener Woche das stark ermäßigte Niveau, um Anteile des eigenen Unternehmens zu erwerben. Die sogenannten Director Dealings wurden als Vertrauensbeweis aufgefasst.
Das sind die (bekannten) Leerverkäufer
Fakt ist, dass immer wieder in größerem Stil mit sogenannten Leerverkäufen gegen das Unternehmen spekuliert wird. Auch wenn die Quote zuletzt sprunghaft angestiegen ist, hat sie noch nicht das Niveau vorheriger Jahre erreicht.
Leerverkäufer sind Spekulanten, die mit fallenden Kursen Geld verdienen. Derzeit sind beim Bundesanzeiger zwei Hedgefonds gemeldet, die mit größerem Einsatz auf Kursverluste der Wirecard-Aktie setzen: die US-Investoren Slate Path Capital sowie Odey Asset Management. Allein Slate Path hält Leerverkaufspositionen in Höhe von 1,50 Prozent des Wirecard-Aktienkapitals, was 1,85 Millionen Papieren entspricht.
Brisant ist die Präsenz der Leerverkäufer angesichts der Tatsache, dass die Short-Quote bereits vor Erscheinen des ersten Artikels in der Financial Times angestiegen ist. Ein neutraler Grund könnte sein, dass Wirecard am Tag der ersten Veröffentlichung in der FT vorläufige Zahlen meldete, also wenige Stunden vor Erscheinen des kritischen Artikels. Im Vorfeld hätten Leerverkäufer auf eine infolge enttäuschender Werte schwächeren Kursentwicklung spekulieren können. Gegen diese These spricht allerdings, dass die Eckdaten ohne Vorankündigung bekannt gegeben wurden. Der Termin dafür stand also nicht fest, so dass eine Positionierung auf der Short-Seite mit Blick auf eine etwaige Enttäuschung hier rein spekulativer Natur gewesen wäre.
Sprunghaft war auch der Anstieg vor Erscheinen des zweiten Artikels. Wir berichteten im AKTIONÄR Börsen.Briefing. am Morgen des 7. Februar unter Verweis auf Daten von IHS Markit, dass die Short-Quote bis zum 5. Februar im Vier-Wochen-Vergleich um 284 (!) Prozent auf 6,2 Prozent der Marktkapitalisierung angestiegen sei. Wir schrieben weiter: „Alarmierend wäre die hohe Short-Quote (…) dann, wenn man die bisherigen Ereignisse als Short-Attacke interpretieren würde. Denn dann würde der jüngste Anstieg der Quote darauf hindeuten, dass in Kürze eine weitere negative Meldung erscheinen könnte.“ Am Nachmittag desselben Tages erschien der zweite von insgesamt drei Berichten in der Financial Times und löste den berichteten Kurssturz aus.
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Das sind die neuesten Erkenntnisse
Gestern Abend nach Xetra-Schluss um 18:03 Uhr veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf ihrer Website einen Artikel, in dem die Journalisten darlegen, der Staatsanwaltschaft München I läge die Aussage eines Leerverkäufers vor, derzufolge dieser bereits vor der Veröffentlichung der Artikel in der Financial Times wusste, wann diese erscheinen würden. Sofern sich diese Nachricht bestätigt, hätte die Aussage enorme Sprengkraft. Denn: Dann würde die Financial Times selbst ins Visier der Ermittler geraten, und es stünde der Verdacht im Raum, jemand bei dem renommierten Wirtschaftsblatt hätte die Information an den Leerverkäufer durchgestochen. Eine Anfrage hierzu an die FT blieb bisher unbeantwortet.
Bereits in der Vergangenheit wurde über Verbindungen von FT-Redakteur Dan McCrum zu Leerverkäufern diskutiert, ohne dass jemand einen konkreten Bezug gezogen hätte. Aber selbst wenn, verboten wäre das allein nicht. Das gezielte Durchstechen von derart sensiblen Informationen an einen Leerverkäufer aber dürfte nicht nur gegen ethische, sondern auch gegen juristische Grundsätze verstoßen.
Nun kann man nach dem Bericht der FAZ davon ausgehen, dass Theorien um eine Verschwörung angelsächsischer Medien und Investoren gegen die Wirecard AG in den kommenden Tagen an Dynamik gewinnen werden. Wirecard war bereits in der Vergangenheit mehrfach Ziel von Attacken von Shortsellern, wobei auch die Financial Times eine Rolle spielte. Etwa als sie vor rund drei Jahren einen kritischen Bericht der ominösen Firma Zatarra Research veröffentlichte und damit damals wie auch in den zurückliegenden Tagen einen massiven Kurssturz auslöste. Gegen den Herausgeber der Zatarra-Studie wurde inzwischen ein Verfahren eingeleitet. Die damals vorgebrachten Vorwürfe konnten nicht belegt werden.
Warmlaufen der Sammelkläger
Während Wirecard in Deutschland um die Gunst der Anleger kämpft, haben in den USA mehrere Kanzleien Aufrufe gestartet, um von Kursverlusten betroffene Anleger als Mandanten zusammenzutrommeln. Die erste Klage im Namen eines Anlegers, der sich durch irreführende oder falsche Angaben von Wirecard geschädigt sieht, wurde bereits am vergangenen Freitag bei einem Bundesbezirksgericht in Los Angeles eingereicht. Neben dem Unternehmen sind in der Klageschrift auch Wirecard-Manager wie Vorstandschef Markus Braun als Beschuldigte aufgeführt.
Unter den Anwaltsfirmen, die das Dax-Unternehmen ins Visier nehmen, ist auch die bekannte US-Kanzlei Hagens Berman, die schon etlichen anderen Konzernen wie etwa Volkswagen im "Dieselgate"-Skandal zu schaffen machte. "Wir konzentrieren uns auf Verluste von Investoren, das Ausmaß, in dem die Unternehmensführung an Luftbuchungen beteiligt gewesen sein könnte, und die Frage, ob Anleger womöglich in die Irre geführt wurden", teilte Hagens-Berman-Partner Reed Kathrein mit.
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Wirecard selbst sieht den Klagen eigenen Angaben zufolge entspannt entgegen. "Da die Vorwürfe keine Grundlage haben, gibt es auch keine Grundlage für potenzielle Klagen in dieser Angelegenheit", sagte ein Sprecher am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. "Zumindest nicht, soweit sie sich gegen Wirecard richten sollten."
Der deutsche Rechtsanwalt Andreas W. Tilp erklärte gegenüber dem AKTIONÄR, Ansprüche entstünden erst dann, wenn sich die Vorwürfe bestätigen würden. Das vollständige Interview mit dem Juristen lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des AKTIONÄR (08/19), die Sie hier als ePaper herunterladen können.
Die Folgen für Wirecard und seine Aktionäre
Die Folgen der Berichterstattung in der Financial Times sind vielfältig. Die Aktie der Wirecard AG hat innerhalb kürzester Zeit seit Erscheinen des ersten Artikels am 30. Januar rund 40 Prozent ihres Wertes verloren. Insgesamt verminderte sich der Wert der Gesellschaft um rund 8,65 Milliarden Euro. Zwischenzeitliche Erholungsversuche wurden durch neue Berichte zunichtegemacht. Investierte Anleger sitzen in der Folge bisher auf ihren Buchverlusten fest. Die Wirecard AG lässt die Vorwürfe von der renommierten Compliance-Kanzlei Rajah & Tann prüfen. Die Ergebnisse sollen im Laufe der kommenden Wochen vorliegen und veröffentlicht werden. Das Management um CEO Dr. Markus Braun, der sich zuletzt per Twitter zu Wort meldete und auf eine gute Entwicklung der Geschäfte im Januar verwies, hat nun die Herkules-Aufgabe vor sich, das Vertrauen der Aktionäre und Marktteilnehmer durch Transparenz wiederzugewinnen (Lesen Sie hierzu auch: Wirecard: Die Wahrheit über die Gründe für den Sturz der Aktie – Kommentar).
Marktmeinungen überwiegend positiv
Analysten halten dem Unternehmen nach wie vor überwiegend die Stange. Zuletzt tanzten nur die DZ Bank und HSBC aus der Reihe und revidierten ihre Kursziele nach unten, nicht aber ihre grundsätzlich positiven Einschätzungen.
Auch in den sozialen Medien wird der Fall Wirecard heftig diskutiert. Das Spektrum reicht dabei von Unverständnis für die Berichterstattung der Financial Times bis hin zu Zweifeln am Geschäftsmodell der Wirecard AG. Der Grundtenor ist aber in der Summe eher pro Wirecard.
Viel Raum für neue Entwicklungen
Die derzeitige Meldungslage, allen voran der am gestrigen Mittwoch veröffentlichte Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, lassen viel Raum für neue Entwicklungen in den kommenden Tagen. Anleger, die mit weiteren Turbulenzen rechnen, sollten insbesondere eine technische Wendemarke im Auge behalten, die seit 2010 bei allen Crashes zuverlässig die Trendwende einläutete. Sollte sie unterschritten werden, könnte ein weiterer Zusammenbruch drohen. Eine Einschätzung des AKTIONÄR finden Sie in der aktuellen Ausgabe des Magazins (08/19), die Sie hier als ePaper herunterladen können.
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Wirecard AG in wenigen Sätzen erklärt:
Wirecard ist ein deutscher Zahlungsdienstleister mit Sitz im bayerischen Aschheim bei München. Der Konzern ist spezialisiert auf die Abwicklung von elektronischem Zahlungsverkehr und hat in den vergangenen Jahren vor allem vom Boom bei Online-Bezahlungen profitiert. Im September war das Unternehmen nach rasantem Wachstum in den Dax aufgenommen worden und hatte dort die Commerzbank ersetzt.
Mit Material von dpa-AFX
Ein Artikel von Leon Müller, Chief Editor AKTIONÄR Börsen.Briefing. (www.boersenbriefing.de)
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