Am Freitag fand die lang erwartete Hauptversammlung bei ThyssenKrupp endlich statt. Während eine Lösung für den Stahlbereich weiter auf sich warten lässt, wird immer mehr deutlich, welch wichtige Rolle das Thema Wasserstoff bei der künftigen Strategie des Industriekonzerns spielen soll.
Mit dem Bau von Anlagen zur Produktion von Wasserstoff will ThyssenKrupp zurück in die Erfolgsspur. Man habe „eine sehr gute Ausgangsposition auf diesem dynamisch wachsenden Markt“, sagte die Vorstandsvorsitzende Martina Merz auf der virtuellen Hauptversammlung. ThyssenKrupp verfüge über die „einzig schon großtechnisch realisierte Technologie, um Wasser unter Einsatz von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen“.
Merz hat auch deshalb den geplanten Verkauf des Chemieanlagenbaus vorerst gestoppt. „Wir bewerten das Potenzial insbesondere unserer Wasserstoffaktivitäten neu“, sagte sie dazu. Das weltweite Marktpotenzial für Wasserelektrolyse werde für das Jahr 2030 auf 20 bis 40 Milliarden Euro Umsatz geschätzt. Hier sei ThyssenKrupp "gut positioniert".
Was passiert mit dem Stahl?
Der Traditionskonzern, der im vergangenen Geschäftsjahr einen Milliardenverlust eingefahren hat, sucht nach einem neuen Geschäftsmodell. Ob die Stahlerzeugung weiter dazu gehören wird, ist noch offen. Eine Entscheidung will der Vorstand im März treffen, wie Merz bekräftigte. Der britisch-indische Unternehmer Sanjeev Gupta hat ein Übernahmeangebot vorgelegt und will die Stahlerzeugung der Essener in seinem Konzern Liberty Steel aufgehen lassen. Merz lässt zudem Alternativen zu einem Verkauf entwickeln, unter anderem eine Abspaltung vom Kernkonzern.
Aktionärsvertreter bezweifeln, dass ThyssenKrupp die finanzielle Kraft hat, den Stahlbereich zu sanieren und gleichzeitig massiv in die Wasserstofftechnik zu investieren. Der Vorstand müsse „eine klare Richtungsentscheidung“ treffen, forderte Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Deka Investment in einer schriftlichen Stellungnahme. Es stelle sich die Frage: „Kann ThyssenKrupp überhaupt Stahl?“ Henrik Ponzen von der Fondsgesellschaft Union Investment sieht in der Wasserstoffwirtschaft „eine historische Chance für ThyssenKrupp, um sich neu zu erfinden“.
ThyssenKrupp steht unter Zeitdruck. Für den Stahl muss eine Lösung her, das wird kurzfristig entscheidend. Das Trendthema Wasserstoff verleiht immerhin Fantasie und ist ein Hoffnungsträger für den Konzern. Spekulative Anleger setzen auf steigende Kurse, sollten aber weiterhin Rückschläge bei der Sanierung einkalkulieren.
Mit Material von dpa-AFX