Die Furcht vor möglicherweise extremen wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Krise hat viele Investoren aus Aktien getrieben. Auch am deutschen Aktienmarkt rauschten die Kurse abwärts. Nun stellt sich die Frage: Wann ist der Tiefpunkt erreicht? Zumindest eine deutliche Gegenbewegung sollte nun niemanden überraschen. Ein Wochenausblick.
Die Experten sind sich uneins. Die einen befürchten, es könnte mit den Kursen durchaus noch weiter nach unten gehen. Die anderen meinen, in der neuen Woche würden Schnäppchenjäger zugreifen und so für etwas Beruhigung sorgen. Am Freitag – nach Xetra-Handelsschluss in Deutschland – gab es in den USA bereits einen kleinen Run auf Aktien.
Hoffnung in den USA
Der Dow Jones Industrial rückte um satte 9,4 Prozent auf 23.185 Punkte vor. Damit konnte der US-Leitindex einen Großteil der hohen Verluste des Vortages wieder aufholen. Auf Wochensicht ist für den Dow gleichwohl noch immer ein herber Verlust von mehr als zehn Prozent aufgelaufen.
US-Präsident Donald Trump hat wegen der Ausbreitung des Coronavirus in den USA einen nationalen Notstand ausgerufen. Mit der Maßnahme würden weitere Bundesmittel in Höhe von bis zu 50 Milliarden Dollar zur Bekämpfung des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 freigesetzt, sagte Trump. Die Ausrufung des Notstands gibt Trump weitreichende Befugnisse, unter anderem den Zugriff auf einen Fonds mit Mitteln zur Katastrophenhilfe. Nach den Aussagen des Präsidenten bauten die Aktienkurse im späten Handel die Gewinne stark aus.
Der DAX war zuvor mit einem bescheidenen Tagesplus von 0,8 Prozent höher bei 9.232 Punkten ins Wochenende gegangen. Nachbörslich stieg der deutsche Leitindex dann aber auf gut 9.600 Zähler. Es blieb ein Xetra-Wochenminus von 20 Prozent. Der MDAX der mittelgroßen Werte schloss auf 20.256 Punkten mit einem Wochenverlust von 18 Prozent.
Man muss kein Chart-Experte sein, um zu erkennen, dass auf den Abverkauf nun eine baldige Gegenbewegung folgen dürfte. So ist die 200-Tage-Linie nun vom Xetra-Schluss gesehen etwa 36 Prozent entfernt. Die Korrektur von der Korrektur wird kommen, sind auch Experten überzeugt.
Attraktives Einstiegsniveau
Laut dem Finanzexperten Andreas Büchler vom Börsenmagazin Index Radar müsste der Kursrutsch allmählich ein baldiges Ende finden – wenn auch nur temporär. Denn die niedrigen Kurse stellten ein attraktives Einstiegsniveau dar. Allerdings bezweifelt Büchler, ob Anleger bei der gegebenen Nervosität am Markt schon wieder dauerhaft investieren wollen.
Für Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank, steht und fällt die Stimmung mit der Zahl der Infizierten. Sie sei die Messlatte für die Kurse am Kapitalmarkt – nicht etwa die klassischen Konjunkturdaten. Kater geht davon aus, dass der Höhepunkt der Ausbreitung – und damit der Tiefpunkt der Kurse – in Europa schneller erreicht wird als in den USA.
Verlangsamung der Corona-Ausbreitung elementar
Die Politik könne die erratischen Finanzmärkte nur beruhigen, wenn die Zahl der Neuinfizierungen gesenkt werden kann, die Ausbreitung der Krankheit verlangsamt wird. Dieser Meinung schließt sich auch Robert Greil an, Chefstratege von der Privatbank Merck Finck. "Es wird immer klarer, dass der Markt nur noch auf eines wartet: Positive News in Sachen Coronavirus".
Bis Sonntag-Morgen ist die Zahl der Covid-19-Infizierten vor allem in Europa weiter deutlich angewachsen. In Italien wurden über 21.000 Fälle registriert, in Spanien über 6.300, in Deutschland fast 4.600, in Frankreich etwa 100 weniger. Einen großen Sprung machte die Schweiz, wo zuletzt fast 1.400 Infizierte erfasst wurden – eine Verdoppelung seit vergangenem Mittwoch. Immer mehr Länder schließen ihre Grenzen für Reisende, die aus diesen Ländern kommen.
EZB hat enttäuscht
Für viele dürften auch die geldpolitischen Entscheidungen, die EZB-Chefin Christine Lagarde am Donnerstag verkündete, hinter den Erwartungen zurückgeblieben sein. Zwar weitet die Europäische Zentralbank (EZB) einerseits ihre Anleihenkäufe für das laufende Jahr um 120 Milliarden Euro aus, wovon insbesondere Unternehmen profitieren sollen. Mit günstigen Langfristkrediten will sie andererseits Banken dazu bewegen, kleine und mittelgroße Unternehmen mit Geld zu versorgen. Doch den Leitzins beließ die Notenbank bei null. Und Lagarde stellte klar: Richtungsweisende Entscheidungen seien vonseiten der Politik zu treffen, nicht von der EZB selbst.
Tatsächlich folgte wenig später ein Mega-Kredit-Paket durch die Bundesregierung. Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier kündigten unbegrenzte Kreditprogramme für betroffene Firmen an. Zudem sollen Steuern und Abgaben in Milliarden-Höhe gestundet werden.
Die Experten der Commerzbank hatten ein klareres Signal der EZB erwartet. Und bezweifeln, ob in der Geldpolitik schon das letzte Wort gesprochen ist. "Sollten die Erschütterungen an den Märkten anhalten, dürfte sie noch einmal nachlegen", schreiben die Ökonomen Michael Schubert und Bernd Weidensteiner. Sie rechnen damit, dass die EZB das Anleihenkauf-Programm reaktivieren könnte, also Staats- und Unternehmensanleihen am Sekundärmarkt aufkauft.
Notenbanken bleiben im Fokus
Auch in der kommenden Woche bleiben die Notenbanken im Fokus. In den USA war die Fed zuletzt mit einer Senkung des Leitzinses vorgeprescht, deren Effekt weithin verpuffte. Wenn Jerome Powell am Mittwochabend erneut vor die Presse tritt, dürfte der Leitzins dem Vernehmen nach abermals nach unten korrigiert werden. Auch die US-Notenbank hätte damit ihren Spielraum nahezu aufgebraucht.
Ferner scheint fraglich, welchen effektiven Nutzen eine weitere Zinssenkung hätte, meint Michael Hewson vom Analysehaus CMC Markets. Mehr Geld allein könne das Problem nicht beheben, weil es sich nicht bloß um eine Krise der Nachfrage handelt, sondern auch um eine des Angebots.
Berichtssaison geht weiter
Mit Spannung wird am Markt erwartet, wie Unternehmen mit der um sich greifenden Verunsicherung umgehen. Und auf welcher Grundlage sie ihre Prognosen formulieren. Ein Aufschlag gibt am Montag der Versicherungskonzern Talanx, Mehrheitseigner bei der Hannover Rück. Bereits seit Februar ist bekannt, dass der Versicherungskonzern 2019 einen Rekordgewinn einfahren konnte. Ungewiss bleibt noch, in welchem Umfang er seine Aktionäre beteiligt.
Am Mittwoch beziehungsweise am Donnerstag rücken mit Rheinmetall und Lufthansa zwei Traditionsunternehmen in den Fokus, die ihr Zahlenwerk für 2019 vorstellen. Beide stehen unter Druck. Rheinmetalls Ergebnis lag zwar über den Erwartungen der Analysten, jedoch dürfte das Coronavirus den Rüstungskonzern zu schaffen machen. Positiv dürfte sich auswirken, dass die Auftragsbücher in der wichtigen Rüstungssparte eher langfristig angelegt sind.
Anders ist es bei der Lufthansa. Der durch den Coronavirus empfindlich getroffenen Luftfahrt-Branche wurde erst zur Nacht auf Donnerstag der nächste Nackenschlag verpasst: Nach dem von US-Präsident Donald Trump verfügten Einreisestopp für Europäer bricht die wichtige Route über den Nordatlantik fast gänzlich weg. Wegen der ausbleibenden Nachfrage musste der Luftfahrtkonzern seine Flüge bereits zuvor drastisch zusammenstreichen.
Am späten Freitagabend wurde bekannt, dass sie Lufthansa wegen der schweren Krise die Dividende für ihre Aktionäre streichen will. Der Schritt solle helfen, die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens zu sichern, wie die Lufthansa mitteilte. (Mit Material von dpa-AFX)