Pannen, Unfälle, Qualitätsprobleme, Lieferschwierigkeiten, Stornierungen, Geldmangel, Mitarbeiter-Steik – die Aufzählung von Boeing-Problemen nimmt kein Ende. Am Mittwoch hat der einst größte Luftfahrt-Konzern der Welt neue Horror-Zahlen veröffentlicht. Und der neue Chef macht wenig Hoffnung. Die Boeing-Aktie rutscht wieder.
Die Eckdaten vergangene Woche ließen bereits Schlimmes ahnen. Am Mittwoch nun legte Boeing vor US-Börsenstart endgültige Quartalszahlen vor. Und die sind tiefrot. Wegen des wochenlangen Streiks von 33.000 Beschäftigten, einer weiteren
Verzögerung beim modernisierten Großraumjet 777X und wegen milliardenschwerer
Mehrkosten in der Rüstungs- und Raumfahrt-Sparte stand im Q3 unter dem Strich
ein Minus von fast 6,2 Milliarden US-Dollar. Der Verlust je Aktie betrug 9,97 Dollar, der operativen Cash-Abfluss 1,3 Milliarden Dollar.
Angesichts der Verluste braucht der Konzern dringend frisches Geld.
Dank einer neuen Kreditlinie von 10 Milliarden Dollar hat der Hersteller
nach eigenen Angaben jetzt Zugriff auf 20 Milliarden Dollar von den
Banken. Zudem plant er nach jüngsten Angaben eine Kapitalerhöhung und
die Aufnahme neuer Schulden in Höhe von bis zu 25 Milliarden Dollar.
Um die Kosten zu senken, will Ortberg in absehbarer Zeit rund jede zehnte Stelle im Konzern streichen. Zum vergangenen Jahreswechsel zählte Boeing noch insgesamt 170.000 Beschäftigte.
Immerhin: Im Tarifstreit mit der Gewerkschaft IAM zeichnet sich inzwischen eine Lösung ab. Der Flugzeugbauer bietet den Mitarbeitern nun unter anderem eine Einkommenserhöhung von 35 Prozent über eine Laufzeit von vier Jahren an. Die Gewerkschaft will ihre rund 33.000 Mitglieder kurzfristig über den Vorschlag abstimmen lassen.
Der neue Boeing-Chef Kelly Ortberg bereitet Anleger und Mitarbeiter nach über fünf Jahren Dauerkrise auf eine noch längere Durststrecke vor. Es werde Zeit brauchen, um den Konzern wieder zu alter Stärke zurückzubringen, sagte der Chef des Luftfahrt- und Rüstungskonzerns am Mittwoch angesichts des weiteren Milliarden-Verlusts. "Aber mit dem richtigen Fokus und der richtigen Kultur können wir wieder ein ikonisches Unternehmen und ein führender Luftfahrt-Konzern werden."
Vertrauen zerbröselt
In einem Brief an die Mitarbeiter räumte Ortberg ein, dass das Vertrauen in den US-Konzern zerbröselt sei. "Wir haben zu viele Schulden angehäuft." Zudem seien im ganzen Unternehmen "schwerwiegende Leistungsmängel zu verzeichnen, die viele unserer Kunden enttäuscht haben". Jetzt müsse der Konzern sich neu ordnen und ein schlankeres Unternehmen werden.
Boeing steckt seit dem Jahr 2019 in einer schweren Krise. Nach dem Absturz zweier Mittelstreckenjets vom Typ 737 Max hatten Luftfahrtbehörden in aller Welt Flugverbote für das Modell verhängt. Nach technischen Verbesserungen dürfen die Jets zwar weitgehend wieder fliegen, doch seitdem tauchten an einer Vielzahl von Boeing-Modellen neue Probleme auf.
Zu den Problemkindern zählen auch der jüngste Langstreckenjet 787 "Dreamliner" und das Raumschiff "Starliner". Nachdem Boeing in diesem Jahr bereits den Chef der Verkehrsflugzeug-Sparte ausgetauscht hatte, musste inzwischen auch der Chef der Raumfahrt- und Rüstungssparte gehen.
Im Massengeschäft mit Passagierflugzeugen ist Boeing schon lange hinter seinen Rivalen Airbus zurückgefallen. Der einstige Herausforderer aus Europa stieg bereits zu Beginn von Boeings Krise im Jahr 2019 zum größten Flugzeug-Hersteller der Welt auf und hat die Position seitdem klar verteidigt.
Boeing-Aktie scheitert an GD50
Die Boeing-Aktie rauschte im frühen US-Handel wieder abwärts und markierte bei 155,05 Dollar ein frühes Tagestief. Die Überwindung des 50-Tage-Durchschnitts scheitert offenbar, ein erneuter Test der Zwei-Jahres-Tiefstände bei gut 146 Dollar scheint denkbar.
Die weitgehend hausgemachten Probleme von Boeing werden den Konzern noch viel Zeit und Geld kosten. Bis unter der neuen Führung die Bilanz saniert ist, das Portfolio gestrafft und die Entwicklung verbessert ist, wird es wohl noch Jahre dauern. Ein Investment in die Boeing-Aktie ergibt vor diesem Hintergrund derzeit wenig Sinn. Erst wenn (auch im Boeing-Chart) ine Trendwende sichtbar wird, dürften Aktienkäufe wieder lohnen. Anleger warten daher ab.
Besser sieht es bei DAX-Konzern Airbus aus. DER AKTIONÄR hat ein Kursziel von 150 Euro ausgegeben.
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(Mit Material von dpa-AFX)
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Der Vorstand der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Leon Müller, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Boeing.