Seit Monaten wurde an den Verträgen geschraubt und gewerkelt. In der Nacht zum Montag nun die Vollzugsmeldung: Boeing kauft den angeschlagenen Zulieferer Spirit AeroSystems zurück und will damit seine schlagzeilenträchtigen Qualitätsprobleme in den Griff bekommen. Vier Spirit-Werke, in denen Teile für Airbus gebaut werden, bekommen die Europäer – als Mitgift.
Der kriselnde US-Flugzeugbauer Boeing holt nach einer langen Pannenserie den wichtigen Zulieferer Spirit AeroSystems in einem rund 4,7 Milliarden Dollar schweren Aktien-Deal wieder zurück unter das Konzerndach. Inklusive der Spirit-Schulden werde der Rückkauf mit 8,3 Milliarden Dollar bewertet, teilte der Flugzeugbauer mit. Der Boeing-Konkurrent Airbus wird im Rahmen des Deals auch einige Werke übernehmen.
Bei Spirit wird unter anderem der Rumpf von Maschinen des Typs Boeing 737 gebaut. Das 2005 von Boeing abgespaltene Unternehmen produzierte nach späteren Zukäufen auch Teile von Tragflächen und Rumpf-Fragmente für Airbus. Dafür musste eine Lösung gefunden werden, bevor Boeing sich Spirit wieder einverleiben konnte. Die Spirit-Aktionäre erhalten dabei Boeing-Aktien. Schon länger wird kritisiert, die Abspaltung der einstigen Boeing-Sparte habe es schwer gemacht, die Qualitäts-Standards einzuhalten.
Der scheidende Boeing-Chef Dave Calhoun sagte, die Übernahme von Spirit sei im Interesse aller Flugpassagiere, der Fluggesellschaften, der Beschäftigten, der Aktionäre "und ganz allgemein des Landes". Durch die Wiedereingliederung von Spirit könne Boeing das Produktionssystem ganz auf Sicherheit und Qualität ausrichten.
Schlampereien bei Spirit waren als ein Grund für mehrere Pannen mit Boeing-Flugzeugen ausgemacht worden, zuletzt als Anfang Januar bei einem Boeing-737-Max-9-Flugzeug von Alaska Air während des Flugs ein Teil der Kabinenwand herausgefallen war.
Mitgift von Spirit
Der europäische Boeing-Konkurrent Airbus teilte seinerseits mit, dass man große Teile von vier Werken in den USA, Nordirland, Frankreich und Marokko übernehmen werde. Der Rumpf des Langstreckenmodells A350 kommt aus Kinston im US-Bundesstaat North Carolina und aus Saint Nazaire in Frankreich, die Flügel und ein Teil des Rumpfs der A220 aus Belfast in Nordirland und Casablanca in Marokko.
Airbus wolle so die Versorgungssicherheit für seine Verkehrsflugzeug-Programme gewährleisten, indem es für die verschiedenen Airbus-Arbeitspakete, für die Spirit AeroSystems heute verantwortlich ist, sowohl in betrieblicher als auch in finanzieller Hinsicht einen nachhaltigeren Weg einschlägt.
Anders als Boeing zahlt Airbus für die Werke, die rote Zahlen schreiben, keinen Kaufpreis – sondern bekommt von Spirit 559 Millionen Dollar als eine Art Mitgift dazu. Airbus wird durch die Zahlung also von Spirit AeroSystems entschädigt.
Die Aktien des europäischen Flugzeugbauers Airbus reagieren am Montag-Vormittag erfreut, zeitweilig ziehen sie um gut drei Prozent auf 132,70 Euro an und gehören damit zu den größten Tagesgewinnern im DAX.
Die Boeing-Aktie befindet sich seit Monaten in einer ausgeprägten Seitwärtsphase. Der Spirit-Deal bleibt am Montag vor US-Börsenstart noch ohne größere Kursauswirkungen. Vorbörsliche Indikationen zeigen die Boeing-Aktie leicht abgeschwächt bei 180,25 Dollar.
Medien: Boeing droht Anklage der US-Regierung
Das Beinahe-Unglück mit der Alaska-Maschine könnte laut Medienberichten noch schwerwiegende Konsequenzen für Boeing haben. Unter anderem die New York Times und Bloomberg berichteten, dass das US-Justizministerium dem Flugzeugbauer offiziell Betrug vorwerfen wolle.
Es geht dabei um die Vereinbarung, mit der Boeing seinerzeit einer Strafverfolgung nach dem Absturz von zwei 737-Max-Maschinen in den Jahren 2018 und 2019 entging. Der Konzern musste damals unter anderem eine Strafe von 243,6 Millionen Dollar zahlen und ein Compliance- und Ethik-Programm umsetzen. Das Justizministerium kam bereits im Mai zu dem Schluss, dass Boeing gegen Auflagen des Deals verstoßen habe.
DER AKTIONÄR sieht in Airbus eine ordentliche Halte-Position. Da Airbus jedoch noch eine Weile mit Lieferketten-Problemen zu kämpfen hat, wird ein neuer Aufschwung wohl dauern. Engagierte Anleger bleiben mit einem Stop-Loss bei 119 Euro bei Airbus dabei.
Die Boeing-Aktie birgt zwar das größere Aufholpotenzial, dürfte aber noch länger brauchen, bis sich die Umstrukturierungen im Konzern positiv bemerkbar machen. Beide Konzerne haben volle Auftragsbücher und dürften längerfristig eine stabile Entwicklung zeigen.
Übrigens: Beide Konzerne sind neben sechs weiteren Unternehmen der Luft- und Raumfahrt-Branche im AKTIONÄR Weltraum Index enthalten, der langfristig interessant erscheint. In diesem Strategie-Index sind auch der brasilianische Flugzeugbauer Embraer, der französische Luft- und Raumfahrtkonzern Thales sowie Amphenol, Heico, Lockheed Martin und Virgin Galacic enthalten.
Mit dem Indexzertifikat WKN DA0AB7 können Anleger am Weltraum Index nahezu 1:1 partizipieren. Weitere Informationen zum Index, inklusive aller Werte und passender Zertifikate, gibt es hier.
(Mit Material von dpa-AFX)
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Hinweis auf Interessenkonflikte:
Der Chefredakteur dieser Publikation, Herr Leon Müller, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Boeing.