Wladimir Putin hat es in der Hand. Er könnte 'sein' Land vor einer noch massiveren Wirtschaftskrise bewahren. Doch derzeit ist ein Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine nicht absehbar. Bereits ein Waffenstillstand zur Rettung der leidenden Menschen in Mariupol oder Kiew würde den Börsen neuen Optimismus geben. Die Lage bleibt unberechenbar. Der Wochenausblick.
Der deutsche Aktienmarkt ist am Freitag einmal mehr von vorsichtigen Hoffnungen auf Fortschritte im Ukraine-Konflikt beflügelt worden, zumindest zeitweise. Auslöser war ein Bericht der russischen Nachrichtenagentur Interfax, wonach der russische Präsident Wladimir Putin gewisse "positive Entwicklungen" in den Gesprächen mit der Ukraine sieht.
Der DAX schoss am Freitagmittag bis auf 13.943 Punkte nach oben, ging dann letztlich bei 13.628 Punkten aus dem Xetra-Handel. Daraus ergibt sich für den Index ein Wochengewinn von gut vier Prozent. Doch seit Jahresbeginn steht immer noch ein Kurseinbruch von rund 14 Prozent zu Buche. Der MDAX der mittelgroßen Unternehmen verbesserte sich in der abgelaufenen Woche um 3,8 Prozent.
Wegen des anhaltenden Ukraine-Kriegs und der hohen Inflation bleibt die Lage an den Aktienmärkten angespannt. Die Autoren des Börsenbriefs Bernecker-Daily sehen eine Waffenruhe in der Ukraine als entscheidend an – ansonsten "wird nicht wirklich investiert, weil Kriege in ihrem täglichen Verlauf nicht vorhersehbar sind".
Die im Zuge des Kriegs in der Ukraine zuletzt aufgetretenen starken Schwankungen am deutschen Aktienmarkt dürften sich in der neuen Woche aufgrund der ungewissen geopolitischen Situation fortsetzen. Wie sich die Krise auf die Konjunktur und damit auf die Unternehmensgewinne auswirkt, ist noch ungeklärt. Immer mehr Experten fürchten aber das Risiko einer Stagflation – einer lahmenden Wirtschaft bei gleichzeitig steigender Inflation.
Die hohe Nervosität der Anleger angesichts der russischen Angriffe auf das Nachbarland belegten die Kurskapriolen das DAX in der abgelaufenen Woche: Am Montag sackte das wichtigste deutsche Börsenbarometer zunächst um fünf Prozent ab, drehte nachmittags ins Plus und schloss doch wieder deutlich im Minus. Am Mittwoch schnellte der DAX dagegen um acht Prozent nach oben. Es war prozentual der fünftstärkste Anstieg in seiner Geschichte. Am Donnerstag ging es wieder um rund drei Prozent abwärts und am Freitag blieb nach zwischenzeitlichem Tagesplus von 3,7 Prozent noch ein Kursgewinn von 1,4 Prozent.
Volatilität bleibt hoch
"Kurzfristig liegt das Aktienmarktrisiko in der Nachrichtenlage, daher sollte die Volatilität weiterhin hoch bleiben", glaubt Analyst Sven Streibel von der DZ Bank. Die möglichen Auswirkungen auf die Konjunktur, insbesondere in Europa und Deutschland, seien schwer zu prognostizieren.
Die jüngsten Sprünge nach oben zeigten aber auch, dass der Anleger-Optimismus nicht verloren gegangen sei. "Investoren sind derzeit schlicht überfordert mit der Lage und fordern daher nachweislich erhöhte Risikoprämien für Aktieninvestments", so Streibel.
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Mittelfristig sieht der DZ-Bank-Experte allerdings ein stattliches Aufwärtspotenzial für den DAX, da derzeit von keinem realwirtschaftlich nachhaltigen Konjunktureinbruch oder Gewinnrückgang der Unternehmen ausgegangen werde. Von einer Beilegung der Ukraine-Krise würde der deutsche Aktienmarkt aufgrund seiner global-zyklischen Ausrichtung noch mehr profitieren als der US-Markt, prognostiziert Streibel.
Ruhe bewahren und mit Bedacht diversifizieren
Langfristig sieht Streibel jedoch Belastungen von der angekündigten Zinswende in den USA und der in Aussicht gestellten für die Eurozone. "Der Krieg treibt die Rohstoffpreise, insbesondere Öl, und sorgt zusätzlich für weitere Verwerfungen bei den internationalen Lieferketten. Die ohnehin schon hohe (US-) Inflationsdynamik dürfte hierdurch weiter gefestigt werden und somit die Notenbanken, allen voran die Fed, zu einer restriktiveren Geldpolitik veranlassen", betonte der DZ-Bank-Analyst.
Er empfiehlt den Anlegern in der jetzigen Situation, Ruhe zu bewahren und ihre Investments breit zu streuen: "Ein über Regionen und Sektoren breit diversifiziertes Portfolio ist und bleibt der beste Schutz vor krisenbedingten Schwankungen, ohne auf Renditechancen verzichten zu müssen."
Russland-Sanktionen in den USA weniger spürbar
Auch Jens Herdack von der Weberbank beschäftigte sich mit der Frage, ob Investoren im aktuellen Umfeld investiert bleiben oder zunächst einmal an den Rand zurücktreten und Kasse machen sollen. Um die Risiken zu reduzieren, präferiert er Investitionen in den US-Aktienmarkt, da die Auswirkungen der Russland-Sanktionen dort weniger deutlich spürbar sein sollten und der US-Dollar als typische Krisenwährung stark bleiben dürfte.
"In diesem unsicheren Umfeld versucht die Europäische Zentralbank EZB, die von ihr avisierte Normalisierung ihrer Geldpolitik trotz Gegenwind vorsichtig fortzusetzen", verwies der Weberbank-Analyst auf jüngste Äußerungen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Diese habe zwar ein schnelleres Ende der Anleihekaufprogramme angekündigt, dies aber als eine Normalisierung der Geldpolitik interpretiert.
Risiko steigender Anleihen-Renditen
Spannend werde, wie die EZB auf einen möglichen weiteren Anstieg der Inflation in Europa reagiere, so Herdack. "Mit der angestrebten Normalisierung der Geldpolitik sollten Anleger weiterhin vorsichtig agieren und ihre Depots nicht mit zu lang laufenden Anleihen versehen", empfahl er und verwies auf das Risiko weiterhin steigender Renditen einhergehend mit entsprechenden Kursverlusten.
Noch ein weiterer Risikofaktor schwebt über den Märkten: der Atom-Deal mit dem Iran. Im Ringen um eine Rettung des Atomabkommens haben europäische Verhandler am Samstag vor einem Kollaps des eigentlich schon ausgehandelten Deals gewarnt. Die Verhandlungen mussten gerade nach neuen Forderungen Russlands kurz vor der Ziellinie unterbrochen werden. Russland verlangt Garantien, dass westliche Sanktionen im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine nicht die wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zwischen dem Iran und Russland behindern.
Wenig Unternehmens-Zahlen
Aus Konjunktursicht könnten am Dienstag die ZEW-Konjunkturerwartungen aus Deutschland, die EU-Industrieproduktion sowie die US-Erzeugerpreise interessant werden. Am Mittwoch dürften die Anleger auf die US-Einzelhandelsumsätze, vor allem aber auf Neuigkeiten von der Sitzung der US-Notenbank achten. Am Donnerstag stehen unter anderem die Zinsentscheidung der Bank of England, die EU-Verbraucherpreise, der Philadelphia-Fed-Index und die US-Industrieproduktion auf der Agenda.
Unternehmensseitig dürfte es in der neuen Woche deutlich ruhiger werden, nachdem die Quartalsberichtssaison nahezu vorbei ist. Einige wenige Unternehmen wie zum Beispiel Bechtle, Deutz, Dürr, Fraport, Grenke, Hypoport, Morphosys, Rheinmetall, Talanx und Traton werden noch über ihre Geschäftsentwicklung im Vorjahr (detailliert) berichten. Aus dem DAX legt Immobilien-Konzern Vonovia am Freitag seine Jahreszahlen vor. (Mit Material von dpa-AFX)
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