Der Niedergang von ThyssenKrupp sorgt am heutigen Freitag für eine turbulente Hauptversammlung. Aufsichtsrat und Vorstand ernten harsche Kritik für die Entwicklung der vergangenen Jahre. Besserung ist kurzfristig nicht in Sicht. Konzernchefin Martina Merz träumt trotz der miserablen Bilanz derweil bereits wieder von Dividenden.
"ThyssenKrupp ist ein Lehrstück über Managementversagen", findet Fondsmanager Ingo Speich von der DekaBank auf der Hauptversammlung laut Redetext drastische Worte. Er hat viele Kritikpunkte: Das fehlende Zukunftskonzept, die "düstere Lage" im potenziellen Kerngeschäft Stahl, die offene Zukunft von CEO Merz oder die hohe Abfindung für Ex-Konzernchef Guido Kerkhoff. "Das Überleben des Konzerns hängt von der neuen Strategie ab", macht er klar.
In guten Jahren wurde an der falschen Strategie festgehalten, notwendige Verkäufe wurden aufgeschoben und so sinnlos wichtige Zeit verspielt.
Merz weiter: "ThyssenKrupp ist finanziell in einer außerordentlich angespannten Lage." Im Mai soll die umfassende Überprüfung aller Bestandteile des Unternehmens abgeschlossen sein. "Dann können wir Entscheidungen darüber treffen, wie es mit den Geschäften weiter geht."
Die Streichung der Dividende für das abgelaufene Geschäftsjahr sei unumgänglich gewesen. "Das Unternehmen braucht alle verfügbaren Mittel." Das soll aber kein Dauerzustand sein. "Wir wollen in Zukunft wieder eine Dividende zahlen."
DER AKTIONÄR meint: Ausbleibende Dividenden sind derzeit das geringste Problem des Konzerns. Die Mittel durch den Verkauf der Aufzüge müssen zur Deckung der hohen Schulden und Pensionsverpflichtungen genutzt werden. Was übrig bleibt, muss für Investitionen herhalten, um die angeschlagenen Sparten auf Vordermann zu bringen. Alleine im Stahlbereich werden Milliarden fällig, um die veralteten Werke zu modernisieren und die Investitionen in eine CO2-ärmere Stahlproduktion zu stemmen.
ThyssenKrupp steht dabei unter enormem Zeitdruck. Der Konzern muss entscheiden, an wen die Aufzüge verkauft werden und was mit dem Anlagenbau geschieht. Dann muss aber vor allem auch die Führungsfrage geklärt werden. Merz ist Chefin auf Abruf, soll im Oktober wieder in den Aufsichtsrat zurückkehren.
Es droht das nächste Machtvakuum. Externe Kandidaten hatten vor Monaten bereits abgewunken, als die Situation noch weniger fragil war. Ob interne Alternativen wie Ex-Siemens-Manager Siegfried Russwurm oder Innogy-Finanzchef Bernhard Günther, der in den Aufsichtsrat einziehen soll, die Aufgabe angehen wollen, erscheint ebenso fraglich. Zumal die Position des neuen Chefs ohnehin geschwächt ist, wenn er lediglich die von Merz oktroyierte Strategie umsetzen darf.
Das alles zeigt, wie komplex die Lage ist. Es geht ums Überleben des Traditionskonzerns. Die Aufzüge spielen rund 15 Milliarden in die Kassen. Doch der nächste Schuss muss sitzen – mehr Zeit hat ThyssenKrupp nicht. Hat die Strategie jedoch Erfolg, sind auch deutlich höhere Kurse möglich. Die Aktie bleibt ein heißes Eisen und ausnahmslos spekulativen Anlegern vorbehalten.