Irre, ignorant oder beides? Die chinesische Führung lernt einfach nicht dazu und verschiebt wichtige Wirtschaftsdaten kurz vor der geplanten Veröffentlichung – ohne Begründung und ohne neuen Termin. Immerhin einen Hinweis auf die Entwicklung im dritten Quartal gab es von offizieller Stelle dann aber doch.
In der schwierigen Wirtschaftslage in China hält die Regierung während des Kongresses der Kommunistischen Partei wichtige Daten über Wachstum und Außenhandel zurück. In einem seltenen Schritt verschob das Statistikamt heute überraschend die für den folgenden Tag geplante Bekanntgabe der Wirtschaftsentwicklung im dritten Quartal. Bereits der Zoll hatte die Veröffentlichung der Export- und Importzahlen verschoben. Gründe wurden nicht genannt.
Eine Mitarbeiterin des Statistikamtes nannte keinen neuen Termin. Auf Nachfrage, ob die Verschiebung mit dem Parteitag zusammenhänge, sagte sie: „Ich kann Ihre Frage nicht beantworten.“
Besonders die Null-Covid-Strategie bremst die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, die aber auch unter einer schweren Immobilienkrise, hoher Verschuldung und schwacher heimischer Nachfrage leidet.
Im zweiten Quartal hatte die Wirtschaft um 0,4 Prozent zugelegt. Experten rechnen im dritten Quartal mit 3,3 bis 3,5 Prozent. Ihr Wachstumsziel von 5,5 Prozent für das Jahr wird die Regierung wohl weit verfehlen. Die Weltbank rechnet in China mit 2,8 Prozent. Das wäre – nach dem ersten Pandemiejahr 2020 – das zweite Mal seit vier Jahrzehnten, dass das Wachstum so niedrig ausfällt.
„Zum ersten Mal seit 1990 wächst der Rest Asiens schneller als China“, sagte der Vorsitzende der EU-Handelskammer in China, Jörg Wuttke, der sich dabei auf Weltbank-Schätzungen stützt. Er verwies darauf, dass andere asiatische Länder grundverschieden mit Covid umgingen und zurück zur Normalität gekommen seien. So soll die Region ohne China laut Weltbank um 5,3 Prozent wachsen.
Hoffnungsschimmer
Ungeachtet der Wirtschaftsprobleme gab sich der Chef der Reform- und Entwicklungskommission, Zhao Chenxin, auf dem Parteitag vor der Presse betont optimistisch: „Die Wirtschaft hat sich im dritten Quartal wirklich erholt.“ Insgesamt sei China auf dem Kurs der Erholung.
Um die Konjunktur anzukurbeln, pumpt Chinas Regierung kräftig Geld in die Wirtschaft. Die Zentralbank hat mehrfach die Zinsen gesenkt. Neue Bankkredite verdoppelten sich im September nahezu. Anders als in Europa, wo die Inflation Höchststände erreicht und die Zinsen steigen, legen die Preise in China nur wenig zu – im September um 2,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.
Beobachter rechnen aufgrund der Verschiebung nicht mit zwangsläufig schlechten Zahlen – zumindest schlechter Stil ist es definitiv. Klar, mit dem derzeitigen Parteikongress gibt es viel zu tun, aber etwas mehr Seriosität dürften internationale Geldgeber selbst von China erwarten. Zumal in den vergangenen Quartalen bereits die Tech-Regulierungskeule und Hardcore-Covid-Maßnahmen zahlreiche Investoren verschreckt hatten. Dass chinesische Internet-Aktien heute trotzdem am Nachmittag deutlich im Plus liegen, dürfte vor allem auf eine allgemeine Erholungsbewegung bei Nasdaq-Werten zurückzuführen sein.
Hinweis: Der Handel mit Anteilen chinesischer Unternehmen ist mit erheblichen politischen und rechtlichen Unsicherheiten verbunden. Für Anleger besteht ein erhöhtes Totalverlustrisiko. DER AKTIONÄR rät dazu, nur in Einzelfällen und mit geringer Gewichtung in China-Aktien zu investieren.
(mit Material von dpa-AFX)