Die Bundesregierung sieht aktuell keine Möglichkeit für einen sofortigen Boykott russischer Energielieferungen von Gazprom & Co nach dem Vorbild der USA. Die USA seien Exporteur von Gas und Öl, was man für Europa insgesamt nicht sagen könne, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch in Berlin in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kanadas Premierminister Justin Trudeau. "Und deshalb sind die Dinge, die getan werden können, auch unterschiedlich."
Sollten die wirtschaftlichen Beziehungen in diesem Bereich nicht mehr so wie in den vergangenen Jahrzehnten funktionieren, werde Deutschland kurzfristig Herausforderungen bekommen, die bewältigt werden müssten, sagte Scholz. Schon im Dezember habe er mit den Beteiligten darüber diskutiert, dass man sich auf die Situation vorbereiten müsse, "dass es kompliziert werden wird". Man habe bereits mit den Arbeiten begonnen.
Die USA haben als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine am Dienstag ein Importverbot für Öl aus Russland erlassen. Großbritannien will seine Ölimporte aus Russland zuerst bis Jahresende senken und dann kein Öl mehr von dort importieren.
"Wir alle finanzieren diesen Krieg"
Ein breites Bündnis aus Experten und Aktivisten verlangte das Ende von Gas-, Öl- und Kohlelieferungen aus Russland in die Europäische Union. "Wir alle finanzieren diesen Krieg", heißt es in einem offenen Brief von Umweltaktivisten, Wissenschaftlern, Schauspielerinnen sowie Politik- und Wirtschaftsexperten an die Bundesregierung. "Täglich zahlen wir als EU-Staaten über 500 Millionen Euro für den Import von Öl, Gas und Kohle an die russische Führung." Deutschland sei einer der größten Zahler in der EU. "Drehen Sie der russischen Führung den Geldhahn zu", forderte das Bündnis.
Neben einem Importstopp für russische Energie durch Deutschland steht auch die Möglichkeit im Raum, dass Russland als Reaktion auf die verhängten Sanktionen den Export von Gas, Öl und Kohle stoppt. "Nichts ist ausgeschlossen", sagte dazu Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Dienstagabend in einem "ARD"-Brennpunkt. Er halte ein Energie-Embargo von russischer Seite zwar für nicht vernünftig und deshalb auch nicht für realistisch. Im Kreml regiere aber "offensichtlich nicht mehr die Vernunft". Dort würden vielmehr von "Emotionen geleitete Entscheidungen getroffen".
Habeck warnte erneut eindringlich vor den wirtschaftlichen Folgen, die ein deutsches Embargo russischer Energielieferungen hätte. Deutschland könne sich hier nicht mit den USA vergleichen. Die Partner dort seien sich bewusst, dass Deutschland und Europa nicht "ohne erhebliche wirtschaftliche Verwerfungen zu riskieren" ein solches Embargo verhängen könnten.
Die Gazprom-ADRs sind indes weiterhin nicht handelbar. Anleger können sich daher auf Konkurrenten von Gazprom fokussieren - wie etwa die norwegische Equinor oder etwa auch die ebenfalls stark im Gasgeschäft aktive Shell.
Mit Material von dpa-AFX