An den Aktienmärkten hat sich am Dienstag verhaltene Erleichterung breitgemacht: Der weltweite Kursrutsch infolge neuer Rezessionsängste setzte sich erst einmal nicht fort. Deutlich erholt zeigte sich vor allem der japanische Aktienmarkt nach dem Einbruch zu Wochenbeginn. An den europäischen Börsen reichte es zumindest für eine Stabilisierung des deutschen Leitindex Dax und des EuroStoxx 50. An der Wall Street erholten sich die Aktienkurse stärker als an Europas Handelsplätzen. Am spekulativen Markt für Kryptowährungen machte der Bitcoin einen Teil seiner massiven Verluste vom Vortag wett.
Allerdings bleibt die Lage an den Kapitalmärkten herausfordernd; die Belastungsfaktoren bleiben vielfältig. Für die jüngste Talfahrt gibt es Experten zufolge mehrere Gründe. Neben enttäuschenden Geschäftszahlen großer US-Technologiekonzerne und der abnehmenden Begeisterung für Künstliche Intelligenz (KI) werden auch die Furcht vor einer Eskalation des Krieges im Nahen Osten sowie insbesondere die Geldpolitik der Notenbanken als Ursachen genannt.
Viele große Zentralbanken hatten in den letzten Jahren die Leitzinsen stark angehoben, um die hohe Inflation infolge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges in den Griff zu bekommen. Die Therapie war zwar wirksam, weil die Teuerung stark eingedämmt wurde, aber sie könnte aus Sicht von Experten über das Ziel hinausgeschossen sein - und die Wirtschaft womöglich zu hart treffen.
So wurden am Freitag in den USA überraschend schwache Konjunkturdaten vornehmlich vom Arbeitsmarkt veröffentlicht, die befürchten ließen, dass die US-Notenbank Fed die Leitzinsen zu lange hoch hält. Die Sorge der Anleger ist, dass die hohen Zinsen Investitionen und Kredite so sehr verteuert haben, dass die Vereinigten Staaten als weltgrößte Volkswirtschaft in eine Rezession abgleiten könnten - mit entsprechend negativen Folgen für den Rest der Welt. Damit wetten Investoren bereits auf überraschende oder deutliche Zinssenkungen der Fed, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Die japanische Notenbank (Bank of Japan) hingegen hatte ihre Leitzinsen jüngst überraschend erneut erhöht, auch um den Verfall der Landeswährung Yen zu stoppen. Dieses unterschiedliche Vorgehen von Fed und Bank of Japan ergab zusammen einen gefährlichen Cocktail für die Börsen, denn es wurden auf globaler Ebene in erheblichem Umfang spekulative Geschäfte an den Devisen- und Aktienmärkten aufgelöst.
Derartige Spekulationsgeschäfte sind in der Fachwelt unter dem Begriff "Carry Trades" bekannt. "Ich denke, dass uns gerade die Carry Trades um die Ohren fliegen", sagt Roman Przibylla, Investmentexperte beim Wertpapierhaus Maverix Securities. Als der Yen vor wenigen Wochen auf den niedrigsten Stand gegenüber dem US-Dollar seit 1986 gefallen war, hätten sich viele Investoren Geld im Niedrigzinsland Japan geliehen und in ein Hochzinsland wie die USA investiert.
Nun aber hat die Bank of Japan die Zinsen angehoben. Gleichzeitig, betont Przibylla, gab es die schwachen US-Wirtschaftsdaten, die für mögliche aggressive Zinssenkungen sprechen. Damit liefen die Spekulationen sowohl in Japan als auch in den USA in die - aus Sicht der Spekulanten - jeweils falsche Richtung, was riesige Löcher in die Portfolios vieler Investoren gerissen habe. Wenn diese Trades Verluste verursachen, müssen dem Experten zufolge Vermögenswerte wie Aktien verkauft werden. Die Verkaufswelle war einer der Auslöser für den Kursrutsch an den Börsen.
Zu große Sorgen allerdings sollte die Auflösung der Carry Trades Przibylla zufolge nicht bereiten: "Die aktuellen Verwerfungen deuten eher darauf hin, dass wir es momentan nur mit einem Sommergewitter und nicht mit einem Tornado zu tun haben." Umwälzungen dieser Art dauerten normalerweise mehrere Tage an und sorgten für erhöhte Schwankungen am Aktienmarkt. Anleger können die niedrigeren Kurse nutzen, um bei Aktien hoher Qualität neu einzusteigen oder nachzukaufen.
Zudem bezweifeln Fachleute, dass die USA wirklich in eine Rezession abgleiten könnten. Die jüngst aufgekommenen Ängste seien übertrieben und es gebe keinen Grund zur Panik, zeigt sich etwa Robert Greil überzeugt, der Chefstratege der Privatbank Merck Finck: "Der Arbeitsmarktbericht für Juli mag auf ein nachlassendes Wachstumstempo hinweisen, war aber aus unserer Sicht auch durch einige Sondereffekte geprägt." Andere Indikatoren wie etwa der am Montag veröffentlichte Einkaufsmanagerindex des Institut for Supply Management für den US-Dienstleistungssektor hingegen zeigten sowohl in Sachen Beschäftigung als auch Auftragseingang klar positive Entwicklungen.
Gleichwohl sollten Anleger auch die geopolitischen Risiken weiter im Blick behalten. "Der Konflikt im Nahen Osten nach dem Anschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 belastet auch die Finanzmärkte mit einer hohen Unsicherheit", mahnt Jan Viebig, Chefanlagestratege der Privatbank Oddo BHF. Die jüngsten Entwicklungen in der Region hätten die Risiken einer Ausweitung des Konflikts steigen lassen. Sollte sich der Iran offen an Kampfhandlungen gegen Israel beteiligen, dürfte dies auch an den Finanzmärkten schwere Verwerfungen zur Folge haben.
(Mit Material von dpa-AFX).