Der zögerliche Impfstart in Deutschland und vermeintlich unvorhersehbare Produktionsengpässe sorgen für zunehmenden Unmut. Auch bei der Europäischen Union. Jetzt erhöht die EU den Druck auf die Hersteller der dringend benötigten Impfstoffe. Astrazeneca steht dabei besonders im Fokus. Aber auch BioNTech könnte von den Konsequenzen betroffen sein.
Bisher bleibt die Europäische Union zahnlos. Der Impfstart ist im internationalen Vergleich – insbesondere im Vergleich mit den USA und dem Vereinigten Königreich – gründlich misslungen. Jetzt erhöht die EU den Druck. Wegen der Knappheit bei Corona-Impfstoffen sollen alle Exporte solcher Mittel aus der Europäischen Union künftig erfasst und genehmigt werden. Die EU-Kommission schlug dafür am Montag ein sogenanntes Transparenzregister vor. Zugleich machte die Brüsseler Behörde Druck beim britisch-schwedischen Hersteller Astrazeneca, zugesagte Impfstoffmengen ohne Abstriche und ohne Verzug zu liefern - allerdings vorerst ohne Erfolg.
"Verträge vollständig erfüllen"
Die Antworten der Firma seien noch nicht befriedigend gewesen, sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides am Montagabend nach einer internen Sitzung mit den EU-Staaten und Astrazeneca. Deshalb sei für den Abend ein weiteres Treffen angesetzt worden. Die EU wolle, dass die bestellten und vorfinanzierten Impfstoff-Dosen so bald wie möglich ausgeliefert werden. "Wir möchten, dass unser Vertrag vollständig erfüllt wird", sagte Kyriakides.
EU will alles bis ins letzte Detail wissen
Die EU-Kommission hatte im August mit der Firma die Lieferung von bis zu 400 Millionen Impfstoffdosen vereinbart. Die Behörde zahlte nach eigenen Angaben einen dreistelligen Millionenbetrag dafür, die Produktion schon vor der EU-Zulassung hochzufahren. Nach Darstellung der EU-Kommission hätte der Konzern seit Oktober Mengen für die EU auf Halde fertigen müssen. Astrazeneca hatte jedoch am Freitag erklärt, dass nach der für diese Woche erwarteten Zulassung zunächst weniger Impfstoff als vereinbart an die EU geliefert werde. Statt 80 Millionen Impfstoffdosen sollen es nach EU-Angaben bis Ende März nur 31 Millionen sein. Zur Begründung hieß es, es gebe Probleme in der europäischen Lieferkette. Doch steht die Vermutung im Raum, vorproduzierte Impfstoffdosen könnten an andere Abnehmer verkauft worden sein. Kyriakides sagte, die EU habe die Entwicklung und Produktionskapazität für den Impfstoff vorfinanziert. "Die EU will wissen, wo genau welche Dosen bisher von Astrazeneca produziert wurden und an wen sie geliefert wurden", sagte die Gesundheitskommissarin.
"Genehmigung von Impfstoff-Exporten macht Sinn"
Der CDU-Europapolitiker Peter Liese kritisierte, Astrazeneca liefere "offensichtlich in andere Teile der Welt, auch nach Großbritannien, ohne Verzögerung". Die Begründung für die Lieferschwierigkeiten in der EU sei fadenscheinig, meinte Liese. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) forderte in Berlin: "Wir müssen als EU wissen können, ob und welche Impfstoffe aus der EU ausgeführt werden. Nur so können wir nachvollziehen, ob unsere EU-Verträge mit den Herstellern fair bedient werden. Eine entsprechende Pflicht zur Genehmigung von Impfstoff-Exporten auf EU-Ebene macht Sinn." Dies verfolgt die EU-Kommission mit ihrem "Transparenzregister", das nach Angaben aus EU-Kreisen binnen weniger Tage eingeführt werden soll. Kyriakides sagte, alle Firmen, die Covid-19-Impfstoffe in der EU produzierten, müssten künftig vorab anmelden, wenn sie in Drittstaaten exportieren wollten. Humanitäre Lieferungen seien nicht betroffen.
Die Kommission steht selbst in der Kritik, weil sie Rahmenverträge mit den Herstellern ausgehandelt hat, vorerst aber nur relativ wenig Corona-Impfstoff in den 27 Ländern ankommt. Die Impfkampagne lahmt, während sich neue Virus-Varianten ausbreiten und die Staaten das tägliche Leben und auch das Reisen weiter einschränken. Auch dazu machte die EU-Kommission am Montag einen Vorschlag. So sollen für bestimmte Länder und Regionen strengere Test- und Quarantäne-Regeln eingeführt werden. In Deutschland gelten schon seit Sonntag für mehr als 20 Länder mit besonders hohen Infektionszahlen neue Regeln bei der Einreise. Auch andere EU-Länder haben ihre Vorgaben schon verschärft
Sollte die EU Impfstoff-Exporte genehmigungspflichtig machen, wären die europäischen Hersteller Astrazeneca und BioNTech betroffen. Je nach Ausgestaltung des Verfahrens könnten weitere Verzögerungen der dringend benötigten Impfstoffe aufgrund der zunehmenden Bürokratie drohen. Damit würde die EU das Gegenteil von dem erreichen, was beabsichtigt wird. Entscheidend wird bei diesem Vorhaben folglich sein, das Verfahren möglichst lean und einfach zu gestalten. Dass das sinnvoll wäre, steht außer Frage. Denn im besten Fall könnte der schleppende Impfplan in der EU und in Deutschland so beschleunigt werden.
Mit Material von dpa-AFX
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