Die Ängste vor einer globalen Verbreitung des Coronavirus sorgen auch für Verunsicherung an den Finanzmärkten. Zuletzt trennten sich viele Börsianer von einem Teil ihrer Aktien und kauften stattdessen Staatsanleihen oder Gold. Vor allem die ungewissen Auswirkungen der Lungenkrankheit auf die chinesische Wirtschaft sorgt für Sorgenfalten. Ein Wochenausblick.
Die Weltgesundheitsorganisation hatte die Ausbreitung des Coronavirus zu einer "gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite" erklärt, allerdings auch betont, noch seien keine Reise- und Handelsbeschränkungen nötig. Das erledigen die Staaten jedoch in vorauseilendem Gehorsam: Von Reisen nach China wird abgeraten.
Das Coronavirus dürfte die Börsen auch in der neuen Woche durchschütteln. Die Lungenkrankheit breitet sich noch immer rasant aus. Bis Sonntag-Morgen deutscher Zeit wurden 14.568 Infizierte gezählt, davon 14.391 in Festland-China. 305 Erkrankte sind verstorben, 340 wurden als geheilt eingestuft. Wie sehr sich die Ausbreitung der Krankheit in der Realwirtschaft und somit in den Gewinnen der Unternehmen niederschlägt, ist selbst für Experten derzeit nur schwer einzuschätzen.
Weltweite Ausbreitung wohl nicht zu vermeiden
Aktien tun sich in diesem unsicheren Umfeld jedenfalls schwer. "Eine Epidemie ist immer ein Risiko für die Weltwirtschaft", sagte Volkswirt Edgar Walk vom Bankhaus Metzler. Vieles spreche gegenwärtig dafür, dass sich eine weltweite Ausbreitung des Coronavirus kaum vermeiden lassen werde. Sollte das der Fall sein, seien spürbare volkswirtschaftliche Schäden nicht auszuschließen. Investoren flüchteten daher in als sicher geltende Anlagen: Zehnjährige Bundesanleihen stiegen auf den höchsten Stand seit Oktober vergangenen Jahres. Der Bund-Future stieg wieder über die Marke von 175.
Der DAX hat in der abgelaufenen Woche derweil gut vier Prozent eingebüßt und ist mit 12.981 Punkten am Freitag auf den tiefsten Schlussstand seit Anfang Dezember gefallen. Im Januar hat der Leitindex zwei Prozent verloren. Der MDAX der mittelgroßen Titel gab in der vergangenen Woche auf 27.984 Zähler nach - ein Wochenminus von 2,8 Prozent.
Wann gehen die Infizierten-Zahlen zurück?
Bei vergleichbaren Epidemien in der Vergangenheit hätten sich die Börsen stets dann wieder erholt, wenn die Zahl der Ansteckungen und der Nachrichten darüber den Höhepunkt erreicht hatten, sagte Aktienstratege Mixo Das von der Investmentbank JPMorgan. Sollte das Virus weiter grassieren, dürften vor allem diejenigen Branchen darunter leiden, deren Geschäfte auf "sozialer Interaktion" basieren. Dazu zählten Fluggesellschaften, Reiseveranstalter, Hotelbetreiber und der Einzelhandel.
Aber auch die deutsche Autobranche dürfte unter einer schwächeren Nachfrage auf dem wichtigen Absatzmarkt China leiden. In den vergangenen drei Wochen büßte der europäische Autosektor bereits mehr als zehn Prozent ein.
Charttechnisch ist der DAX mit dem jüngsten Kursrutsch angeschlagen. Der Aufwärtstrend seit August wurde verlassen. Es steht zu befürchten, dass auch die kleine Unterstützungszone zwischen 12.900 und 12.950 Zählern nicht halten wird. Eine größere Stütze dürfte die Zone zwischen 12.600 und 12.500 DAX-Punkten darstellen. Jede Entspannungsmeldung aus China dürfte dem Markt indes wieder aufwärts helfen.
In vielen Marktkommentaren finden sich Vergleiche mit der SARS-Epidemie im Jahr 2003. Damals ging es nach wenigen Wochen wieder deutlich aufwärts mit den Aktienkursen. Allerdings ist die Weltwirtschaft heute erheblich abhängiger von China als seinerzeit, gibt der Ökonom Cyrus de la Rubia von der Hamburg Commercial Bank zu bedenken. Der Anteil der Volksrepublik an der globalen Wertschöpfung habe sich seit 2003 in etwa vervierfacht.
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Alles blickt nach China
Interessant könnten in der neuen Woche chinesische Einkaufsmanager-Indizes werden, die am Montag und Mittwoch veröffentlicht werden. Am vergangenen Freitag hatten ähnliche Indizes trotz der Epidemie ein recht solides Bild abgegeben. Während die Stimmung in den staatlichen chinesischen Industriebetrieben im Januar immerhin auf der Wachstumsschwelle verblieb, überraschte der Indikator für den Dienstleistungssektor leicht positiv.
Anlagestratege Mark Dowding vom Anleiheinvestor Bluebay schätzt, dass die Schritte der chinesischen Regierung das Wachstum in diesem Jahr um ein bis zwei Prozentpunkte schmälern könnten. "Allerdings ist noch nicht klar, wie stark die chinesische Regierung mit Stimulus-Maßnahmen gegensteuern wird".
Im Produzierenden Gewerbe könnten Lieferketten unterbrochen werden. Leidtragende wären in diesem Fall vor allem Europa und die Schwellenländer. Allerdings könnten auch Europas Staaten fiskalpolitisch gegenzusteuern versuchen, vermutet Dowding.
Am Donnerstag werden noch neue Zahlen zum Auftragseingang in der deutschen Industrie veröffentlicht. Und am Freitag der US-Arbeitsmarktbericht.
Quartalszahlen von zwei DAX-Schwergewichten
Interessant wird auch sein, ob sich die Unternehmen bei Vorlage ihrer Quartalszahlen bereits zum Coronavirus äußern und möglicherweise die Erwartungen an den Märkten dämpfen. Der Chef von Apple Tim Cook hatte dies jüngst bereits getan, trotz Rekordumsatz und -gewinn.
Mit Siemens und Infineon stehen in der kommenden Woche zwei DAX-Schwergewichte auf der Agenda. Daneben lassen sich mit dem Industriekonzern ABB, Fiat Chrysler, Nokia und BP weitere europäische Standardtitel in die Bücher schauen. (Mit Material von dpa-AFX)