Starinvestor Howard Marks über Zyklen, Markt-Timing, seltene Gelegenheiten und erfolgreiches Investieren.
Howard Marks ist seit Jahrzehnten erfolgreich an den Märkten tätig. Sein Unternehmen Oaktree Capital Management verwaltet Kundengelder in Milliardenhöhe und Warren Buffett ist bekennender Fan der Memos, die Marks regelmäßig verschickt. Marks ist Autor des Bestsellers „Marktzyklen meistern“, in dem er seine Sicht auf die Schwankungen an den Börsen erläutert. DER AKTIONÄR hat mit ihm gesprochen.
DER AKTIONÄR: Was ist die Grundlage der von Ihnen analysierten Zyklen?
Howard Marks: Zyklen werden in erster Linie durch das Verhalten der Menschen verursacht. Die Märkte schwanken zwischen Angst und Gier, zwischen Pessimismus und Optimismus. Wenn die Mehrheit gierig ist, steigen die Märkte, wenn die Angst überwiegt, fallen die Preise. Wenn ich in meinem Buch von Zyklen spreche, verwende ich das Bild eines Pendels, um sie mit den Schwankungen in der Psychologie in Verbindung zu bringen. Das Pendel schwingt von links nach rechts und wieder zurück. Daraus ist dann auch eines der längsten Kapitel entstanden, es geht um die Schwankungen in der Risikoeinstellung der Marktteilnehmer. Das hängt von der aktuellen Grundstimmung ab – sind die Marktteilnehmer im Moment eher ängstlich, versuchen sie, Risiken zu vermeiden. Überwiegt die Gier, wird das Risiko als konstruktiv angesehen und gern in Kauf genommen.
Wenn wir also an die Pandemie oder sogar an die Ukraine denken ...
... dann sieht man etwas Interessantes. Zuerst führte die Pandemie zu einer starken „Risikoaversion“. Die Aktienkurse fielen. Dann intervenierten die Zentralbanken massiv, was die Menschen dazu veranlasste, trotz der unveränderten Gesundheitssituation Aktien zu kaufen. Infolgedessen stiegen die Kurse und noch mehr Menschen kauften Aktien. Ein solcher Prozess ist selbstbeschleunigend. Aber er hat nichts mit Zyklen zu tun. Und für Anleger ist es sehr wichtig, das zu erkennen: Wer nach einer Erklärung für die täglichen Schwankungen an den Märkten sucht, wird enttäuscht sein. Denn die gibt es oft nicht.
Können Ereignisse wie die Corona-Pandemie die Zyklen durcheinanderbringen?
Zyklen folgen sich wiederholenden Mustern, die hauptsächlich aus emotionalen Exzessen in eine Richtung und deren Korrektur resultieren. Exogene Einflussfaktoren sind nicht Teil eines Zyklus – und auch nicht deren Korrektur.
Aber können exogene Ereignisse nicht wiederum die Stimmung beeinflussen – die Grundlage von Zyklen?
Kurzfristig ja – wie wir bei Covid und den Interventionen der Zentralbanken gesehen haben. Aber die kurzfristige Stimmung bleibt, was sie ist: eine kurzfristige Stimmung.
Nehmen wir ein anderes aktuelles Ereignis, die Situation in der Ukraine. Diese hat die deutsche Regierung dazu veranlasst, von lange Zeit sehr festen Positionen abzurücken. Sie plant unter anderem eine deutliche Erhöhung der Rüstungsausgaben. Ändert so etwas nicht dauerhaft die Stimmung – und zwar für eine bestimmte Branche, in diesem Fall die Rüstungsindustrie?
Wenn Sie wissen wollen, ob so etwas einen neuen Zyklus auslöst, dann bin ich skeptisch. Wir müssen uns zunächst fragen, ob die Ereignisse vorübergehend oder dauerhaft sind. Ereignisse können, ohne zyklisch zu sein, durchaus einen Einfluss haben. Vielleicht wird die deutsche Regierung ihre Meinung wieder ändern. Vielleicht ändert sich die Meinung der Bevölkerung und dann ändert sich auch die Meinung der Regierung. Deshalb sehe ich solche exogenen Faktoren eher als Auslöser für einmalige Veränderungen als für Zyklen.
Was bedeutet das für die Anleger?
Man muss immer bedenken, dass exogene Faktoren manchmal stärker sein können als ein Konjunkturzyklus, insbesondere auf kurze Sicht. Nehmen wir „Don’t fight the Fed“. Es kann sein, dass es tatsächlich zu einer Rezession kommt, aber die Fed das nicht will. Dann hat die Fed Mittel und Wege, eine solche zu verhindern.
Sollten Anleger also trotzdem versuchen, über einen Zyklus hinaus zu handeln?
Normale Anleger sollten nicht erwarten, dass sie den Zyklus richtig timen und vor einem Anstieg einsteigen und vor einem Rückgang aussteigen. Es ist sehr schwierig zu wissen, was genau zu tun ist und wann man es tun muss, um dieses Ziel zu erreichen. Das Pendel der Emotionen bringt die Menschen dazu, Fehler zu machen. Darüber hinaus ist es extrem schwierig, den Markt zu timen. Und selbst wenn ich richtig voraussage, dass Ereignis X eintreten wird, bleibt die Frage: Was passiert dann?
Wie sollten sich die Aktionäre also verhalten?
Das Wichtigste ist, dass man an den Märkten oft aus Emotionen heraus Fehler macht. Deshalb: Lassen Sie sich nicht zu sehr von Emotionen beeinflussen! Lassen Sie sich nicht von steigendem Optimismus dazu verleiten, bei hohen Kursen zu kaufen! Machen Sie nicht den Fehler, teuer zu kaufen und billig zu verkaufen!
Gelingt es Ihnen?
Während der Arbeit an meinem Buch („Marktzyklen meistern“) unterhielt ich mich mit meinem Sohn und wir sprachen über meine Karriere an den Märkten. Ich sagte zu ihm: „Andrew, mein Timing war im Allgemeinen richtig.“ Er antwortete: „Das liegt daran, dass du es in 50 Jahren fünfmal gemacht hast!“ Das mag übertrieben sein, aber es zeigt deutlich, wie selten ich versuche, den Markt zu timen. Es gibt einfach nicht so viele gute Gelegenheiten.
Können Sie sich als Investor an der Vergangenheit orientieren?
Hier möchte ich Mark Twain zitieren: „Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.“ Allgemeine Muster wiederholen sich immer wieder, aber nie genau so wie beim letzten Mal. Der Aktienmarkt ist keine Physik. Wenn Sie einen Ball aus zehn Metern Höhe fallen lassen, können Sie seine Fallgeschwindigkeit genau berechnen. Der Aktienmarkt ist nicht so vorhersehbar, weil seine kurzfristigen Schwankungen von Psychologie und Emotionen beeinflusst werden. Der Markt kann auf sehr ähnliche Ereignisse völlig unterschiedlich reagieren. Oder auf das Eintreten eines bestimmten Ereignisses ganz anders als von allen vorhergesagt.
Welchen Kerngedanken sollten Anleger aus Ihrem Buch über Marktzyklen mitnehmen?
Zunächst einmal, ganz einfach: Kaufen und halten. Das Beste, was Sie in der Vergangenheit tun konnten, war, investiert zu bleiben. In den letzten 90 Jahren hat der S&P durchschnittlich 10,5 Prozent pro Jahr zugelegt, und ich muss Ihnen nicht sagen, welche Krisen es in dieser Zeit gegeben hat.
Wenn Sie aktiver sein wollen, steht es Ihnen frei, es zu versuchen. Aber man muss verstehen, wie Zyklen funktionieren, man muss Übertreibungen und Korrekturen verstehen und vermeiden, daran teilzunehmen. Sie müssen sich über eines im Klaren sein, siehe S&P 500: Der Durchschnitt zu sein ist auf den Märkten auf lange Sicht ziemlich gut!
Warren Buffett sagt öffentlich, dass er Ihre Meinung schätzt. Worauf führen Sie das zurück?
Wir sehen die Dinge ähnlich, und wenn Sie es so ausdrücken, fühle ich mich sehr geehrt. Wir denken ähnlich über Emotionen und den Wert von Unternehmen. Wenn andere ängstlich sind, dann sollte man mutig sein und umgekehrt. Auch das sehen wir ähnlich.
Hat Warren Buffett Ihre Anlagephilosophie beeinflusst?
Ich war kein früher Buffett-Jünger, ich habe ihn und seine Arbeit zu Beginn meiner Karriere nicht auf diese Weise wahrgenommen. Das änderte sich vor etwa 25 Jahren. Ich erkannte, dass er viele Dinge ähnlich einschätzte wie ich, und ich habe viel von ihm gelernt und er hat meinen Blick geschärft. Charlie Munger – heute ein sehr guter Freund von mir – sieht den Wert auf diese Weise: Was man kauft, muss kein spektakuläres Schnäppchen sein. Ein gutes Unternehmen zu einem fairen Preis, das über einen langen Anlagehorizont gehalten wird – das ist auch in Ordnung.
Meiner Meinung nach verkaufen die Leute zu leichtfertig. Wenn Sie ein großartiges Unternehmen in Ihrem Portfolio haben, bleiben Sie einfach investiert! Wenn Sie verkaufen wollen, dann sollte dem Verkauf mindestens die gleiche Analyse vorausgehen wie dem Kauf. Verkaufen ist eine folgenschwere Entscheidung. Vor etwa 20 Jahren kostete eine Aktie von Amazon sechs Dollar. Sie hätten einen Verdoppler bei zwölf Dollar verkaufen können. Oder bei 60 das Zehnfache. Oder bei 600 ... Was ich damit sagen will: Es gibt nur wenige gute Gelegenheiten, man muss sie nutzen. Und man sollte nie just verkaufen, weil man soundso viel Gewinn hat. Man sollte immer die aktuelle Situation des Unternehmens bewerten.
Eine letzte Frage: Wie viel Kapital verwalten Sie derzeit?
Derzeit rund 160 Milliarden US-Dollar.
Dieser Artikel ist in DER AKTIONÄR Nr. 15/2022 erschienen, welches Sie hier als PDF gesamt herunterladen können.
von Sebastian Grebe