Der Brief des flüchtigen Ex-Vorstand Jan Marsalek hat in dieser Woche wieder das öffentliche Interesse am seit rund sieben Monaten laufenden Wirecard-Prozess geweckt. Nachdem das Schreiben am Mittwoch für Tumult bei Gericht gesorgt hatte, warf am heutigen Donnerstag die Aussage einer wichtigen Zeugin neues Licht auf die Flucht Marsaleks.
Im Prozess vor dem Landgericht München I sagte am Donnerstag die ehemalige Wirecard-Produktvorständin Susanne Steidl als Zeugin aus. Sie schilderte dabei die dramatischen Tage im Juni 2020, als klar wurde, dass 1,9 Milliarden Euro angeblich auf den Philippinen verbuchter Firmengelder verschwunden waren.
Steidl zufolge wurde sowohl ihr selbst als auch Finanzvorstand Alexander von Knoop erst zu diesem Zeitpunkt der Ernst der Lage klar. Die fraglichen 1,9 Milliarden waren angeblich auf philippinischen Treuhandkonten verbucht. Die dortige Bank informierte jedoch den Konzern, dass die Unterschriften unter den Verträgen gefälscht waren.
„Ab dem Moment war Krise“
Der Finanzvorstand sei dann in ihr Büro gekommen, berichtete Steidl. „Susanne, guck mal, wir haben ein Problem“, habe von Knoop gesagt. „Ab dem Moment war Krise“, erinnerte sich die Managerin weiter.
Im Wirecard-Vorstand zuständig für das Asien-Geschäft war Marsalek. Vorstandschef Markus Braun habe dann zu ihm gesagt: „Jan, Du musst in die Philippinen fliegen.“ Dort sollte Marsalek das Problem demnach persönlich klären. Ob Braun seinem Vorstandskollegen und langjährigem Vertrauen damit einen Vorwand zur Flucht ins Ausland geliefert hat, geht aus Steidls Aussagen nicht explizit hervor. Sie äußerte sich dazu auch nicht.
Fakt ist aber, dass Marsalek nie auf den Philippinen angekommen ist. Nach bisherigen Erkenntnissen soll er über Belarus nach Russland geflohen sein, wo sich seine Spur verliert. Der Ex-Manager wird seither als mutmaßliche Hauptverdächtiger im Betrugsskandal bei Wirecard per Haftbefehl gesucht.
Laut Staatsanwaltschaft wickelte Wirecard unter maßgeblicher Beteiligung Brauns und Marsaleks Scheingeschäfte in Milliardenhöhe ab. Den Schaden für die Gläubiger des Konzerns beziffern die Ermittler auf über drei Milliarden Euro. Die Anklage fußt wesentlich auf den Aussagen des mitangeklagten Kronzeugen Oliver Bellenhaus, einem früheren Wirecard-Manager in Dubai.
Der angeklagte Ex-Vorstandschef Braun beharrt indes darauf, dass die Geschäfte echt waren. Seiner Darstellung zufolge hätten Marsalek, Bellenhaus und Komplizen insgesamt zwei Milliarden Euro abgezweigt und veruntreut.
Keine schnelle Entscheidung über Brief von Marsaleks Anwalt
Für neue Brisanz sorgte dabei ein Brief von Marsaleks Anwalt an das Landgericht, in dem dieser schwere Vorwürfe gegen den Kronzeugen Bellenhaus erhebt. Die Frage nach dem Umgang mit dem Schreiben im Prozess hatte tags zuvor bereits für Streit zwischen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und dem vorsitzenden Richter Markus Födisch. Letzterer signalisierte am Donnerstag, die Entscheidung darüber erst Bedenkzeit zu treffen.
Der Wirecard-Aktie, die nur noch im Freiverkehr der Hamburger Börse gehandelt wird, hatte die überraschende Äußerung des seit drei Jahren untergetauchten Ex-Vorstands am Mittwoch einen Kurssprung beschert. Am Donnerstag muss sie einen Teil davon wieder abgeben. Anleger sollten aber ohnehin einen großen Bogen um den Pennystock machen.
Mit Material von dpa-AFX.