Beim Industriekonzern ThyssenKrupp ist es zum Bruch zwischen Aufsichtsratsspitze und Vorstandsvorsitz gekommen. Konzernchef Guido Kerkhoff soll nach dem Willen maßgeblicher Aufsichtsräte den ehemaligen DAX-Konzern nach etwas mehr als einem Jahr schon wieder verlassen. Chefkontrolleurin Merz will selbst Interimschefin werden.
Der Personalausschuss des Aufsichtsrats habe dem Aufsichtsrat empfohlen, mit Kerkhoff "Verhandlungen über eine zeitnahe Beendigung seines Vorstandsmandates aufzunehmen", teilte ThyssenKrupp am Dienstagabend überraschend mit. Aufsichtsratschefin Martina Merz solle für maximal zwölf Monate als Vorstandschefin übernehmen.
Gründe für den ungewöhnlichen Schritt wurden zunächst nicht genannt. Dem Vernehmen gab es zuletzt auch unterschiedliche strategische Vorstellungen. Das Aufsichtsratspräsidium habe sich neue Führungskräfte gewünscht, hieß es. In der Mitteilung der Thyssen AG hieß es: Die im Mai 2019 angekündigte und vom Aufsichtsrat einstimmig beschlossene Neuausrichtung des Konzerns werde konsequent fortgesetzt.
Kerkhoff steht erst seit Mitte Juli 2018 an der Spitze des Industriekonzerns. Er hatte eigentlich einen Vertrag bis 30. September 2023. Der einstige langjährige Finanzvorstand Kerkhoff sollte ThyssenKrupp nach dem turbulenten Abgang des früheren Vorstandsvorsitzenden Heinrich Hiesinger wieder stabilisieren. Hiesinger hatte nach Differenzen mit Investoren die Brocken hingeworfen.
Weiter empfahl das Präsidium des Aufsichtsrats dem Aufsichtsrat, den früheren Siemens-Manager Siegfried Russwurm nach Übernahme des Vorstandsvorsitzes durch Martina Merz interimistisch zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats zu wählen. Russwurm war während der Turbulenzen im vergangenen Sommer nach Medienberichten auch als Nachfolgekandidat von Hiesinger gehandelt worden. Der Aufsichtsrat werde "zeitnah" in einer außerordentlichen Sitzung über die Empfehlungen des Präsidiums und des Personalausschusses beraten, hieß es weiter. Präsidium und Personalausschuss des Aufsichtsrats sind identisch besetzt – beiden Gremien sitzt Martina Merz selbst vor.
Thyssenkrupp steckt seit langem in der Krise. Die Finanzdecke ist dünn - auch eine Folge von milliardenschweren Fehlinvestitionen in Stahlwerke in Brasilien und den USA. Die als Befreiungsschlag geplante Stahlfusion mit dem indischen Konkurrenten Tata wurde von der EU untersagt. Kerkhoff sagte daraufhin auch die Aufspaltung des Konzerns in zwei eigenständige Unternehmen ab.
Um Geld in die leeren Kassen zu bekommen, hatte Kerkhoff den Börsengang oder einen Verkauf der profitablen Aufzugssparte geplant. Ihr Wert wird von Analysten deutlich höher eingeschätzt als der des gesamten Konzerns mit seinen weltweit rund 160.000 Mitarbeitern.
Die zuletzt bereits unruhigen Zeiten für Anleger dürften kurzfristig noch unruhiger werden. Sollte es tatsächlich zu einem Wechsel kommen, will der Konzern seine Neuausrichtung unter dem Motto „Performance first, flexibles Portfolio und effiziente Organisation“ weiter vorantreiben. Man darf gespannt sein, wie die Großaktionäre auf die neue Personalie reagieren werden. Investierte Anleger bewahren aber vorerst Ruhe und bleiben dabei.
(Mit Material von dap-AFX)