Mercedes geht davon aus, auch in diesem Jahr hohe Preise durchsetzen zu können. Nach dem starken ersten Quartal wurden die Stuttgarter um Chef Ola Källenius daher auch etwas zuversichtlicher. Im Pkw-Geschäft soll die um Sondereffekte bereinigte Marge vor Zinsen und Steuern jetzt das obere Ende der Spanne von 12 bis 14 Prozent des Umsatzes erreichen (VJ: 14,6). Im Geschäft mit Lieferwagen setzte Finanzchef Harald Wilhelm die Latte gleich etwas höher und rechnet nun mit einer operativen Umsatzrendite von 11 bis 13 Prozent (VJ: 11,2).
Absatz und Umsatz der Pkw-Sparte sollen sich 2023 auf dem Niveau des Vorjahres bewegen, bei den Vans geht Mercedes von einem leichten Absatzplus aus, der Umsatz mit den Lieferwagen dürfte hingegen deutlich zulegen. Das Finanzdienstleistungs- und Mobilitätsgeschäft sollte eine bereinigte Eigenkapitalrendite von 12 bis 14 Prozent einfahren (VJ: 16,8). Insgesamt geht der Vorstand von einem Umsatz auf Vorjahresniveau und einem Ergebnis vor Zinsen und Steuern leicht unter dem Vorjahreswert aus. Der Mittelzufluss (Free Cashflow) im Fahrzeuggeschäft soll auf dem Niveau des Vorjahres landen (8,1 Mrd).
Im zweiten Quartal hat Mercedes 515 700 Autos abgesetzt und damit 6 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Besonders die teuren Modelle legten mit 12 Prozent deutlich zu, was auch die operative Marge stützen dürfte. Denn die Autos der Sportsubmarke AMG, die Luxussubmarke Maybach, die Varianten der S-Klasse und die G-Klasse sind besonders rentabel. Bei den reinen Elektroautos hat Mercedes mit 56 300 Pkw die Verkäufe gar mehr als verdoppelt.
Spannend für die Aktionäre dürfte werden, wie der Vorstand die Preisentwicklung in den kommenden Monaten und Quartalen einschätzt. Experten rechnen seit längerem damit, dass am Gesamtmarkt wieder Druck auf die Hersteller bei den Preisen entsteht, da sich die Produktionsstaus weitgehend gelegt haben und die Weltwirtschaft wegen hoher Inflation und steigenden Zinsen schwächelt. Das könnte auch bei den weniger preissensiblen Kunden von Mercedes über Kurz oder Lang von Bedeutung werden. In der Branche gilt derzeit insbesondere die Auftragslage als wacklig. Källenius spricht sich indes öffentlich immer wieder gegen Rabatte zur Verkaufsförderung aus.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie es abseits der konjunkturellen Lage im wichtigsten Einzelmarkt China mit dem Verhältnis der Autobauer zum größten Automarkt der Welt weitergeht, angesichts von Streitigkeiten um Technologieaustausch und die politische Lage in der Volksrepublik. Mercedes hat in China zudem bedeutende Großaktionäre.
JPMorgan-Analyst Jose Asumendi zufolge dürfte Mercedes wieder ein starkes Quartal abliefern, getragen von einer guten Preisentwicklung. Für die Pkw-Sparte rechnet er mit einer operativen Marge von 13 Prozent. Der Umsatz dürfte sich auf 38 Milliarden Euro belaufen, das wären rund vier Prozent mehr als ein Jahr zuvor (36,4 Mrd). Für den Barmittelzufluss (Free Cashflow) erwartet der Experte 2,5 Milliarden Euro. Hier sollte das Unternehmen von Dividendenzuflüssen aus China und von seiner Beteiligung Daimler Truck profitiert haben.
Deutsche-Bank-Fachmann Tim Rokossa schätzt ebenfalls, dass die operative Marge im Autogeschäft vom sehr starken Niveau des ersten Quartals (14,8 Prozent) etwas zurückgegangen ist. Grund sei unter anderem weniger Rückenwind durch gute Wiederverkaufs-Restwerte von Leasingrückläufern - und die erwarteten Entlastungen bei den Rohmaterialkosten seien später als gedacht gekommen. Bei den Vans dürfte Mercedes nach wie vor über dem für das Jahr angepeilten Prognosekorridor gelegen haben. In der Finanzdienstleistungs- und Mobilitätssparte normalisiere sich das gute Geschäft wegen hoher Zinsen, schrieb Rokossa.
Dorothee Cresswell von Exane-BNP-Paribas geht davon aus, dass auch die wohlhabenderen Mercedes-Kunden die Wirtschaftsschwäche zu spüren bekommen dürften. Der Vorstoß von Källenius in höhere Preisdimensionen könnte daher zur falschen Zeit gekommen sein, schrieb sie jüngst in einer Studie. Das könne die hochgesteckten Ambitionen bei den Verkaufspreisen und beim Wachstum gefährden. Auch die Unfähigkeit, in China nennenswert Marktanteile bei batterieelektischen Autos einzuheimsen, mache ihr Sorgen.
Die von Bloomberg befragten neun Analystinnen und Analysten erwarten im Schnitt ein Umsatzwachstum von knapp fünf Prozent auf 38,1 Milliarden Euro. Die operative Marge im Autogeschäft dürfte mit 14 Prozent 0,2 Prozentpunkte niedriger ausfallen als ein Jahr zuvor. Bei dem um Sondereffekte bereinigten Konzernergebnis vor Zinsen und Steuern rechnen die Fachleute derweil mit einem Rückgang um gut sechs Prozent auf 4,63 Milliarden Euro - vor allem wegen rückläufiger Ergebnisse in der Finanzsparte.
Im Gesamtjahr schätzen die Experten die Lage in etwa wie das Unternehmen ein. Dem Stimmungsbild zufolge sollte die bereinigte operative Marge im Pkw-Geschäft rund 13,8 Prozent erreichen (VJ: 14,6). Das bereinigte operative Konzernergebnis (Ebit) wird den Schätzungen zufolge um vier Prozent auf 19,8 Milliarden Euro sinken.
Die Luxus-Strategie von Mercedes-Vorstand Ola Källenius hat sich in den letzten Quartalen ausgezahlt. Die Marge erreichte zuletzt rund 12 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 waren es nur rund fünf Prozent.
Jetzt muss Mercedes-Benz zeigen, ob sich dieser Trend in den nächsten Monaten unter anderem mit dem Roll-out der E-Klasse fortsetzen lässt. Wichtig ist und bleibt der chinesische Automarkt. Hier muss Mercedes schnellstmöglich mit neuen innovativen Elektroautos nachlegen, um die ins stocken geratene Verkäufe anzukurbeln.
Aus charttechnischer Sicht sind zuletzt wichtige Unterstützungen gefallen. Sowohl die 50-Tage-Linie, die bei 71,90 Euro verläuft, als auch die 100-Tage-Line bei 71,31 Euro wurden nach unten durchbrochen. Support bietet jetzt die für den langfristigen Trend wichtige 200-Tage-Linie, die bei 68,18 Euro verläuft.