Warum ist Amazon das wertvollste Unternehmen der Welt und dennoch nicht im Dow Jones enthalten, immerhin dem Index, der die US-amerikanische Wirtschaft bestmöglich abbilden soll? Und wichtiger noch: Warum wird Amazon (niemals) in diesen Index aufgenommen werden? Die Antwort ist kurios – und offenbart ein eklatantes Problem.
Amazon hat derzeit den Titel „wertvollstes Unternehmen der Welt“ inne. Gemessen an der Höhe der Marktkapitalisierung, also des Wertes aller Aktien, ist Amazon die Nummer 1. Nicht unangefochten zwar, aber doch (aktuell) mit immerhin ein paar Milliarden Dollar Abstand zum nächstgrößeren Kontrahenten Microsoft. Doch anders als Microsoft (und auch Apple) ist Amazon kein Mitglied des Dow Jones. Warum eigentlich nicht? Der Logik des Wertes eines Unternehmens folgend müsste doch gerade Amazon im Dow enthalten sein. Tatsächlich folgt jeder Index seiner eigenen Logik. Wissen Sie, wie sich etwa die Zusammensetzung des Deutschen Aktienindex DAX ergibt? Es ist eine Mischung aus Marktkapitalisierung, Streubesitz und Handelsvolumen. Wie genau, ist an dieser Stelle fast schon egal, denn es geht einzig und allein darum, dass die DAX-Komposition auf harten Fakten basiert. Die des Dow Jones aber nicht. Das ist kurios. Und in gewisser Hinsicht auch fatal.
Der Dow Jones Industrial Average – so der vollständige Titel – ist ein Auswahlindex, dessen Mitglieder tatsächlich ausgewählt werden. Fakten spielen da zwar eine (gewichtige) Rolle, reichen aber allein nicht aus. Es geht auch um Stimmungen. So sperrte sich das Index-Komitee jahrelang gegen die Aufnahme von Apple in den Index. Man wollte nicht, dass Apple den Index verzerrt. Ausschlaggebend für den Kurs des Dow ist nämlich nicht (wie beim DAX) die Bewegung der gemessen an der Marktkapitalisierung am höchsten in ihm gewichteten Aktie, sondern die Bewegung des höchsten Aktienkurses. So kommt es, dass eine Ein-Prozent-Bewegung einer 500-Dollar-Aktie mehr Einfluss auf den Dow-Kurs hat als die Ein-Prozent-Bewegung einer 50-Dollar-Aktie, selbst wenn das dahinterstehende Unternehmen doppelt oder fünfmal so viel wert ist wie das Erstgenannte.
Als Apple schließlich im Jahr 2015 in den Dow Jones aufgenommen wurde, ließ sich David M. Blitzer, Chef des Index-Komitees bei S&P Dow Jones, mit den Worten zitieren: „Eine Aktie wird normalerweise nur hinzugefügt, wenn das Unternehmen einen hervorragenden Ruf hat, nachhaltiges Wachstum zeigt und für eine große Anzahl von Investoren von Interesse ist.“ Die Skepsis gegenüber Tech-Unternehmen hat der Indexbetreiber jedoch trotz der Aufnahme von Apple nicht aufgegeben. Etwas hämisch kommentierten Händler damals die Entscheidung pro Apple, als sie davon sprachen, das Index-Komitee hätte den Elefanten im Raum nicht länger ignorieren können. Apple war damals etwa doppelt so viel wert wie das größte Dow-Mitglied Exxon Mobil. Und jetzt? Amazon ist ein noch größerer Elefant – und dennoch nicht Teil des Index.
Kurios an alldem ist, dass Amazon – sofern es seinen guten Ruf behält, nachhaltig wächst und damit für eine große Anzahl an Investoren interessant bleibt, also all die Kriterien erfüllt, von denen Blitzer spricht – niemals Mitglied des Dow Jones werden wird. Das hat nicht (vordergründig mit der Ablehnung von Tech-Firmen) mentale, sondern faktische Gründe: Die Amazon-Aktie ist schlicht und einfach zu teuer. Der Gradmesser des Erfolgs – nichts anderes ist der Aktienkurs – ist hier Hinderungsgrund Nummer 1. Unglaublich, aber wahr. Die Amazon-Aktie müsste entweder dramatisch fallen, um eine Chance zu haben – oder aber Amazon müsste einen Aktiensplit (vermutlich mindestens im Verhältnis 10 zu 1 durchführen). Denn auch ehe Apple sein Ticket löste, hatte die Firma im Jahr 2014 einen Aktiensplit (im Verhältnis 7 zu 1) ausgeführt. Man erhielt also für eine Aktie sieben. Ohne diesen Vorgang stünde die Aktie heute bei etwa 1.050 Dollar – und wäre (wie Amazon) kein Teil des Dow Jones.
Vor diesem Hintergrund muss zumindest die Frage erlaubt sein, inwiefern der Dow Jones – wohlgemerkt der meistbeachtete Index der Welt – die US-Wirtschaft überhaupt noch adäquat wiederspiegelt, wenn Unternehmen wie Amazon nicht Teil von ihm sind. Amazon ist einer der größten Arbeitgeber des Landes, wird Walmart in absehbarer Zeit beim Umsatz übertrumpfen (Nord-Amerika-Sparten) und dürfte bei Investoren weitaus gefragter sein als sein stationärer Kontrahent. Unabhängig solcher Vergleiche ist wohl unstrittig, dass Amazon schon heute ein bedeutender Teil der US-Wirtschaft ist. Als solcher sollte der Titel auch Teil des Dow Jones sein. Dass er es nicht ist, ist an und für sich ein Unding.
Eine aktuelle Einschätzung des AKTIONÄR zur Amazon-Aktie finden Sie hier.
Dieser Beitrag ist angelehnt an eine Veröffentlichung in der heutigen Ausgabe des Börsen.Briefing. Registrieren Sie sich jetzt kostenfrei für das Börsen.Briefing. und starten Sie täglich bestens informiert in den Handelstag.
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