Bei Covestro läuft es derzeit wieder richtig rund – wie die jüngst vorgelegten 2020er-Zahlen und ein guter Ausblick auf 2021 zuletzt einmal mehr verdeutlichten. DER AKTIONÄR sprach daher mit dem Finanzvorstand des Chemie-Riesen, Dr. Thomas Toepfer.
Sehr geehrter Herr Dr. Toepfer, die Wirtschaftslokomotive China nimmt wieder Fahrt auf. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage des dortigen Chemiemarktes?
Dr. Thomas Toepfer: China ist für uns ein sehr, sehr wichtiger Markt. Und natürlich hat die Krise letztes Jahr dort ihren Ausgang genommen. Insofern haben wir die ersten negativen Effekte in China auch schon im ersten Quartal 2020 gesehen, aber dann auch eine sehr schnelle Erholung im zweiten Quartal. In Europa war sozusagen der Tiefpunkt erst im zweiten Quartal, in den USA Ende des zweiten Quartals – zu diesem Zeitpunkt war China schon wieder im Wachstumsmodus. Und diese Entwicklung wird sich nach unserer Einschätzung genauso fortsetzen. Es gibt dort im Augenblick eine sehr hohe Nachfrage und es gibt auch ein gutes Momentum bei den Preisen. Und es handelt sich dabei nicht nur um Aufholeffekte, weil etwa Lager aufgefüllt werden, sondern um eine breitbasierte Erholung. Daher gehen wir davon aus, dass China deutlich wachsen wird – stärker als die Regionen Europa und USA.
Und welche Entwicklung erwarten Sie in diesen Märkten?
Europa und die USA haben im zweiten Halbjahr wieder in den Wachstumsmodus geschaltet – etwas zeitversetzt. So ist Europa früher in die Krise geraten, aber auch früher wieder herausgekommen. Hier ging es aber dem dritten Quartal nach oben. In den USA sind wir im vierten Quartal wieder gewachsen mit einem guten einstelligen Prozentbereich. In beiden Regionen gehen wir davon aus, dass wir das Vorkrisen-Niveau im kommenden Jahr wieder übertreffen werden. Und das gilt auch für Covestro insgesamt.
Wir erwarten ein Wachstum, das auch ohne die sechs Prozentpunkte aus der Akquisition von RFM bei sechs bis sieben Prozent liegt. Damit würden wir die Rückgänge, die wir 2020 zu verzeichnen hatten, mehr als kompensieren.
Immer wieder war in den vergangenen Monaten von Überkapazitäten wie etwa bei der TDI-Produktion zu lesen. Bestehen der Preisdruck aktuell immer noch oder hat sich die Lage mittlerweile verbessert?
Die Preise bei TDI, MDI und Polycarbonat haben durchaus ein bisschen einen Rohstoff-Charakter, sind also sehr stark getrieben von Angebot und Nachfrage auf dem Markt. Das ist etwa bei unseren Spezialitäten- und Lösungs-Geschäft anders. Hier kauft der Kunde ein schwer austauschbares Produkt, praktisch unsere individuelle Kompetenz.
Aber grob die Hälfte unseres Geschäftes ist sehr stark von Angebot und Nachfrage geprägt. Sehr ungewöhnlich war, dass Ende 2019 bei allen drei Bereichen - also TDI, MDI und Polycarbonat - fast gleichzeitig hohe Kapazitäten an den Markt gekommen sind. Darunter haben dementsprechend auch die Preise gelitten, obwohl die Nachfrage weiter relativ konstant gestiegen ist – mit der Ausnahme im zweiten Quartal 2020.
Jetzt ist die Situation anders. Bei MDI dürften wir 2021 sehen, dass Angebot und Nachfrage wieder weitestgehend in der Balance sind. Bei TDI ist das zusätzliche Angebot so groß gewesen, dass es etwas länger dauern dürfte, es könnte sich durchaus bis 2022 ziehen. Und bei Polycarbonat ist es etwas unklar. Hier muss man abwarten, was in China auf den Markt kommt. Im Augenblick haben wir hier eine recht balancierte Nachfragesituation.
Überlagert wird das Ganze aktuell durch eine Reihe kurzfristiger Effekte, weil Anlagen von Wettbewerbern ausgefallen sind oder wie in Texas eine ganze Industrieregion sich mit Nullproduktion auseinandersetzen muss. Zudem gibt es eine hohe Nachfrage, weil kurzfristig Lieferketten wieder aufgefüllt werden müssen. In der Automobilindustrie ist dies etwa der Fall, sie fährt massiv wieder an. Auch in der Chipindustrie sehen wir das. Und in Einzelbereichen gibt es auch Probleme mit der Rohstoffbeschaffung, sodass die theoretisch installierte Kapazität im Augenblick einfach nicht voll zur Verfügung steht. Das führt dazu, dass gerade im Bereich MDI, aber auch TDI, wir es gerade mit sehr hohen Margen zu tun haben.
In unserem Ausblick für das Gesamtjahr ist daher berücksichtigt, dass sich das auch wieder nach unten normalisieren könnte.
Für welche Bereiche sehen Sie langfristig die größten Wachstumspotenziale?
Wir haben eine klare Vision: Wir wollen uns vollständig auf die Kreislaufwirtschaft ausrichten. Das ist nichts, was wir innerhalb von fünf oder acht Jahren realisieren, es wird länger dauern. Aber wir haben schon Vieles, das tatsächlich kurzfristig greift und die unser Wachstum massiv forcieren wird. Das Offensichtlichste ist unsere Akquisition von RFM von DSM. RFM steht für Resins & Functional Materials, das sind Beschichtungstechnologien.
Und das Interessante an diesem Geschäft ist, dass es sehr auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, etwa auf wasserbasierte Lösungen und nicht lösungsmittelbasierte. Oder zum Beispiel strahlenhärtende Lacke oder pulverbasierte Lösungen. Das sind alles Technologien, die überproportionale Wachstumsraten haben.
Die Akquisition ist daher so interessant für uns, weil es erstens perfekt zu dem passt, was wir bereits machen. Und zweitens diese Ausrichtung auf Thema Nachhaltigkeit hat.
Das gilt auch für viele andere Bereiche. Diesen Nachhaltigkeitstrend wird man in allen unseren Produkten sehr stark finden.
Und was dürfte - abgesehen von Corona – die größte Herausforderung für Covestro werden?
Das Thema Nachhaltigkeit ist natürlich eine große Herausforderung für uns. Wir glauben aber, dass wir hier innerhalb der Industrie an der absoluten Spitze sind. Wir entwickeln Produkte, die per se das Thema Nachhaltigkeit unterstützen. In unserem Produktportfolio befinden sich Isolierplatten für Häuser, was den Energiebedarf senkt. Sie finden Leichtbaumaterialien für Autos, was das Thema E-Mobilität überhaupt erst ermöglicht. Sie finden Beschichtungslösungen für Windräder.
Wir sind also sowohl bei den Produkten weit vorne als auch bei der Frage: Wie können wir diese am Ende des Lebenszyklus wieder recyceln? Dabei ist das chemische Recycling unserer Meinung nach eine deutlich intelligentere Lösung als etwa schreddern und einschmelzen. Denn man hat beim Aufbrechen der Moleküle in kürzere Ketten und dem recyceln dieser Moleküle kaum Qualitätsverluste bei jedem Recycling-Vorgang. Hier sind wir im Labor schon sehr weit, wollen dies dieses Jahr dann in einen vorindustriellen Maßstab bringen und dann weiter hochskalieren.
Im Energiebereich haben wir mit Ørsted bereits ein Abkommen geschlossen, welches uns Windenergie aus der Nordsee bringen wird. Auch diese Herausforderung haben wir denke ich frühzeitig gesehen und angegangen und sind daher in der Spitze bewegen.
Auch bei der Digitalisierung sind wir vorne dabei. Ein spannendes Thema ist etwa die „digitale Chemie“. Man macht also nicht mehr nur Versuche im Labor, sondern man lässt mit Big Data den Computer simulieren, was bei einer Reaktion rauskommen müsste. Das eröffnet aus unserer Sicht noch einmal ganz andere Dimensionen. Und auch hier haben wir ein Team, das an der Spitze in der Industrie steht – schließlich würde sich ein Unternehmen wie Google sicher nicht den schwächsten Partner in diesem Bereich aussuchen.
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