Drei Jahre hat China an No-Covid festgehalten. Vor wenigen Wochen, nach Protesten in der Bevölkerung, hat die Regierung viele Maßnahmen aufgehoben. Seitdem verbreitet sich das Coronavirus mit großer Geschwindigkeit in dem Land. DER AKTIONÄR sprach mit Top-Virologe und Epidemiologe Klaus Stöhr, wie es nun weitergeht.
DER AKTIONÄR: Herr Stöhr, die WHO ist besorgt darüber, was in China passiert. Die Lage in den Kliniken sei sehr angespannt, da es immer mehr schwere Erkrankungen gebe. Wie schätzen Sie die Situation ein?
KLAUS STÖHR: China hat jahrelang versucht, die Verbreitung des Virus zu unterdrücken – und das mit harten Maßnahmen. Jedoch geht die Ansteckung weiter und beschleunigt sich selbst bei der kleinsten Lockerung. Null-Covid ist nun mal null realistisch. Es liegt in der Natur von Coronaviren und auch von vielen anderen Viren: Sie verbreiten sich schnell auch durch asymptomatische Menschen.
Mit der Lockerung der Maßnahmen wird die Welle im Galopp durch China durchrauschen. Es gibt dort noch sehr viele nicht-immune Menschen – anders als in Europa. Viele werden erkranken, etliche schwer und es wird natürlich auch Tote geben.
Wann wird China auf dem europäischen Niveau sein?
Wahrscheinlich Ende 2023.
Man liest immer wieder vom Risiko, dass das Coronavirus in China mutiert, gefährlicher wird. Eben weil die Chinesen noch kaum Kontakt hatten mit SARS-CoV-2. Ist dem so?
Coronaviren mutieren. Das stimmt – aber das ist auch das einzige, das richtig ist. Für mich sind solche Berichte über Mutationen aus China, die pathologischer, also krankmachender sind, Panikmache. Oder die Aussagen kommen von Leuten, die keine Ahnung haben: Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas in einer schlecht immunisierten Bevölkerung wie in China passiert, ist viel geringer als dort, wo der natürliche Immunschutz weit oder sehr weit fortgeschritten ist, wie zum Beispiel in Europa.
Hat das Geschehen in China also keine Auswirkungen auf die Pandemie?
Nicht für uns in Europa.
Wann ist die Pandemie vorbei?
Ich denke, die WHO wird die Pandemie im Laufe 2023 für beendet erklären. Ich hatte das schon für diesen Sommer erwartet, aber die WHO hat sich dazu entschlossen, die Entwicklung von SARS-CoV-2 konservativ einzuschätzen.
Und wie geht es mit dem Impfen weiter? Müssen sich die Ü60 und vulnerable Menschen weiterhin jedes Jahr eine Auffrischungsimpfung abholen?
Das ist noch offen: auf jeden Fall ist die Impfung in diesem Jahr noch für diese Gruppe angeraten. Im nächsten Jahr wird man sehen, wie groß die Krankheitslast durch SARS-CoV-2 in der Endemie noch ist. Ich gehe davon aus, dass sie geringer als bei der Influenza sein wird. Dann wird man gesundheits-ökonomisch evaluieren müssen, für welche Risikogruppen die staatliche Finanzierung der Impfung noch Sinn macht.
Durch das Ende von No Covid wird sich die wirtschaftliche Situation in China merklich verbessern. Zudem werden sich die Lieferketten deutlich entspannen, was einen positiven Einfluss auf die Inflation haben wird.
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