Die Hoffnungen der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie auf kräftige Geschäftszuwächse haben mit dem Krieg in der Ukraine einen herben Dämpfer bekommen – was sich auch unschwer an den Kursverläufen der großen drei deutschen Chemieproduzenten BASF, Evonik und Covestro in den letzten Handelswochen ablesen lässt.
So zog nun auch der Verband der Chemischen Industrie (VCI) seine Prognose für das laufende Jahr zurück, wie er am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Zuletzt hatte der VCI ein weiteres Rekordjahr mit Zuwächsen bei Umsatz (fünf Prozent) und Produktion (zwei Prozent) erwartet. Eine neue Vorhersage wollte der Verband nun nicht wagen. "Jegliche Prognose wäre im hohen Maß spekulativ", sagte Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup.
Die Lage habe sich mit dem Ukraine-Krieg für die energie- und rohstoffintensive Chemiebranche dramatisch verändert, so der VCI. Mit den rasant gestiegenen Preisen für Öl und Erdgas schwinde der finanzielle Spielraum der Unternehmen. In einer Umfrage unter 247 Mitgliedsfirmen berichteten demnach 70 Prozent über gravierende Probleme für ihr Geschäft wegen der hohen Energiepreise. 54 Prozent erwarteten Rückgänge bei Umsatz und Produktion im laufenden Jahr.
Im vergangenen Jahr hatte die Chemie- und Pharmabranche mit mehr als 466 000 Beschäftigten ein Rekordjahr erlebt. Mit der Erholung vom Corona-Krisenjahr 2020 stieg der Umsatz 2021 um 17,9 Prozent auf 225 Milliarden Euro. Die Produktion legte kräftig um 5,3 Prozent zu.
Hohe Energiekosten bereiten Sorgen
Dieses Jahr dürften die Geschäfte schwieriger werden. Die Chemie- und Pharmabranche setzt laut VCI rund 2,8 Millionen Tonnen Erdgas als Rohstoff und 99,3 Terawattstunden Erdgas für die Erzeugung von Dampf und Strom im Jahr ein. Zudem benötigt sie über 14 Millionen Tonnen Rohbenzin als Rohstoff. In der Verbandsumfrage gaben aber 85 Prozent der Firmen an, steigende Produktions- und Beschaffungskosten gar nicht oder nur teilweise weitergeben zu können.
"Das führt zu Verschiebungen von Produktionen ins Ausland und Drosselungen von Anlagen im Inland, weil diese nicht mehr wirtschaftlich betreiben werden konnten", sagte Große Entrup. Zudem belasteten Störungen der Lieferketten, Logistikengpässe und Materialmangel auch die Chemie. Hier sei keine Trendwende in Sicht.
Die direkten Verflechtungen mit Russland und Ukraine sind für die Chemie- und Pharmabranche hingegen überschaubar. Die beiden Länder machen laut VCI in Summe knapp 3 Prozent der deutschen Chemie- und Pharmaexporte oder gut 6,8 Milliarden Euro aus.
Es bleibt dabei: Es bestehen verschiedene Risiken, welche die jüngste Erholung der Chemietitel gefährden könnten. Dementsprechend sind die an und für sich konservativen Aktien dieser Branche aktuell eher etwas für Mutige. Wer sich die günstig bewerteten Dividendenperlen ins Depot legen will, sollte die Stoppkurse bei 36,00 Euro (BASF) beziehungsweise 30,00 Euro (Covestro) und 18,00 Euro (Evonik) platzieren.
Hinweis auf Interessenkonflikte: Der Vorstandsvorsitzende und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: BASF.
Mit Material von dpa-AFX