Aus Angst vor den Kriegsfolgen haben Europas wichtigste Aktienmärkte am letzten Handelstag der Woche ihre deutlichen Vortagesverluste mehr als verdoppelt. Marktteilnehmer quittierten den anhaltenden Ukraine-Krieg mit massiven Verkäufen. Die Öl- und Rohstoffpreise hielten sich auf weiterhin hohem Niveau und befeuerten Rezessions- und Inflationsängste.
Der EuroStoxx 50 schloss mit einem Minus von 4,96 Prozent bei 3.556 Punkten. Daraus resultierte für den Leitindex der Eurozone ein Wochenverlust von mehr als zehn Prozent. Der französische Cac 40 büßte am Freitag 4,97 Prozent auf 6.062 Punkte ein. Der britische FTSE 100 gab um 3,48 Prozent auf 6.987 Punkte nach.
Kommt der große Crash?
„An den Märkten brennt es derzeit lichterloh“, konstatierte Marktanalyst Timo Emden von Emden Research. Viele Investoren stellten sich nun die Frage, ob aus der jüngsten Verlustserie ein Crash wird. „Für Anleger gilt derzeit nur das Prinzip Sicherheit und den weiteren Verlauf des geopolitischen Konflikts zu beobachten. Gerade über das Wochenende könnten neue Entwicklungen viele auf den falschen Fuß erwischen. Dass Fed-Chef Jerome Powell an seinen Plänen im Hinblick auf die Zinswende trotz des andauernden Krieges festhalten will, sorgt für eine zusätzliche Portion Unbehagen an den Märkten“, so Emden.
Gewinner und Verlierer bei Europa-Aktien
Alle Sektoren verzeichneten Verluste. Am stärksten verloren die Bankenwerte. Entsprechend waren die Papiere von Intesa Sanpaolo und von ING mit Kursabschlägen von jeweils über neun Prozent die Schlusslichter im EuroStoxx-50-Index.
Versorger stabilisierten sich unterdessen etwas nach den jüngsten starken Abgaben, auch wenn sie sich dem Abwärtssog nicht ganz entziehen konnten. Die Abhängigkeit von russischen Gasimporten sei geringer als befürchtet, schrieb Analyst Alberto Gandolfi von Goldman Sachs. Das Schwergewicht Iberdrola verlor lediglich 1,2 Prozent und war damit zweitbester Wert im EuroStoxx. Im Plus lag lediglich der Lebensmitteleinzelhändler Ahold Delhaize.
Gespräche mit Iran
Ein Brand auf dem Gelände des größten europäischen Atomkraftwerks in Saporischschja hatte die Verunsicherung an den Finanzmärkten heute nochmals angeheizt.
Unterdessen befinden sich die Atomgespräche mit dem Iran nach Einschätzung von Diplomaten in ihrer finalen Phase. „Wir sind nah dran“, schrieb die britische Verhandlungsführerin Stephanie Al-Qaq auf Twitter. Einige Verhandlungsparteien würden nun in ihre Hauptstädte zurückfliegen und seien bereit, gegebenenfalls bald wieder zu kommen. Das könne möglicherweise schon am Sonntag passieren, hieß es in diplomatischen Kreisen.
Sollten nicht mehr wie bisher hochrangige Beamte, sondern die Außenminister nach Wien kommen, gilt das als Signal für einen etwaigen Durchbruch. Jüngst hatte der EU-Chefverhandler Enrique Mora allerdings vor zu viel Optimismus gewarnt.
Seit Monaten vermitteln Diplomaten aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien in Wien zwischen den USA und dem Iran, um den Atompakt von 2015 zu retten. Zu den Mediatoren gehören auch China und – trotz des Ukraine-Krieges – Russland. Der Lösungsentwurf sieht vor, US-Sanktionen gegen Teheran aufzuheben und im Gegenzug das iranische Atomprogramm wieder einzuschränken, um die Entwicklung von Nuklearwaffen zu verhindern.
Die USA waren seinerzeit unter Präsident Donald Trump aus dem Atompakt ausgestiegen und hatten bereits aufgehobene Sanktionen neuerlich verhängt. Im Gegenzug begann der Iran unter anderem, fast waffenfähiges Uran herzustellen.
Eine Einigung mit dem Iran könnte an den Aktienmärkten für Erleichterung sorgen, weil der Iran dann Öl liefern könnte. Das könnte den zuletzt stark gestiegenen Ölpreis fallen lassen – und würde somit für Entspannung am Energie-Markt sorgen und unter anderem bei etlichen Unternehmen die Kosten sinken lassen.
(mit Material von dpa-AFX)