Coitus Interruptus in der Finanzwelt: Nur zwei Tage vor dem Doppel-Börsengang in Schanghai und Hongkong wurde das Weltrekord-IPO plötzlich auf Eis gelegt. Der Vorgang war unter anderem bemerkenswert, weil er für die asiatischen Finanzstandorte einen Image-Schaden mit sich bringt. Nun offenbart ein Bericht, wer die treibende Kraft hinter der Absage war.
Das ambivalente Verhältnis der chinesischen Regierung zu den Big-Tech-Größen des Landes ist kein Geheimnis. Zudem sollen chinesische Großbanken den Aufstieg von Fintech-Gigant Ant Group, der zu einem Drittel Alibaba gehört, argwöhnisch beäugt haben. Andererseits dürfte Alibaba- und Ant-Group-Gründer Jack Ma ebenfalls Kontakte zu Chinas politischer Elite pflegen. Unterm Strich war der drastische Schritt, den Börsengang extrem kurzfristig abzublasen, also auch in Bezug auf die Macht-Frage ein verblüffendes Ereignis.
Über des Rätsels Lösung hat inzwischen The Wall Street Journal berichtet (Bezahlschranke): Chinas Präsident Xi Jinping höchstpersönlich soll die Absage veranlasst haben! Die Zeitung beruft sich bei der Meldung auf chinesische Beamte.
„Es gibt kein systemisches Risiko in Chinas Finanzsystem. Chinas Finanzbereich hat kein System.“
Bei einem Finanztreffen in Schanghai hatte Jack Ma einen Satz von Xi Jinping zitiert, der gesagt hatte, Erfolg müsse nicht von ihm ausgehen. Daran anschließend hatte Jack Ma ausgeführt, er wolle mit technischen Innovationen dazu beitragen, Chinas finanzielle Probleme zu lösen. Er kritisierte, die Regulierung seitens der politischen Führung erschwere dieses Vorhaben. Banken würden zum Nachteil vieler Unternehmer eine „Pfandleiher-Mentalität“ an den Tag legen.
Als Xi Jinping und andere hochrangige Mitglieder der Partei davon erfahren haben, sollen sie wütend gewesen sein. Der Präsident habe daraufhin die Finanzaufsichtsbehörde auf Ant Group angesetzt. Unklar sei lediglich, ob Xi Jinping direkt oder ein anderes Regierungsmitglied letztendlich explizit den Stopp des Börsengangs angeregt habe.
Jack Ma ist nicht nur Chinas alter Finanzelite auf die Füße getreten, sondern hat offenbar die chinesische Führung verärgert. Dafür spricht auch die inzwischen angekündigte stärkere Regulierung von Tech-Unternehmen. DER AKTIONÄR bleibt trotzdem zuversichtlich, dass Alibaba auch künftig prosperieren kann. Es mag im Interesse Chinas liegen, die Big-Tech-Größen des Landes unter Kontrolle zu halten. Es liegt aber auch im Interesse Chinas, wirtschaftliche und technologische Entwicklung zu fördern. Insofern hat Jack Ma wohl recht. Er hätte sich nur diplomatischer ausdrücken sollen.
Der Autor hält unmittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren: Alibaba.