Europa hat ein riesiges Problem: China nimmt keinen Müll mehr an. Ein massives Umdenken findet in der Politik statt, von dem mit BRAIN ausgerechnet ein Biotech-Unternehmen profitieren und den Paradigmenwechsel entscheidend mitgestalten könnte. Doch das ist nicht der einzige Megatrend, den die Hessen nachhaltig verändern wollen.
Ein äußerst lukratives „Geschäftsmodell“ – günstige chinesische Waren werden mit Containerschiffen nach Europa transportiert. Zurück fahren die Schiffe dann mit unbrauchbarem Müll. Doch davon hat China jetzt genug. Zum Jahreswechsel hat die Regierung im Reich der Mitte die Qualitätsstandards für Plastikmüll, aber auch Elektroschrott und Altpapier deutlich angehoben. Weitere Verschärfungen sollen bereits im März folgen. Wohin also nun mit dem ganzen Müll in Europa? Die EU-Kommission hat sich bereits Gedanken gemacht: weniger Abfall und mehr Recycling von Plastik. Bis zum Jahr 2030 solle „das gesamte Verpackungsmaterial auf dem EU-Markt wiederverwertbar sein“, so die EU-Kommission. Dazu braucht es innovative und vor allem nachhaltige Lösungsansätze. Denn die Kapazitäten der Recyclingindustrie in Europa sind begrenzt. Schließlich exportiert die Europäische Union allein die Hälfte ihres gesamten Plastikmülls. Große Hoffnungen ruhen daher auf dem zukunftsträchtigen Bereich der Bioökonomie. Dieses Konzept beschreibt die Abkehr von einer erdölbasierten Wirtschaft hin zur verstärkten Nutzung biologischer Ressourcen wie Pflanzen und Mikroorganismen. Mit BRAIN hat sich ein südhessisches Biotech-Unternehmen auf dieses Gebiet spezialisiert und ein hochinteressantes Portfolio mit Projekten und Lösungen aufgebaut.
Neuartige Plastik
Eines der interessantesten Projekte, das BRAIN angestoßen hat, ist mit Sicherheit die Herstellung von Bioplastik mittels Mikroorganismen und Kohlenstoffdioxid. Dabei sollen die Kleinstlebewesen das Treibhausgas verwerten und in Stoffwechselkreisläufe integrieren. Daraus gewinnt BRAIN Bernsteinsäure, die als Vorstufe zur Gewinnung von Biokunststoff dient. Sicherlich ist die Herstellung von Bioplastik umstritten, da auch Rohstoffpflanzen wie Mais oder Zuckerrohr dafür benötigt werden. Doch neue Technologien wie der BRAIN-Ansatz könnten innovative, nachhaltigere Produktionsverfahren ermöglichen. Dass Bioplastik nur ein Nischendasein fristet, ist längst Geschichte. Experten rechnen mit zweistelligen Wachstumsraten bei Biokunststoffen. Und die Hessen möchten vom Trend profitieren.
Vielversprechendes Projekt
Doch es ist nicht nur tonnenweise Plastikmüll, der der EU-Kommission bis zum Hals steht. Laut BRAIN produzieren wir jährlich mehr als 40 Millionen Tonnen Elektroschrott, welcher nicht selten auf illegalem Weg nach Afrika oder Asien verfrachtet wird. Dabei stecken oft wertvolle Edelmetalle und Seltene Erden im Elektroschrott.
Mit einem ähnlichen Problem kämpft die Stahl- und Metallindustrie: Hunderte Millionen Tonnen Stäube, Schlämme und Aschen werden entsorgt, obwohl diese ebenfalls nützliche Rohstoffe enthalten. Die Bioökonomie-Gesellschaft betont, dass in metallurgischen Schlacken bis zu 20 Kilogramm Gold pro Tonne enthalten sein können. Diese sogenannten Sekundärrohstoffe möchte BRAIN in Zukunft mit dem BioXtractor extrahieren. Die Protagonisten sind einmal mehr Mikroorganismen aus dem hauseigenen BioArchiv, welches mit Positionen in Millionenhöhe als „einzigartig auf der Welt“ bezeichnet wird. Der Startschuss für das hochinteressante Projekt ist mit der Eröffnung der Pilotanlage am Hauptsitz von BRAIN in Zwingenberg gefallen. Das erklärte Ziel: die baldige Herstellung von ersten Chargen des BRAIN BioX-Gold.
In einem großen Container demonstriert die Biotech-Gesellschaft die innovativen Prozesslösungen zur Metallgewinnung vor Ort. Der Clou: Daran interessierte Unternehmen können das Projekt begutachten und sich von der BRAIN-Technologie überzeugen lassen. Denn die in sich geschlossene Anlage im Technikumsmaßstab ist für flexible Geschäftsmodelle sowie gemeinsame Vermarktungsstrategien mit Partnern bestens geeignet. Diese „nachhaltige Antwort“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. De facto besteht also ein politisches Interesse an dem Extrahierungsprogramm von BRAIN. Und ein zunehmender Trend in Richtung Nachhaltigkeit zeichnet sich bereits in der Industrie ab.
Auf Partnersuche
Im Interview mit dem Echo verweist BRAIN-Chef Dr. Jürgen Eck auf das große Interesse diverser Branchen. Sowohl Schweizer Goldverarbeiter, deutsche Entsorger als auch Betreiber von Müllverbrennungsanlagen seien an der BRAIN-Technologie interessiert. Dabei stamme das maschinelle Umfeld von Partnern, die Hessen steuern das Know-how bei. Ab 2020 solle das Verfahren im großen Stil anlaufen und durch den Verkauf von Biomasse Geld verdient werden. Darüber hinaus sind Übernahmen von produzierenden mittelständischen Unternehmen geplant, um sich die nötigen Marktzugänge zu beschaffen. Denn mittelfristig rechnet BRAIN Biotech mit Erlösen im dreistelligen Millionenbereich. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2016/2017 (bis Ende September letzten Jahres) generierte der Bioökonomie-Spezialist lediglich einen Umsatz von 26,9 Millionen Euro – nur 0,8 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Allerdings konnte der Verlust auf EBIT-Basis auf 6,4 Millionen Euro eingedämmt und die Eigenkapitalquote auf 69 Prozent verbessert werden. An der Börse ist die BRAIN AG mittlerweile mit knapp 500 Millionen Euro bewertet. Sind vielleicht zu viele Vorschusslorbeeren im Aktienkurs enthalten? Mitnichten. BRAIN hat das Zeug, mit den zahlreichen Lösungen ganze Branchen zu revolutionieren. Nicht nur das Plastikproblem und die Extraktion von Metallen schürt Fantasie.
Megatrend Zuckerersatzstoffe
Das BioArchiv von BRAIN beherbergt neben den multitalentierten Mikroorganismen auch Enzyme, die schädlichen Zucker ersetzen können. Denn zunehmend wächst der Druck auf die Getränkeindustrie, den Zuckeranteil zu reduzieren – das Thema hält längst Einzug in die Debatten der Industrienationen. BRAIN hat gemeinsam mit Roquette in einem mehrjährigen Forschungsprojekt Lösungen für nachhaltige Produktionsverfahren beigesteuert. Kurz danach konnten die Hessen einen Getränkekonzern für das DOLCE-Programm (Plattform mit Expertenwissen für natürliche Süßstoffe) gewinnen. Den Namen nennt BRAIN nicht. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass es sich um einen der namhaften Getränkehersteller Coca-Cola, PepsiCo oder Dr. Pepper handelt.
Profiteur an mehreren Fronten
Egal ob natürlicher Zuckerersatz, Rohstoffgewinnung aus Schrott und Abfall oder Plastikalternative mit Kohlenstoffdioxid-Fressern: BRAIN bietet eine unfassbar breite Palette an Innovationen und Lösungen, die auf dem einzigartigen BioArchiv basieren. Dies sorgt auch für großes Investoreninteresse. Per Kapitalerhöhung ist im vergangenen Jahr die DAH Beteiligungs GmbH unter der Leitung von Daniel Hopp, Sohn des SAP-Mitgründers Dietmar Hopp, mit rund neun Prozent bei BRAIN eingestiegen. Die Aktie bleibt hochinteressant. Neue Deals oder Kooperationen dürften den Kurs befeuern.
Hinweis: Dieser Artikel erschien bereits in der AKTIONÄR-Ausgabe 05/2018 als Top-Tipp spekulativ.