BERLIN (dpa-AFX) - Trübe Wirtschaftsaussichten zwingen in diesen Wochen etliche global agierende Tech-Konzerne dazu, im großen Stil Kosten zu senken. Leidtragende sind vor allem Zehntausende Beschäftigte, die ihre Jobs verlieren. Die Entlassungswelle rollt zwar vor allem durch die Konzernzentralen in den USA, doch auch in Deutschland wurden etliche Stellen gestrichen. Andererseits gibt es in Deutschland laut dem Branchenverband Bitkom 137 000 offene Stellen für IT-Experten.
Die Liste der auf die Kostenbremse tretenden IT-Konzerne ist lang. Meta
Zwar hüllen sich die Tech-Giganten in Schweigen, wenn man sie nach den Details der Jobverluste fragt. Doch klar ist, dass nicht nur in der Verwaltung oder den Personal- oder PR-Abteilungen Stellen gestrichen werden, sondern auch in der Produktentwicklung. Dabei wurden auch in den betroffenen Firmen noch vor wenigen Monaten Ingenieure und Software-Entwickler händeringend gesucht.
Die verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bringen aber selbst hochprofitable Konzerne wie Amazon dazu, genauer hinzuschauen, in welchen Bereichen man Geld verdient und in welchen Bereichen sich Verluste anhäufen. Der neue Konzernchef Andy Jassy setzt nun nach Berichten der "New York Times" und des "Wall Street Journal" den Rotstift vor allem bei Amazons Hardware-Team an, das auch für die Weiterentwicklung des Sprachassistenten Alexa und der smarten Echo-Lautsprecher verantwortlich ist.
Ein Amazon-Sprecher in München wollte nicht sagen, ob die Entlassungswelle auch das Amazon-Entwicklungszentrum für künstliche Intelligenz in Berlin erreichen wird. Hier schreiben Programmierer an Algorithmen für die Amazon-Hardware. Auch das Entwicklungszentrum von Amazon in Aachen für Spracherkennung könnte theoretisch von den Stellenstreichungen betroffen sein.
Doch sollten IT-Experten von Amazon oder anderen Tech-Konzernen in Deutschland ihren Job verlieren, dürften sie nicht lange arbeitslos bleiben. Denn der Mangel an IT-Fachkräften in der deutschen Wirtschaft hat sich weiter verschärft. Nach Angaben des Digitalverbandes Bitkom stieg die Zahl der offenen Stellen im vergangenen Jahr um knapp 43 Prozent auf 137 000. Damit sei die Lage am IT-Arbeitsmarkt noch angespannter als im Vor-Corona-Jahr 2019. Damals konnten 124 000 offene Stellen für IT-Expertinnen und
-Experten nicht besetzt werden. Die Corona-Pandemie hatte den
Fachkräftemangel in den Jahren 2020 und 2021 leicht abgemildert.
Die Untersuchung des Bitkom erfasst nur die offenen Stellen in den Unternehmen. Aber auch Behörden und Organisationen suchen dringend nach Programmierern und anderen IT-Experten.
Bitkom-Präsident Achim Berg sprach am Mittwoch bei der Präsentation der Zahlen von einem strukturellen Fachkräftemangel. "Der Mangel an IT-Experten macht den Unternehmen zunehmend zu schaffen und wird sich in den kommenden Jahren dramatisch verschärfen." Berg verwies auf die Tatsache, dass zahlreiche Fachkräfte aus der Boomer-Generation in Rente gingen und gleichzeitig signifikant weniger junge Menschen mit IT-Qualifikationen auf den Arbeitsmarkt kämen.
Der Mangel an Informatikern und anderen IT-Experten werde auch nicht signifikant durch die entlassenen Mitarbeiter der Tech-Konzerne ausgeglichen werden können. "Wir sehen keinen Trend, der die bestehende Lücke spürbar schließen könnte."
"Der Fachkräftemangel entwickelt sich zum Haupthindernis bei der digitalen Transformation", beklagte Berg. Er warb dafür, gezielt IT-Experten aus Russland und Belarus abzuwerben. Nach der Bitkom-Umfrage sei gut ein Drittel (37 Prozent) der Unternehmen mit offenen IT-Stellen dazu bereit, IT-Fachkräfte aus Russland oder Belarus einzustellen, sofern sie vorher eine behördliche Sicherheitsprüfung durchlaufen haben. Tatsächlich habe nur ein Prozent der Firmen IT-Expertinnen oder -Experten aus diesen beiden Ländern eingestellt. "Insgesamt gibt es ein Potenzial von 59 000 Stellen, die mit IT-Fachkräften aus Russland und Belarus besetzt werden könnten."
In der Umfrage verlangten 9 von 10 Unternehmen (88 Prozent) von der Politik, die Fachkräfteeinwanderung stärker zu fördern und bürokratische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Überflüssig sei beispielsweise, bei IT-Fachkräften aus dem Ausland bereits bei der Einreise einen Nachweis von Deutschkenntnissen zu verlangen, sagte Berg. "Die Sprache der Fachleute ist ohnehin Englisch."/chd/DP/jha
Quelle: dpa-AFX