Die Sicherheit der Energieversorgung und die damit verbundene Preis-Entwicklung verunsichern Anleger weiter. Seit einigen Tagen pumpt der russische Staatskonzern Gazprom deutlich weniger Gas nach Deutschland. Die Gasversorgungslage blieb auch heute laut Bundesnetzagentur „angespannt“. Der Chef von RWE rechnet nicht mit schneller Besserung.
Der Energieexperte Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen geht von weiter steigenden Gaspreisen aus. Sollte es zu einer weiteren Reduzierung der Gaslieferungen aus Russland oder gar einem Lieferstopp kommen, werde es „einen erheblichen Druck auf die Gaspreise geben“, sagte Sieverding. Er hält eine Verdrei- oder gar Vervierfachung der Endkundenpreise gegenüber dem Vorkrisenniveau für möglich. „Es droht, sehr schlimm zu werden.“
Der Gaspreis im Großhandel legte heute weiter zu. Am niederländischen Handelsplatz TTF kostete im Juli zu lieferndes Erdgas am Nachmittag pro Megawattstunde 127 Euro nach knapp 118 Euro am Freitag. Am Montag vor einer Woche hatte der Preis noch 83,40 Euro betragen. Gestiegene Beschaffungspreise können mit Verzögerung auch bei Haushaltskunden für steigende Preise sorgen.
Staatliche Aufsicht gefordert
Die Co-Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohamed Ali, kritisierte die Preissteigerungen. „Man müsste dringend eine staatliche Preisaufsicht einführen, soweit es Energie angeht. Das haben andere Länder, auch in Europa, bereits getan“, sagte Mohamed Ali auf NDR Info. Zudem müsse es eine Übergewinnsteuer geben, um die Gewinne der Industrie abzuschöpfen. „Es kann nicht sein, dass die Energiepreise eine Black Box sind, und es keine staatlichen Kontrollen gibt, wie diese zustande kommen. Dafür ist dieser Bereich viel zu wichtig.“
RWE-Chef: „Drei bis fünf Jahre“
Der Vorstandschef des Essener Energiekonzerns RWE, Markus Krebber, rechnet nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine noch jahrelang mit hohen Gas- und Strompreisen. „Es wird vermutlich drei bis fünf Jahre dauern“, sagte der Manager der Süddeutschen Zeitung zu den Energie-Engpässen in Deutschland. „Denn es braucht Zeit, bis neue Kapazitäten geschaffen sind und andere Staaten zusätzliche Energie liefern können.“
„Erneuerbare Energien deutlich billiger“
Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) begrüßte die am Wochenende vorgestellten Gassparpläne der Bundesregierung. Es sei sinnvoll, Gas einzusparen und per Auktionen die Gaseinsparpotenziale der Industrie zu fördern, sagte sie. „Je niedriger der Gasverbrauch, desto mehr Gas kann eingespeichert werden und desto geringer die gesamtgesellschaftlichen Kosten.“
Kritisch sieht Kemfert die Pläne, verstärkt Kohle- statt Gaskraftwerke zur Stromerzeugung zu nutzen. „Besser als Kohle wären erneuerbare Energien – dafür sollte ein Notfallförderprogramm auf den Weg gebracht werden.“ Kohlekraftwerke zu reaktivieren, könne nur die allerletzte Option sein. „Gas und Kohle sind teuer, erneuerbare Energien deutlich billiger.“
Trotz des geplanten Einsatzes von mehr Kohlekraftwerken zur Senkung des Gasverbrauchs will das Bundeswirtschaftsministerium am Kohleausstieg bis 2030 festhalten. „Der Kohleausstieg 2030 wackelt überhaupt nicht. Es ist wichtiger denn je, dass er 2030 über die Bühne geht“, sagte ein Sprecher des Ministeriums.
Atomkraft? „Hauptlieferant ist Russland“
Der FDP-Energieexperte Michael Kruse sieht laut Handelsblatt Hürden für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken. Die FDP sei „technologieoffen, allerdings gibt es beim Weiterbetrieb der drei Atomkraftwerke große Fragezeichen“, sagte der Bundestagsabgeordnete. „Kurzfristig gibt es keine Ersatzbrennelemente am Markt - und Hauptlieferant ist Russland. Wer es ernst meint mit der Abkehr von russischer Energieabhängigkeit, müsste diese Probleme als erstes lösen.“
Bundeskanzler Olaf Scholz betonte in einem Interview, dass der Atomausstieg lange beschlossen sei. Brennelemente und die nötigen Wartungsintervalle der Anlagen seien genau darauf abgestimmt. Neue Brennstäbe zu besorgen, würde mindestens 12 bis 18 Monate dauern,
Die Situation ist äußert kompliziert. Kurzfristig könnte wohl nur eine erfolgreiche Vermittlung zwischen Russland und der Ukraine den Preis-Horror verhindern. Bislang ist im Ukraine-Krieg aber kein Waffenstillstand in Sicht. Demnach bleiben steigende Energie-Kosten und die Frage der Versorgungssicherheit vorerst ein klarer Risiko-Faktor – vor allem für energieintensive Unternehmen in Deutschland.
(mit Material von dpa-AFX)