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AKTIONÄR-Interview zum Thema Wasserstoff: "Deutschland macht sich 'H₂-ready', daran führt kein Weg vorbei"

AKTIONÄR-Interview zum Thema Wasserstoff:
Foto: Petmal/iStockphoto
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Michel Doepke 17.04.2022 Michel Doepke

Das Thema Wasserstoff elektrisiert wieder die Anleger. Schließlich könnte der Energieträger eine Schlüsselrolle in der modernen Energiewelt einnehmen. DER AKTIONÄR hat bei Thomas Engelmann, CFA, CAIA, Head of Energy Transition KGAL Investment, sich über die jüngsten und möglichen zukünftigen Entwicklungen im Sektor erkundigt.

DER AKTIONÄR: Herr Engelmann, ausgerechnet im Ukra­ine-Konflikt erlebt das Thema Wasserstoff eine Renaissance. Ist diese Entwicklung nachhaltig?

Thomas Engelmann: Davon gehe ich aus. Der fürchterliche Ukraine-Krieg ist auch eine Art Weckruf, der uns sehr drastisch die Abhängigkeit Deutschlands und anderer europäischer Länder von fossilen Energieträgern vor Augen führt. Energieunabhängigkeit und Versorgungssicherheit werden für die Entwicklung Europas künftig noch größere Bedeutung haben. Das heißt nicht, dass es keine Energieimporte mehr geben wird. Doch die Auswahl von Lieferanten und Ländern steigt mit Wasserstoffimporten im Vergleich zu Gasimporten enorm. Energieunabhängigkeit ist aktuell der eine Treiber des Themas Wasserstoff, der andere ist natürlich der Klimaschutz. Die meisten Industriestaaten wollen bis spätestens 2050 CO2-neutral agieren, was nur mithilfe von Wasserstofftechnologie gelingen kann. Dafür muss jetzt konsequent der Ausbau erneuerbarer Energien und Elektrolyseurtechnik vorangetrieben werden. Es ist gut möglich, dass wir gerade den Start in eine neue, nachhaltige Energieversorgung mit grünem Wasserstoff als einem zentralen Element erleben.

Die EU will offenbar noch konsequenter in den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft investieren. Reichen die derzeitigen Elektrolyse-Fertigungskapazitäten überhaupt aus, um die ambitionierten Ziele zu erreichen?

Nein, bei Weitem nicht. Leider stehen wir momentan noch vor einem „Henne-­Ei-Problem“. Die Hersteller von Elektrolyseuren warten auf die ersten Großaufträge, um den Ausbau der Fertigungskapazitäten finanzieren zu können. Ihre potenziellen Kunden bestellen aber erst, wenn sie tragfähige Geschäftsmodelle mit einem vernünftigen Chance-Risiko-Verhältnis identifiziert haben. Das heißt, grüne Wasserstoffprojekte müssen in der Lage sein, ihre Kapitalkosten zu verdienen. Bislang ist das erst vereinzelt der Fall, die Rahmenbedingungen verbessern sich aber Stück für Stück. So steigen staatliche Anschubsubventionen für grüne Wasserstoffprojekte, klimaschädliche Produktion wird zunehmend durch CO2-Steuern belastet und immer mehr Menschen achten bei ihrer Produktwahl auf den CO2-Footprint. Die Tendenz stimmt und die gesamte Elektrolyseur-Industrie steht in den Startlöchern, um die Produktion auszubauen.


Sehen Sie größeres Potenzial für alkalische oder PEM-­Elektrolyseure? Wo gibt es Unterschiede?

Beide Technologien haben ihre Berechtigung, die PEM-­Elektrolyse besitzt unterm Strich aber das größere Wachstumspotenzial. Die alkaline Technologie ist ausgereift und bewährt sich zum Teil bereits seit Jahrzehnten, beispielsweise bei Projekten in der Spezialchemie. Alkalische Elektrolyseure weisen allerdings eine Schwäche beim sogenannten Antwort-­Zeit-Verhalten auf. Es dauert, bis sie hochgefahren sind und Strom in Wasserstoff wandeln. Fließt der Strom kontinuierlich, spielt das keine Rolle. Aber die Stromzufuhr aus erneuerbaren Energien für die Herstellung von grünem Wasserstoff wird immer wieder unterbrochen, sie ist sehr volatil: Bei einer Flaute gibt es keine Windenergie und wenn sich Wolken vor die Sonne schieben, fließt kein Solarstrom. Die PEM-Technologie kann sich darauf sehr flexibel einstellen, da sie nahezu zeitgleich Wasserstoff aus erneuerbarem Strom herstellt. Sobald sich also die Wolken verziehen und die Sonne hervorkommt, wandelt der PEM-­Elektrolyseur wieder Solarstrom in Wasserstoff um. Sein alkalines Pendant reagiert schwerfälliger. Da die ­PEM-­Elektrolyse noch nicht lange existiert, sind ihre Produktionskosten aktuell vergleichsweise hoch. Aber je weiter sich die Technologie entwickelt und je größere Mengen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien produziert werden, umso deutlicher werden die Kosten pro Einheit sinken.

In welchen Bereichen sehen Sie die größten Chancen, dass sich grüner Wasserstoff durchsetzen wird?

Dieses Thema sollte man von zwei Seiten betrachten. Erstens: Wo ist grüner Wasserstoff bereits (nahezu) wettbewerbsfähig? Da denke ich vor allem an den Transportsektor, beginnend mit dem Heavy-Load-Markt, also Schwertransportern mit hohen Reichweiten. Später wird auch die Nutzung in der Schifffahrt hinzukommen. Generell ist im Transportsektor die Verbindung von grünem Wasserstoff mit einer Brennstoffzelle eine sehr effiziente Möglichkeit, gespeicherte Energie wieder sinnvoll zu nutzen. Der zweite Aspekt bei der Chancenbewertung: Wo kann am meisten CO2 eingespart werden? Das ist allen voran in der Stahl- und Chemieindustrie der Fall. Die Wettbewerbsfähigkeit ist allerdings noch nicht gegeben, es braucht staatliche Förderung. Spannend ist auch die Erzeugung von grünem Wasserstoff, um daraus in einem weiteren Produktionsschritt unter­­schiedliche Derivate wie ­e-­Fuels (Methanol), Synthese-­Gas sowie e-Ammoniak herzustellen und damit sowohl den Transport als auch den Kunstdüngermarkt zu dekarbonisieren.

Ist auch Wasserstoff aus fossilen Energieträgern eine mögliche Option als Brückentechnologie?

Natürlich besteht diese Option, um schnell eine Wasserstoffindustrie ins Laufen zu bringen. Aber woher kommen die fossilen Energieträger, in diesem Fall vor allem Erdgas? Der Ukraine-Krieg offenbart doch, in welche Abhängigkeiten wir uns begeben. Und es gibt ein weiteres Argument gegen diese Brückentechnologie: Angenommen, die Marktauguren behalten Recht und 2030 wird grüner Wasserstoff bereits in vielen Bereichen wettbewerbsfähig sein. Wer investiert dann heute noch in auslaufende Technologien wie fossil basierte Dampfreformatoren, die absehbar immer weniger wert sein werden? Das rechnet sich für Öl- und Gaskonzerne, die nach wie vor mit fossilen Energieträgern ihr Geld verdienen, aber für andere Markteilnehmer nicht wirklich.

Mit welchen Entwicklungen, auch im Hinblick auf die Technologie und Produktionskosten, ist in den kommenden Jahren zu rechnen?

In vielen Wirtschaftszweigen ist eine erste Wettbewerbsfähigkeit von grünem Wasserstoff um das Jahr 2030 erreichbar. Die PEM-Technologie muss dafür sicherlich signifikant ausgebaut werden, bei ihr ist zudem noch mit großen technologischen Fortschritten und Effizienzgewinnen zu rechnen. Daher werden die Produktionskosten in den nächsten Jahren kontinuierlich durch Skaleneffekte sinken. Aber auch alkaline Technologie wird verstärkt eingesetzt werden, wobei hier die Skaleneffekte nicht so hoch einzustufen sind. Wichtig sind zudem die Entwicklungen bei der Energie-Infrastruktur. Niemand redet mehr von neuen Stromleitungen, Ziel der Bundesregierung ist es vielmehr, die Energieversorgung auf Basis von Molekülen aufzubauen. So werden etwa auch die viel diskutierten LNG-Terminals so ausgelegt, dass auch Wasserstoff angelandet werden kann. Deutschland macht sich „H₂-ready“, daran führt kein Weg vorbei.

Vielen Dank für das Interview, Herr Engelmann!

E-Wasserstoff Europa Index (WKN: SL0A1B)

Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland und über die Grenzen hinaus sollte in den kommenden Jahren merklich an Dynamik gewinnen. Pure Player wie Nel, ITM Power oder PowerCell befinden sich in einer guten Position, um sich ein Stück vom Kuchen zu sichern. Einzelinvestments bleiben allerdings ganz klar spekulativ. Wer breit gestreut am Wasserstoff-Aufschwung in Europa partizipieren will, greift zu einem Produkt auf den E-Wasserstoff Europa Index. Weitere Informationen erhalten Sie hier.

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