Charttechnisch sieht noch alles normal aus: Viele chinesische Internet- und Tech-Aktien haben in den vergangenen Handelstagen nach einer sehr schnellen und enormen Aufwärtsbewegung konsolidiert. Doch es brodelt. Während die Wirtschaft in China schwächelt, regt sich zunehmend Unmut in der Bevölkerung gegen knallharte Lockdown-Maßnahmen.
Aus Schanghai gibt es unter anderem Berichte über Eltern, die von ihren Kindern getrennt wurden, Ältere, die nicht an ihre Medikamente kommen, und staatliche Schläger, die Hunde totprügeln. Der Protest in der Bevölkerung gegen radikale Lockdown-Maßnahmen nimmt zu. Einige Chinesen rufen: „Wir wollen essen!“ Und: „Wir wollen Freiheit!“
Anders als zu Beginn der Corona-Pandemie gibt es immer mehr dokumentierte Vorfälle. Immer mehr Empörung. Verliert Xi Jinping die Kontrolle?
Die Wirtschaft schwächelt. Tesla musste aufgrund der Corona-Maßnahmen zeitweise seine Produktion in China stoppen. Die Konsumlaune sinkt. Ein China-Experte bezeichnete die jüngsten Daten als „schockierend“ (siehe Beiträge am Artikel-Ende).
Der chinesische Präsident und sein Staatsapparat haben bislang außer beschwichtigenden Worten kaum etwas zu bieten. Marktteilnehmer warten auf Stimulierungsmaßnahmen. Liefergigant Meituan will 1.000 zusätzliche Arbeiter nach Schanghai schicken. Und was macht die Partei? Appelliert an patriotisch-kommunistische Linientreue.
Unterdessen regulieren chinesische Behörden weiter den Internet-Sektor. Derzeit wird kontrolliert, wie Tencent, ByteDance und Co neue Vorschriften für Algorithmen umsetzen. Plattform-Giganten sollen künftig ihre Macht gegenüber kleineren Konkurrenten nicht mehr so rücksichtslos wie früher ausspielen.
Die Regulierung mag teils den Interessen der Konsumenten dienen, aber sie dient vor allem auch dem Machterhalt der Parteiführung. Xi will dieses Jahr Präsident auf Lebenszeit werden. Doch es reicht nicht, zu prügeln, zu zensieren, zu regulieren und Reden zu schwingen. Xi und seine Parteibonzen sollte aufhören, sich nur selbst zu bereichern und ihre Macht zu sichern – und stattdessen an das Wohl aller Chinesen denken. Bislang wurde die Parole „gemeinsamer Wohlstand“ vor allem als Vorwand benutzt, um erfolgreiche Unternehmen wie Alibaba und Tencent in die Schranken zu weisen. Letztendlich ist Chinas Führung aber auch davon abhängig, dass es Unternehmen gibt, die für Wohlstand und Fortschritt im Land sorgen. Ob Chinas Politiker das begreifen und daraus die richtigen Konsequenzen ziehen, ist unsicher. Diese Unsicherheit lässt die Kurse fallen. Die Abwärtstrends sind intakt. Worte allein reichen nicht. Ohne die richtigen Taten werden China-Aktien weiter unter Druck bleiben.
Der Handel mit Anteilen chinesischer Unternehmen ist mit erheblichen politischen und rechtlichen Unsicherheiten verbunden. Für Anleger besteht ein erhöhtes Totalverlustrisiko.
Hinweis auf Interessenkonflikte: Der Autor hält unmittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren: Alibaba, Baidu, JD.com.