Was hatte ich mich gefreut. Endlich tut sich was, endlich wieder ein Börsengang eines Start-ups in Deutschland. „Neuling entwickelt sich zum Börsenstar“, frohlockte n-tv. „Am deutschen Aktienmarkt zeichnet sich eine Erfolgsstory ab“ – an Superlativen zum Börsengang von The NAGA Group mangelte es nicht in den Wirtschaftsmedien. Kein Wunder: Am ersten Handelstag ging der Fintech-Wert mit einem Kursplus von knapp 160 Prozent auf 6,70 Euro aus dem Handel. Am zweiten Tag folgten noch einmal rund 40 Prozent auf 9,36 Euro, bevor an Tag 3 mit einem weiteren Plus von 87 Prozent auf 17,40 Euro das vorläufige Hoch erreicht wurde.
Ich fühlte mich fast 20 Jahre zurückversetzt, wie damals am Neuen Markt. Das NAGA-IPO wirkte wie ein Jungbrunnen. Wobei: Von 100 auf rund 800 Millionen Euro Börsenwert in nur drei Handelstagen, so schnell ging es noch nicht einmal damals. „NAGA ist schon wieder zweistellig im Plus“, so die ungläubigen Kommentare meiner Redakteure. Habe ich etwa die Chance des Jahres verpasst? Höchste Zeit also für einen Blick hinter die Kulissen, was DER AKTIONÄR bereits getan hat.
Mit Fosun als Investor und der Deutschen Börse als Partner und Investor für NAGAs Tochter Switex, die den Handel virtueller Güter aus Computerspielen ermöglichen soll, kann der Börsenneuling gute Referenzen vorweisen. Das war es dann aber auch. Denn der Rest ist mindestens nebulös, eher dubios, wie ein Blick in den Börsenprospekt offenbart. Das gesamte Konstrukt, hinter dem erfahrene Börsenjongleure stehen, ist ein Meisterwerk wilder Verschachtelungen und Hin- und Herübertragungen verschiedener Beteiligungen. Angefangen bei einem auf einer Mittelmeerinsel ansässigen und überschaubar regulierten CFD- und Forex-Broker bis hin zu der Einbringung der Social-Trading-App-Firma Swipy Technology für eine (!) NAGA-Aktie und deren anschließender wundersamer Wertvermehrung auf 20 Millionen Euro. Alles nachzulesen im Prospekt ab Seite 85, dessen Lektüre eine abschreckende Wirkung entfaltet. Ein klares nachhaltiges Geschäftsmodell und ein Mindestmaß an Transparenz sind nicht erkennbar, das erwarte ich jedoch von einem Start-up, das an die Börse geht.
Die Zulassungsvoraussetzungen für den von der Deutschen Börse über einen langen Zeitraum geplanten Scale erfüllt die NAGA Group mit Ach und Krach. Nun stellen sich mehrere Fragen: Nämlich ob die Börsenreife, die ich von einem Start-up eigentlich gar nicht erwarte, vom Regulator, in diesem Fall der Deutschen Börse, tatsächlich geprüft wird und ob die Zulassungskriterien überhaupt die richtigen sind, um dem Anspruch, den Scale im Gegensatz zum Neuen Markt blütenweiß zu halten, auch gerecht zu werden. Denn das Schindluder, das bis vor einiger Zeit mit Schweizer 1-Rappen-Aktien-Buden im Freiverkehr getrieben wurde, war keinen Deut schlimmer als der NAGA-Börsengang. Ins Bild passen dabei auch die in nachfolgender Tabelle abgebildeten Analystenschätzungen für die NAGA Group, die reine Fantasiegebilde sind.
Mit Blick auf das NAGA-IPO muss man zusammenfassend leider sagen: Hier hat die Deutsche Börse der deutschen Aktienkultur einen Fußtritt verpasst. Meine Freude über einen möglichen neuen Start-up-Boom an der Börse ist Ernüchterung gewichen. Mit der Zulassung der NAGA Group hat sich die Deutsche Börse keinen Gefallen getan. Der guten Idee mit dem Scale hat man einen Bärendienst erwiesen. Aber das weiß man in Frankfurt mittlerweile sicherlich auch selbst.