Während Tesla nach dem Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl in den Rally-Modus überging, mussten die Papiere der deutschen Hersteller weitere Kursverluste hinnehmen. BMW, Mercedes-Benz, Porsche und Volkswagen bekommen derzeit Gegenwind von mehreren Seiten. Der Preisdruck hält an, in China verlieren die etablierten Hersteller Marktanteile an die innovativen Konkurrenten wie BYD, Nio, Xiaomi und Li Auto und in den USA drohen Strafzölle. DER AKTIONÄR sprach mit Zukunftsforscher Mario Herger über die aktuelle Situation (Teil 2).
DER AKTIONÄR: Herr Herger, wie beurteilen Sie Software und Infotainment der deutschen Automobilhersteller im Vergleich zur Konkurrenz aus China oder im Vergleich zu Tesla?
MARIO HERGER: Mir hat gerade ein deutscher Unternehmer erzählt, dass er nach eineinhalb Jahren seinen BMW iX4 zurückgegeben hat, weil der so viele technische Probleme hatte, dass er mehr in der Werkstatt stand, als auf der Straße. Das GPS funktionierte nicht, die Software schmierte ab, die Reichweite wurde falsch angezeigt, und das nicht um ein paar Kilometer, sondern um einhundert Kilometer.
Selbst hatte ich letztes Jahr als Leihwagen einen VW und da schmierte mir in einer Woche dreimal das Betriebssystem während der Fahrt ab. Ich will da gar nicht von den verschachtelten Menübäumen reden, die man während der Fahrt bedienen muss oder dass die Spracheingabe nie funktioniert hat.
Wir haben zuhause einen Tesla und einen Lucid und solche Probleme gab es dort nie. Was also soll ich dazu sagen? Digitale Dienste in deutschen Autos sind nicht nur viel fehleranfälliger, sie wirken auch ziemlich altbacken und verstaubt. So als ob ich meinen Mac auf ein Windows 3.11 System ausgetauscht hätte.
Welche Maßnahmen müssen die deutschen Autobauer jetzt ergreifen, um nicht ganz und gar den Anschluss zu verlieren?
Ich sehe die zwei am meisten diskutierten Optionen als nicht zielführend. Nämlich die Technologie selbst zu entwickeln oder die Technologie zuzukaufen, indem man ein Startup kauft oder einen Partner findet. Die vermutlich einzige Möglichkeit, in die Zukunft zu kommen ist, wenn man von einem der großen Selbstfahrtechnologieanbieter oder -betreiber gekauft wird. Das Hindernis ist vorwiegend das eigene Mindset, das Software immer als nebensächlich betrachtet und als Kunden vorwiegend Leute mit Führerscheinen hat, die gerne selbst Auto fahren. Letztere werden immer mehr zu einer Freizeitnische, wie Kutschenfahrer und Reiter.
Heute schon basieren beinahe alle Selbstfahrtechnologien der deutschen Hersteller auf amerikanischen oder israelisch-amerikanischen Technologien. Es gibt im Land auch keine deutschen Startups, die daran arbeiten, geschweige denn relevant sind. Für ein Land, das das Auto erfunden hat und die besten Autos der Welt baute, ein Armutszeugnis.
Schaffen die deutschen Hersteller den Anschluss in Sachen E-Mobility, steht die nächste Herausforderung mit dem selbst fahrenden Auto ja bereits vor der Tür…
Richtig. Es sind zwei Disruptionswellen unterwegs. Übrigens beides Technologien, in die Venturekapitalisten in den USA nicht mehr investieren, weil diese Technologien für sie nun hier sind. Jetzt steigen die institutionellen Investoren ein, die diese Technologien zur Skalierung verhelfen.
In der San Francisco Bay Area ist die Google-Schwester Waymo mit etwa 500 Robotaxis in San Francisco unterwegs, die nun pro Woche 150.000 bezahlte, fahrerlose Fahrten absolvierten. Auch Zoox, eine Amazon-Firma, begann ihr eigens entwickeltes, viersitziges Shuttle, in dem die Passagiere wie in einer Gondel gegenübersitzen, mit Mitarbeitern zu testen. Fahrerlos, ohne Lenkrad, und das weder vorne noch hinten kennt und in beide Richtungen fahren kann. Ebenso sind nun die ersten Kühlschrankgroßen Lieferroboter von Nuro auf den Straßen in Mountain View und Palo Alto unterwegs, in denen gar kein Platz für einen menschlichen Fahrer mehr ist. Und dann stehen neben Cruise, einer GM-Tochter, auch schon Pony.AI, WeRide oder Baidu bereit, um einen fahrerlosen Robotaxidienst zu starten. Kodiak, Aurora oder TuSimple wiederum testen fleißig fahrerlose LKWs. Die Welle ist im rollen.
Herr Herger, vielen Dank für das Interview.