Bei Europas größtem Autobauer brechen nun Zeiten des Sparens an: Volkswagen will in der Krise der Autoindustrie Zehntausende Jobs abbauen und Hunderttausende Autos weniger im Jahr herstellen. Die Werke sollen zwar zunächst erhalten bleiben, einige stehen jedoch vor einer unsicheren Zukunft. Dies ist der Kompromiss, auf den sich Volkswagen und die IG Metall nach mehreren durchverhandelten Tagen und Nächten geeinigt haben. In einem ersten Statement kritisieren die Analysten von Jefferies und Bernstein den Deal.
VW-Markenchef Thomas Schäfer sprach von harten Entscheidungen, aber auch wichtige Weichenstellungen für die Zukunft. IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger lobte, es gebe immerhin Klarheit für die Beschäftigten und Regionen.
Das sind die zentralen Punkte der Einigung:
Volkswagen will bis 2030 mehr als 35.000 Stellen sozialverträglich abbauen. Demnach sollen etwa 4.000 Jobs in der technischen Entwicklung in Wolfsburg wegfallen. Zudem werde die Zahl der jährlich angebotenen Ausbildungsplätze ab 2026 bedarfsgerecht von 1.400 auf 600 reduziert. VW spare durch die Arbeitskostenentlastung 1,5 Milliarden Euro pro Jahr, hieß es.
Experte: "Es fehlt ein Gefühl der Dringlichkeit"
Die Analysten von Jefferies und Bernstein betonen, dass dies die erklärten Ziele des Autoherstellers deutlich verfehlt. Philippe Houchois von Jefferies sagt, dass der Tarifvertrag hinter den erklärten Ambitionen des Managements und den Markterwartungen zurückliege. „Es fehlt ein Gefühl der Dringlichkeit, um mit dem Tempo des industriellen Wandels Schritt zu halten“, so Houchois weiter. Ähnlich sieht die aktuelle Entwicklung Stephen Reitman von Bernstein. „VW scheint seine erklärten Kostenreduktionsziele nicht erreicht zu haben“, so der Experte.
Die Zukunft der Werke
Ganze Werkschließungen wird es - anders als zwischenzeitlich befürchtet - zunächst nicht geben. Für einige Standorte, darunter das Stammwerk in Wolfsburg, stehen aber gravierende Veränderungen an. Dort steht das Aus für den Verbrenner-Golf fest. Die Produktion der Modelle Golf und Golf Variant werde ab 2027 nach Puebla in Mexiko verlagert, teilte der Konzern mit.
Künftig sollen am Unternehmensstammsitz die Elektro-Modelle ID.3 und der Cupra Born gefertigt werden. Die Zukunft des Standorts will VW mit dem elektrischen Golf und einem weiteren Modell auf der künftigen Elektroauto-Architektur sichern. Auch für die bereits auf E-Autos umgestellten Werke in Emden und Zwickau scheint die Zukunft mit Modellen der ID-Reihe beziehungsweise E-Autos von Audi klarer.
Anders sieht das für die zuletzt als gefährdet eingestuften Standorte in Osnabrück und Dresden aus. In Osnabrück soll die Produktion des T-Roc-Cabrio bis Spätsommer 2027 verlängert werden. Darüber hinaus ist die Perspektive für die zuletzt 2.300 Mitarbeiter unklar. Die Gewerkschaft will eine wirtschaftliche Zukunftsperspektive für den Standort entwickeln. Vom Konzern hieß es, dass Optionen für eine andere Verwendung geprüft würden.
In Dresden endet laut VW Ende 2025 die Fahrzeugfertigung in der Gläsernen Manufaktur. Das Unternehmen erarbeite Alternativoptionen, hieß es. Dazu gehöre auch die Möglichkeit einer Beteiligung an einem Konzept Dritter. Die IG Metall betonte, dass Volkswagen auch in Zukunft mit eigenen Aktivitäten am Standort präsent sein werde.
VW steht stellvertretend für die Probleme in der Autoindustrie und die schwache Nachfrage nach Elektroautos. Die Aktie rutschte im Jahr 2024 deutlich ab. Dagegen steht der deutsche Leitindex mit einem Plus von über 20 Prozent hervorragend da. Wie geht es mit der Aktie weiter?
Im wichtigsten Automarkt der Welt, China, sind die Stromer von VW Ladenhüter. Die Wolfsburger verlieren mehr und mehr an Boden gegenüber BYD, Nio und Xiaomi. Die üppigen Gewinne der Vergangenheit, die in China gemacht wurden und damit die Probleme und die mickrige Marge der VW-Kernmarke kaschiert haben, sind passé. Die Wolfsburger werden 2024 in China nur noch rund 1,5 Milliarden Euro verdienen. Das wäre der Stand von 2010.
Die erste Welle der Disruption haben die Wolfsburger bereits verschlafen. Nun hecheln sie im neuen E-Mobility-Zeitalter First Mover Tesla und BYD hinterher. Die zweite Welle der Disruption ist bereits angelaufen. In San Francisco und Los Angeles spulen Waymos selbst fahrende Stromer jede Woche rund 1,6 Millionen Kilometer herunter. Auch Tesla plant einen Robotaxi-Dienst. Hier hat VW derzeit wenig entgegenzusetzen.
Bei VW dominiert sicherlich die negative Stimmungslage. Dennoch steht der Konzern nach wie vor kurz- und mittelfristigen vor großen Herausforderungen. Bei der Software sucht VW Hilfe bei Rivian. In Sachen autonomes Fahren und Fahrassistenzsysteme soll aller Voraussicht nach Xpeng der Rettungsanker sein. Aktuell ist - noch - kein Gamechanger in Sicht. Die VW-Aktie ist für DER AKTIONÄR nach wie vor kein Kauf, auch wenn die Bewertung und das Kursniveau reizvoll erscheinen.
Enthält Material von dpa-AFX