Der drohende Gasstopp für Deutschland bedroht viele Branchen, insbesondere die großen Stahlkonzerne. Denn ohne Gas kein Stahl. Darüber hinaus belastet die Rezessionsangst die Kurse von Unternehmen wie Thyssenkrupp. DER AKTIONÄR hakte deshalb beim MDAX-Konzern nach, wie er die aktuelle Lage einschätzt.
DER AKTIONÄR: Spürt Thyssenkrupp Steel die Angst vor einem Konjunktureinbruch in den Auftragsbüchern?
Thyssenkrupp-Sprecher: Nach der kurzfristigen Preisexplosion zu Beginn des Ukraine-Kriegs fallen die Preise für Rohstoffe und Stahl zurzeit wieder. Wir können anhand der Auftragseingänge keine Rückschlüsse auf die Motivation für das Bestellverhalten unserer Kunden ableiten. Für die aktuelle Situation ist die Auftragslage aus unserer Sicht zyklisch normal.
Was passiert mit der Produktion, wenn Russland ab dem 21.7. gar kein Gas mehr nach Deutschland liefert?
Wir bereiten uns in verschiedenen Szenarien auf eine Unterbrechung oder eine Einschränkung der Erdgasversorgung vor. Einschränkungen der Versorgung sind zugleich mit Einschränkungen in der Produktion verbunden, können von uns aber bis zu einer bestimmten Schwelle begleitet werden. Ein Mindestbezug ist zur Aufrechterhaltung unserer Produktion aber unverzichtbar. Andernfalls sind Stilllegungen und technische Schäden an unseren Aggregaten nicht auszuschließen.
Wo steht das "Projekt Freedom"? Ist eine Eigenständigkeit von Thyssenkrupp Steel überhaupt noch möglich?
Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass die Strategie der eigenständigen Aufstellung des Stahlgeschäfts gute Zukunftsperspektiven eröffnet – auch wenn die konkrete Form der Umsetzung aufgrund der geopolitischen Lage für den Moment offenbleiben muss. Die Integrität dieses Prozesses einer eigenständigen Aufstellung wollen wir auch dadurch dokumentieren, dass wir unabhängige Mitglieder in den Aufsichtsrat berufen, die das Vertrauen beider Seiten des montanmitbestimmten Stahlunternehmens besitzen. Mit Sigmar Gabriel haben wir eine sehr kompetente und erfahrene Persönlichkeit für den Aufsichtsrat der Thyssenkrupp Steel Europe AG gewinnen können, der besonders aus seiner Zeit als Bundesumwelt- und Bundeswirtschaftsminister wertvolle Erfahrungen mitbringt und klare Akzente für die weitere Entwicklung des Stahlbereichs setzen wird.
Ist ein IPO von Nucera in diesem Jahr noch realistisch?
Thyssenkrupp hat mit Blick auf das gegenwärtige Börsenumfeld bzw. die gegenwärtige Situation am Kapitalmarkt beschlossen, einen Börsengang von Thyssenkrupp Nucera zum jetzigen Zeitpunkt nicht umzusetzen. Ein Börsengang ist aber unverändert die bevorzugte Option, um von den Wachstumsaussichten des Geschäfts als einer der weltweiten Technologieführer für Anlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff zu profitieren. Das Potential für diese sogenannte Alkalische Wasserelektrolyse ist weiterhin enorm und die Wachstums- und Wertperspektive von Thyssenkrupp Nucera hat in den zurückliegenden Monaten an zusätzlichen Chancen gewonnen. Dies zeigt der nun auf rund 1,3 Milliarden Euro gewachsene Auftragsbestand sowie die in Folge eines nun noch schnelleren Übergangs von fossilen Energieträgern auf grünen Wasserstoff deutlich gestiegene Nachfrage nach Elektrolyseanlagen zur Produktion von grünem Wasserstoff klar. Die Entscheidung für einen potenziellen Börsengang hängt wie bisher auch von der Situation am Kapitalmarkt ab.
Stahl-Aktien vor dem 21. Juli zu kaufen, ist eine heiße Wette. Sollte aber Gas weiter fließen, dürfte sich ein Einstieg bei Thyssenkrupp lohnen.