Mario Herger lebt seit 2001 im Silicon Valley. Er forscht nach Technologietrends, schreibt Bücher und berät Unternehmen zu Themen wie Innovation, Silicon Valley Mindset, Foresight Mindset, Automotive und Künstliche Intelligenz.
Allen voran die Mobilität der Zukunft hat es ihm angetan. Dabei gerät Herger vor allem ins Schwärmen, wenn es um den Elektroauto-Pionier Tesla geht.
DER AKTIONÄR sprach mit Dr. Mario Herger darüber, wie wir uns in 5,10 oder 15 Jahren fortbewegen werden.
DER AKTIONÄR: Herr Herger, in Kalifornien steuern zig selbst fahrende Autos durch die Straßen, so genannte Robo-Taxis sammeln fleißig Meile für Meile und Daten. Warum ist so etwas in Amerika möglich und Deutschland scheint nach der Elektromobilität den nächsten Trend zu verschlafen?
Aus meiner Sicht der wichtigste Unterschied ist die furchtlose Herangehensweise. Jemand trägt eine Idee vor und unser messerscharfer Fokus ist sofort auf all die Gefahren und Risiken, die von dieser Idee ausgehen. Was ist wenn ein autonomes Auto jemanden tötet? Wie ist das mit Elektroautobränden? Und das dürfen wir doch gar nicht, das ist verboten. Die erste Reaktion aus Deutschland auf Teslas neues Lenkrad, das mehr an Knight Rider erinnert, war, dass dieses nicht zugelassen werden würde. Humbug! Die Verordnungen sprechen von einer Lenkeinrichtung, nicht von einem Lenkrad. Kein Wort davon, dass es ein Rad sein muss.
Als Google nach den DARPA Grand Challenges ernsthaft damit begann autonome Autos zu entwickeln, gab es keinerlei Bestimmungen dazu, ob und wie diese auf öffentlichen Straßen betrieben werden durften. Anstatt lange nachzufragen und von einem Amtsleiter zum náchsten geschickt werden, fuhr man einfach mal los, spulte zehntausende Meilen ab, und lud dann die Behördenvertreter ein. Gemeinsam wurde dann eine Regelung erarbeitet.
Ein deutscher Hersteller testete autonomes Autos bereits im Prometheus Programm Mitte der 1980er Jahre, war damit zwar viel zu früh, doch die Regulierungen waren es auch: die gab es nämlich auch nicht, trotzdem fuhr Daimler mit solch einem Testfahrzeug tausende Kilometer.
DER AKTIONÄR: Waymo, Cruise, Zoox oder auch Argo.AI –alles Unternehmen, die hierzulande vielleicht noch niemand kennt, die allerdings bestens positioniert sind, was Autonomes Fahren angeht. Wird sich das Spielfeld und werden sich die Player in den nächsten Jahren deutlich verändern?
Was schon der selige Harvard Business Professor Clayton Christensen in seinen jahrzehntelangen Forschungsarbeiten über viele Industrien als Muster erkannt hat, dann verschwinden von den Top Unternehmen in einer Branche nach dem Erscheinen einer disruptiven Innovation zwischen 50 und neunzig Prozent davon. Ein einfaches Beispiel, das in unserem jüngsten kollektiven Gedächtnis noch vorhanden ist: 2007 waren die bekanntesten Handy-Marken Samsung, Blackberry/RIM, Motorola, Nokia, Siemens/Ericsson oder Sony. Wer von denen hat nach dem Auftreten der disruptiven Innovation Smartphone noch signifikante Marktanteile in dieser Technologie? Nur mehr Samsung, dafür aber sind viele neue Player aufgetaucht, wie Apple, Huawei oder LG.
Legen wir das um auf die heimische Automobilindustrie und der gleichzeitig auftretenden mehrfachen Disruption (Elektroauto, autonomes Fahren, Sharing Modelle, Connected Car), dann können wir erwarten, dass ein oder zwei der deutschen Hersteller noch in diesem Jahrzehnt verschwinden werden. Dafür sehen wir schon die neuen Player am Horizont: Neben Tesla, Nio, BYD, Lucid Motors, Rivian, Apple oder Sony gibt es noch eine Reihe neuer OEMs, die den heutigen Platzhirschen die Marktanteile abluchsen wollen und schon dabei sind.
DER AKTIONÄR: Viele Manager, darunter auch VW-Chef Herbert Diess sprachen zuletzt von der größten Veränderung innerhalb der Auto-Branche seit das Automobil die Pferdekutsche ersetzt hat. Auch sie weisen in ihren Vorträgen immer wieder auf dieses Szenario hin. In welcher Phase der Disruption befinden wir uns derzeit?
Die erste Phase mit dem Übergang von Verbrennungskraftfahrzeugen zu Elektroautos können wir gerade hautnah miterleben. Im September 2021 lag der Anteil an batterieelektrischen Autos bei den Neuzulassungen in Deutschland bereits bei 17.1 Prozent, mehr als doppelt soviel als im September 2020, wo diese Zahl bei 8 Prozent lag. Mit den Wachstumsraten der letzten Jahre bedeutet das, dass bereist 2023 – also in weniger als 2 Jahren –in Deutschland mehr als die Hälfte aller Neuzulassungen Elektroautos sein bereits wird. Norwegen ist schon einen Schritt weiter, dort wurden im September bereits 77,5 Prozent aller Neuzulassungen von Elektroautos dominiert. Diesel und Benziner kommen nur mehr auf knapp 5 Prozent und es wird erwartet, dass im April 2022 in Norwegen die letzten Verbrenner verkauft werden.
Das Entsetzen über diese Beschleunigung ist den Leuten in der Industrie ins Gesicht geschrieben. Die Berichte von Krisensitzungen von Topmanagern, Stellenabbauten, Streikdrohungen von Betriebsräten und ähnliches bezeugen, wie angespannt die Situation ist. Schon 2020 – ohne den COVID-Effekt einzurechnen – wurden in der deutschen Automobilindustrie über 100.000 Stellen abgebaut, ohne die Zeitarbeitskräfte hinzuzurechnen.
Diese Entwicklung war übrigens bereits vor fünf Jahren für diejenigen, die mit exponentiellem Wachstum und den Technologieadoptionsraten vertraut sind, vorhersehbar. Ich selbst schrieb den ersten Beitrag dazu 2016 und erwartete für das Jahr 2025 die Elektroautomehrheit bei den Neuzulassungen. Ich bin also auch von der Zukunft überholt worden.
Hier geht es zur Fortsetzung des Interviews mit Mario Herger.