Medienunternehmen geraten infolge der Corona-Krise zunehmend in schwieriges Fahrwasser. Während die Zuschauerzahlen steigen, brechen die Werbeeinnahmen weg. Die RTL Group hat ihren Dividendenvorschlag für 2019 zurückgenommen, hält aber an ihrer Strategie unverändert fest, wie CFO Björn Bauer im Gespräch mit dem AKTIONÄR erläutert.
Herr Bauer, die Deutschen schauen wegen der Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus wieder mehr Fernsehen, Homeoffice gehört bei vielen zum aktuellen Alltag. Können Sie das auch für Ihre Sendergruppe bestätigen und wenn ja, welche Sender legten am Stärksten zu?
Ja, das kann ich bestätigen. Schon im Februar ist die durchschnittliche Sehdauer beim Gesamtpublikum im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, der Trend hat sich im März deutlich verstärkt.
Das Interesse rund um das Thema „Corona“ ist enorm. In Deutschland spiegelt sich das insbesondere bei den RTL-Sondersendungen, bei unserem Nachrichtensender N-TV, den Online-Reichweiten und bei unserem Streamingdienst TV Now wider. N-TV hat mit mittlerweile über 100 Sondersendungen rund um das Coronavirus ausgestrahlt. In solch einer außergewöhnlichen Krisensituation haben wir eine besondere gesellschaftliche Veranwortung und systemrelevante Bedeutung – und wir sind sehr stolz darauf, wie unsere Journalistinnen und Journalisten in ganz Europa diese Aufgabe wahrnehmen. Medienunternehmen wie die RTL Group gehören zur kritischen Infrastruktur.
Verspüren Sie aufgrund der Corona-Pandemie irgendwelche Einbrüche beim Werbeumsatz?
Während das erste Quartal des Jahres 2020 weitgehend den Erwartungen entspricht, werden Stornierungen für Werbebuchungen und Verschiebungen von Produktionen die Ergebnisse der RTL Group in den kommenden Monaten negativ beeinflussen. Die globalen wirtschaftlichen Entwicklungen und Aussichten haben sich seit Mitte März – als wir die Bilanz für das erfolgreiche Jahr 2019 präsentierten – signifikant verschlechtert. Darum hat der Verwaltungsrat der RTL Group nun beschlossen, den Ausblick für das Jahr 2020 und den Dividendenvorschlag für das Geschäftsjahr 2019 zurückziehen. Der Hauptversammlung der RTL Group am 30. Juni 2020 wird nunmehr keine Dividende vorgeschlagen.
Unter den aktuellen Umständen ist die Sicherstellung der Liquidität eine wesentliche Vorsichtsmaßnahme, um die Geschäfte und Zukunftsperspektiven der RTL Group zu schützen. Die RTL Group hat einen niedrigen Schuldenstand, keine Fälligkeiten vor dem Jahr 2023 sowie signifikante, ungenutzte Kreditlinien von Bertelsmann.
Zusammengefasst: Wir werden auf die wirtschaftlichen Auswirkungen angemessen reagieren. Im Fokus stehen dabei Maßnahmen zur Reduzierung von Kosten sowie zur Sicherstellung der Liquidität. Unsere Strategie bleibt aber unverändert.
Ende März startet Disney+ in Deutschland. Mit TV Now und Videoland verfügt RTL über eigene Digitalangebote mit über 1,44 Millionen zahlenden Nutzern (plus gute 40 Prozent) in Deutschland und den Niederlanden (wo Disney+ bereits startete). Erwarten oder spüren Sie hierdurch bereits Probleme im Lizenzgeschäft bei Content für Ihre Sender und Mediatheken bzw. Abokündigungen?
Die RTL Group baut nationale Streaming-Champions in den europäischen Ländern auf, in denen wir führende Senderfamilien betreiben. Insbesondere bei TV Now in Deutschland und Videoland in den Niederlanden liegt unser Fokus – wie auch bei unseren linearen TV Sendern – auf lokalen Inhalten. Wir nutzen diesen Wettbewerbsvorteil, denn unsere Angebote sind komplementär zu den internationalen Streamingdiensten wie Netflix, Amazon Prime oder Disney+.
In Deutschland haben wir zum Beispiel die Exklusivrechte an der Europa League ab der Saison 2021 für drei Jahre erworben – dies wird sowohl unsere linearen Sender RTL Television und Nitro aber auch TV Now stärken. Im Februar hat TV Now zudem 11 neue fiktionale Serien angekündigt – davon werden drei von unserer Produktionstochter UFA produziert. Unsere Streamingdienste setzen also nicht nur auf Filme und Serien, sondern richten sich mit einem breiten Angebot an die Mitte unserer Gesellschaft.
Im harten Werbegeschäft kooperiert RTL bereits im Joint-Venture d-force mit ProSiebenSat1. Jüngst wurde über eine Fusion spekuliert, wie schätzen Sie die aktuellen Chancen einer Fusion ein? Immerhin meldete der Deutsche Journalistenverband Einwände an…
Unser CEO Thomas Rabe hat richtigerweise gesagt, das wir im Wettbewerb mit den globalen Plattformen mittelfristig die Möglichkeit bekommen müssen, nationale Champions – etwa im Fernsehbereich – zu schaffen. Die heutigen Marktdefinitionen der Regulierungsbehörden schränken unsere Handlungsoptionen stark ein, weil sie nicht die Marktrealitätenwiderspiegeln. Das Wettbewerbsrecht berücksichtigt nicht, in welcher Form die globalen Plattformen zunehmend die Medien und Werbung dominieren.
Daher werden Allianzen und Partnerschaften zwischen europäischen Medienunternehmen immer wichtiger. Im Herbst 2019 haben wir damit begonnen, anderen europäischen TV-Unternehmen neue Partnerschaftsmöglichkeiten anzubieten. Die Philosophie dahinter: wir bündeln die Ressourcen der europäischen Sender, um offene und neutrale Plattformen zu schaffen.
Mit Bedrock entwickelt die Groupe M6 die technische Plattform für den Bezahl-Streamingdienst Salto – ein Gemeinschaftsprojekt der drei großen französischen TV-Unternehmen Groupe TF1, France Télévisions und unserer Groupe M6. Die Markteinführung von Salto ist für 2020 geplant. Die technische Plattform von Bedrock wird zukünftig von Videoland in den Niederlanden sowie von den RTL-Streamingdiensten in Belgien, Ungarn und Kroatien genutzt. Die RTL Group hat vereinbart, mit einem Anteil von 50 Prozent Gesellschafter von Bedrock zu werden. Als europäische Plattform wird Bedrock offen für weitere Partner sein.
Auch mit unserem Ad-tech-Geschäft Smartclip ist es unser Ziel, eine offene Plattform zu schaffen, die auf die Bedürfnisse der europäischen Sender und Streamingdienste zugeschnitten ist. Dementsprechend werden wir weiter in die Entwicklung und das Wachstum der Smartclip-Plattform investieren.
Mitte 2019 nahm die Kreativ-Unit Format Creation Group die Arbeit auf. Sind bereits erste innovative TV-Konzepte spruchreif und sehen Sie die Investition in diese Unit als einen USP gegen die stärker werdende TV-Konkurrenz durch Netflix, Disney und Apple?
Der internationale "Total Video"-Markt ist von einem zunehmenden Bedarf an exklusiven Inhalten geprägt. Die Format Creation Group wurde ins Leben gerufen, um diese Nachfrage zu bedienen. Sie entwickelt innovative Formatideen und geistiges Eigentum, die vollständig von der RTL Group kontrolliert werden – ein klarer USP.
Das erste TV-Konzept der FC Group wurde von RTL Nederland beauftragt. Es handelt sich um eine Game Show, die im September 2020 auf RTL 4 in den Niederlanden ausgestrahlt wird. Zudem befinden sich noch weitere Shows in der Entwicklung. So arbeitet diese Kreativeinheit an zwei Prime-Time-Shows für RTL Nederland und Videoland, an einer Reality-Show für RTL Television in Deutschland sowie an einem Format für TV Now. Und in Frankreich befindet sich aktuell eine Musiksendung in Entwicklung für M6.
RTLs Produktionstochter Fremantle ist bei hochkarätigen Produktionen wie Charité für die ARD oder American Gods für Amazon beteiligt und trägt ein gutes Viertel zum Konzernumsatz bei. Wollen Sie strategisch Dienstleister bleiben oder zukünftig auch solche Programme für Ihre eigenen Sender und VOD-Angebote anstoßen?
Beides! Angesichts der aktuellen Markttrends sind fiktionale Serien ein wichtger Wachstumstreiber für die RTL Group, und zwar sowohl für unsere Streamingdienste als auch für unser globales Inhaltegeschäft Fremantle.
Seit 2012 investiert Fremantle stark in High-End-Produktionen, um das Wachstum bei den fiktionalen Serien zu beschleunigen. Mit einer Reihe von Akquisitionen – darunter beispielsweise Miso in Skandinavien oder Wildside in Italien – hat Fremantle ein globales Netzwerk geschaffen, das mittlerweile 19 Standorte für fiktionale Produktonen umfasst. Derzeit arbeitet Fremantle – zusammen mit Sendern und Streaming-Plattformen – an der Umsetzung von mindestens 50 Ideen für Drehbuchserien. Als Ergebnis dieser Strategie erzielt Fremantle bereits 23 Prozent seines Umsatzes mit fiktionalen Produktionen. Und wie bereits gesagt ist die deutsche Fremantle-Tochter, die UFA, ein wichtiger Produzent für die Serien-Offensive bei TV Now.
Mit knapp 10 Prozent (FY/2019) wuchs ihr Digitalgeschäft stattlich und die RTL Group investiert kräftig in diesen Bereich – was die Gewinne erstmal drückt. Wie sieht ihr digitaler Schlachtplan gegen die Online-Konkurrenz für 2020 aus?
Um unser Geschäft erfolgreich zu transformieren, sind zwei Faktoren besonders wichtig: Zum einen erfordern höhere Reichweiten – über unsere linearen und nicht-linearen Agngebote – Investitionen in die drei Kernbereiche Inhalte, Marketing und technische Plattformen. Zum anderen erfordert eine noch bessere Monetarisierung unserer Reichweite weitere Investitionen in Werbetechnologie und Daten.
Unsere Strategie basiert auf drei Prioritäten. Erstens, die Stärkung unserer Kerngeschäfte – dazu zählen auch Konsolidierungsschritte unserer Senderfamilien. Zweitens, der Ausbau unserer Streamingdienste und unseres globalen Inhaltegeschäfts. Und drittens, der Ausbau von Allianzen und Partnerschaften in der europäischen Medienindustrie. Im Rahmen dieser Strategie setzen wir einen besonderen Fokus darauf, nationale Streaming-Champions in den Ländern zu werden, in denen die RTL Group führende Senderfamilien betreibt. In den nächsten fünf Jahren wollen wir die Anzahl der zahlenden Abonnenten für unsere Streamingdienste TV Now in Deutschland und Videoland in den Niederlanden auf 5 bis 7 Millionen und damit den Streamingumsatz auf mindestens 500 Millionen Euro erhöhen. Den Break-even von TV Now und Videoland erwarten wir für das Jahr 2025.
Das Gespräch wurde Anfang April geführt.