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06.10.2020 Lars Friedrich

Prof. Doris Fischer: „Wir erleben eine Polarisierung“

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Alibaba

Professorin Doris Fischer im Gespräch über Chinas Bild im Ausland, die Einführung einer digitalen Währung und das Verhältnis der Regierung zu Alibaba, Tencent und Co.

DER AKTIONÄR: Frau Professor Fischer, rund um China hat sich seit Jahresbeginn viel getan: Der Handelskrieg ging weiter, die Coronakrise kam, das neue Sicherheitsgesetz in Hongkong hat für viel Aufregung gesorgt. Wirtschaftlich steht China relativ gut da, aber der Ruf des Landes hat gelitten. In den USA ist China unbeliebter denn je ...

Prof. Doris Fischer: Auch in Deutschland und Europa hat sich das Bild verschlechtert. Wir erleben eine Polarisierung. Es gibt Leute, die wollen China nur noch negativ darstellen. 

Einige Beobachter meinen, China wolle sich womöglich vom Rest der Welt abkapseln. Was halten Sie davon? 

Es ist absoluter Irrsinn, dass Xi Jinping angeblich eine Abschottung Chinas anstrebt. Die Belt-Road-Initiative ist das Gegenteil einer Abschottung. China will zwar längst nicht mehr die Werkbank der Welt sein, aber es ist schon ein Ziel, Technologiegüter zu exportieren. Das ist auch einer der Gründe für den Handelskrieg. China will in vielen technologischen Bereichen dominieren und Standards setzen. Die Chinesen haben im Blick, dass sie nötigenfalls in der Lage sein müssen, sich selbst zu versorgen. Das ist aber nicht das eigentliche Ziel. 

Manche Entwicklungen sind wenig zielführend – im Gegenteil. Chinesische und indische Soldaten haben sich im Sommer geprügelt. Es gab Tote. Indien hat daraufhin chinesische Software-Anbieter aus dem Land geschmissen ... 

Ich bin keine Expertin für Außenpolitik und die Grenzregion, aber das ist schon eine eigenartige Situation. So etwas muss nicht immer mit Peking oder Neu-Delhi abgesprochen sein. 

Das neue „Sicherheitsgesetz“ für Hongkong kam jedenfalls aus Peking. Es stärkt das Finanzzentrum nicht, wenn die Menschen dort Angst vor willkürlichen Verhaftungen haben müssen ... 

Letztlich geht in China immer das Politische vor. Das ist nicht neu. Ich habe mal in den Neunzigern vor chinesischen Bankern einen Vortrag gehalten. Da kam die Frage: „Wie ist das mit Staatsunternehmen?“ Ich antwortete: „Als Ökonomin kann ich dazu sagen, dass Staatsunternehmen in gewissen Sektoren vielleicht Sinn ergeben, aber in anderen keinen und zu Ineffizienzen führen können. Sie haben sich in China für einen relativ hohen Anteil an Staatseigentum entschieden. Das kostet einen Preis.“

Prof. Dr. Doris Fischer lehrt China Business and Economics an der Universität Würzburg und ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde.

Sind Hongkong, Taiwan und Tibet den Preis wert?

Das Thema ist kompliziert. Die Proteste in Hongkong konnten viele Festlandchinesen nicht nachvollziehen. Aus chinesischer Sicht sind das Separatisten. Peking mag darauf vertraut haben, dass früher oder später wieder business as usual einkehrt oder mag sich gedacht haben, dass man die internationale Gemeinschaft an dieser Stelle nicht mehr braucht. Es gibt aber auch an anderen Stellen Unabhängigkeitsbewegungen. Da kann man nicht einfach sagen: „Macht, was ihr wollt.“ Das geht aus chinesischer Sicht nicht und würde der Regierung als totale Schwäche ausgelegt werden. Die chinesische Politik ist sehr geprägt vom Schreckensbild des Zerfalls der Sowjetunion. Außerdem ist das Thema emotional sehr aufgeladen. Schon vor Xi Jinping habe ich selbst aus aufgeklärten Kreisen gehört: „Wenn ein Chinese sagt, er will Unabhängigkeit, dann ist er kein Chinese mehr.“ 

Die Unabhängigkeitsfrage wird im Ausland auch oft in Bezug auf die chinesischen Tech-Konzerne gestellt. Kritiker behaupten, die Unternehmen würden letztendlich zur Kommunistischen Partei gehören ... 

Für chinesische Privatunternehmen ist das ein Problem. Alibaba und Tencent sind keine staatlichen Unternehmen. Aufgrund ihrer Größe und Infrastruktur, die sie schaffen und nutzen, sind sie natürlich eng mit dem chinesischen Staat verbandelt. Der Aufstieg von Ma Yún (Jack Ma – Anm. d. Red.) ist aber eine echte Tellerwäscher-Geschichte. Ma war ein Outsider. Je mehr Sie allerdings in China prosperieren und Geld verdienen, desto kritischer werden Sie im Ausland beäugt. Man weiß, dass private Firmen in China nicht gegen den Staat richtig groß werden können. 

Das heißt aber nicht unbedingt, dass der Staat diese Unternehmen umarmt? 

Die chinesische Regierung hat ein sehr ambivalentes Verhältnis zu diesen großen Internetfirmen wie Alibaba und Tencent. Ich glaube, es war der Leiter einer chinesischen Expertengruppe für Innovationsfragen, der im Gespräch sagte: „Wissen Sie, wir würden Ihnen unsere Alibabas und Tencents liebend gern übergeben, wenn Sie uns dafür Ihre Hidden Champions geben.“ 

Oh … 

In einem anderen Fall wurde uns gesagt, dass die chinesische Regierung schon ein Problem mit Alibaba und Co hat. Das sind Privatunternehmen, die unwahrscheinlich viel Macht und Informationen haben. Alibaba und Tencent teilen ihre Daten nur, wenn Druck und Kompensation von ganz oben kommen. Auch bei Huawei bin ich mir bis heute nicht sicher, inwieweit die Bedenken im Ausland nicht total überzogen sind. Der Huawei-Campus in Shenzhen ist so amerikanisch geprägt – da ist eine große Bewunderung für die Vorbilder aus dem Silicon Valley spürbar. Ausgerechnet diesen Unternehmen wird jetzt vorgeworfen, sie wären komplett mit dem chinesischen Staat und Militär verbandelt.

„BYD und Alibaba waren nicht vorgesehen im chinesischen System.“

Wie Sie schon sagten: Ohne den Staat geht es halt in China nicht …

Beim Elektroautohersteller BYD gibt es angeblich eine Abteilung, mit mindestens 50 Leuten, die nichts anderes tut, als zu gucken, welche Provinz welche Regelung zur Förderung von Elektromobilität herausbringt, weil sie davon profitieren wollen. Es wird natürlich versucht, das zu nutzen, was das chinesische System hergibt – unternehmerisch. Deswegen sind das aber nicht alles lupenreine Kommunisten. Wir wissen nicht, wie Ma Yún und andere heute zur chinesischen Regierung stehen. Spricht man mit kleineren Unternehmern, wollen die jedenfalls am liebsten so wenig wie möglich mit der chinesischen Regierung zu tun haben. Ab einer bestimmten Größe können Sie aber nicht mehr ohne die Regierung. Das fängt auf lokaler Ebene an: Sie können nicht einfach jemandem Land abkaufen, sondern müssen zur Lokalregierung gehen. 

Andererseits sind zumindest Alibaba und Tencent inzwischen selbst Großmächte in China … 

Natürlich wissen die Unternehmen auch, dass sie eine gewisse Gefahr für den Staat darstellen. Vermutlich wissen die eine ganze Menge über viele Parteileute, wenn sie wollen. 

Man bildet also eine Art Zweckgemeinschaft? 

Es stimmt jedenfalls definitiv nicht, dass diese Unternehmen alle strategisch aufgebaut worden sind, um der Partei und dem chinesischen Staat zu dienen. Ich würde sagen, viele Unternehmen sind in einem Graubereich gewachsen. Da wurde mit unternehmerischer Initiative etwas ausprobiert. BYD und Alibaba waren nicht vorgesehen im chinesischen System. Als sie irgendwann da waren und Erfolg hatten, hat man sie natürlich im Zweifel in die Strategie integriert. 

Was bedeutet das im Fall der digitalen Währung, an der China gerade bastelt? Gut für Alibaba und Tencent, über die ein Großteil der digitalen Zahlungsströme in China fließt? Oder ein Versuch der Partei, die Kontrolle wiederzuerlangen? 

Unabhängig davon, ob es für die Konzerne gut ist oder nicht, gibt es mindestens zwei Motivationen. Eine Motivation ist anscheinend, dass man Kryptowährungen nicht freien Märkten überlassen will. Der Staat will da sicherlich die Hoheit behalten. Und international könnte es gut für die Währung sein, wenn China in diesem Bereich früh einsteigt. China hat zahlreiche Patente für die gesamte Wertschöpfungskette im Bereich der digitalen Währung angemeldet. 

Sie sprachen gerade von Chinas Bewunderung für unsere Hidden Champions. Zumindest Chinas Elektroautohersteller gelten im Westen wiederum als durchaus konkurrenzfähig ... 

Wobei diese Firmen oft auch mithilfe ausländischer Manager gegründet wurden. China hat das Thema Elektromobilität stärker gefördert als andere Länder und Talente angezogen. Trotzdem gibt es chinesische Forscher, die zu dem Schluss kommen: „Das größte Versagen unserer Industriepolitik betrifft die Solarindustrie und die Elektromobilität. Denn wir wollten Technologieführer werden, aber sind es immer noch nicht.“ Andere, wie Tesla, sind vielleicht doch noch besser. 

Hat Sie eigentlich überrascht, dass Elon Musk mit Tesla mitten im Handelskrieg eine Produktionsanlage in Schanghai hochziehen durfte?

Nein. Die Chinesen wollen keinen Handelskrieg. Wenn sie Elon Musk dazu bringen können, dass er eine Großinvestition in Schanghai macht, ist das ein super Schachzug. Das bringt Geld in die Region und signalisiert gleichzeitig Offenheit. Abgesehen davon genießt Elon Musk in China ziemlich viel Bewunderung.

Dieser Artikel ist in DER AKTIONÄR Nr. 41/2020 erschienen, welches Sie hier als PDF gesamt herunterladen können.

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