Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über Diesel, Fahrverbote, CO2-Grenzwerte oder Ähnliches mit Blick auf die deutsche Autoindustrie gesprochen wird. Der Verbrennertechnologie wird ein nahendes Ende prophezeit. Während die hiesige Autoindustrie angesichts dieser Perspektiven ächzt, kann der Münchener Infineon AG der Umstieg auf die Elektromobilität nicht schnell genug gehen. Denn die ehemalige Siemens-Tochter gehört in vielerlei Hinsicht zu den großen Profiteuren der automobilen Zukunft. Allen positiven Aussichten zum Trotz büßte die Aktie vom Hoch im Sommer bei knapp 26 Euro mehr als 30 Prozent an Wert ein. Umso mehr lohnt sich aktuell ein Blick auf Deutschlands größten Chipkonzern.
Wachstumsgarant E-Mobility
Infineon ist in sämtlichen Disziplinen, die mit elektrischen und autonomen Fahrzeugen zusammenhängen, weit vorne dabei. 65 Prozent des Umsatzes macht Infineon mit Leistungshalbleitern, also Chips für die Stromversorgung. Die Münchener beliefern fast alle Hersteller, sogar den Elektropionier Tesla. Mit anderen Worten: Ohne Infineon-Chips kein E-Auto oder Hybrid. Auch bei der Ladeinfrastruktur und der regenerativen Energieerzeugung ist der Chipspezialist hervorragend positioniert.
Es ist nicht der Ausbau der Elektromobilität allein, der die Umsätze von Infineon in den nächsten Jahren in die Höhe schnellen lässt. Es kommen vor allem mehr Halbleiter zum Einsatz, was den Umsatz je Fahrzeug vervielfacht. In einem konventionellen Verbrennerfahrzeug stecken derzeit Leistungshalbleiter im Wert von 17 Dollar. Beim Übergang zum Hybrid-Fahrzeug steigt der Leistungshalbleiter-Content um knapp das 19-fache auf 317 Dollar. In Summe klettert der Chip-Anteil von 375 Dollar auf 740 Dollar je Fahrzeug. Somit wird deutlich, wie wichtig der Stammbereich Leistungshalbleiter für Infineon künftig wird. Das Gesamtbild wird sogar noch beeindruckender, wenn man voll batteriebetriebene Fahrzeuge als Referenz nimmt. In Teslas und Tesla-Jägern schlagen Power-Chips für 455 Dollar pro Auto zu Buche, was gegenüber Verbrennern einem Faktor von 26 entspricht. Der bevorstehende Ausbau der Elektromobilität auf 21 Millionen Hybrid- und Elektrofahrzeuge bis 2025 ist für Infineon wie ein Fahrplan zu kräftigem Wachstum.
Mehr Ladestationen, mehr Umsatz
Elektromobilität ist allerdings nur möglich, wenn die entsprechende Ladeinfrastruktur hochgezogen wird. Deren Ausbau beflügelt Infineon zusätzlich, da sich auch in Stromtankstellen Leistungshalbleiter befinden. Je höher die Leistung, desto höher ist auch der Halbleiterwert für Infineon. In Schnellladesäulen mit 350 Kilowatt Leistung, mit denen in zehn Minuten 200 Kilometer Fahrleistung getankt werden können, schlagen entsprechende Halbleiter mit stolzen 3.500 Dollar durch. Bei 100 Kilowatt Leistung und 20 bis 25 Minuten Tankzeit für 200 Kilometer sind es „nur“ 200 Dollar. Damit die Elektromobilität auch nachhaltig ist, muss der Strom, der Batterien speist, regenerativ erzeugt werden. Auch bei der Stromerzeugung aus Wind und Sonne ist Infineon mit Leistungshalbleitern aktiv. Somit ist der DAX-Konzern an entscheidenden Stellen der Elektromobilität – bei Erzeugung, Übertragung und Umwandlung in Fahrleistung – tätig.
Der zu erwartenden hohen Nachfrage nach Leistungshalbleitern trägt Infineon mit einem Ausbau der Kapazitäten Rechnung. Am Standort Villach entsteht für 1,6 Milliarden Euro eine weitere Power-Chip-Fertigung mit einem Umsatzpotenzial von 1,8 Milliarden Euro pro Jahr. Produktionsstart der neuen Chip-Fabrik ist für Anfang 2021 vorgesehen.
Intelligente Assistenten
In einem Atemzug mit Elektroautos werden im Regelfall auch autonome Fahrzeuge genannt. Infineon profitiert auch davon, dass – nicht nur in selbstfahrenden Fahrzeugen – immer mehr elektronische Helfer verbaut werden. Kameras, Radar-, Lidar-Sensoren, Ultraschall-Sensoren et cetera mit deren Hilfe sich die Fahrzeuge in der Umgebung orientieren und sich selbst oder den Fahrer vor Gefahren warnen. Ähnlich wie bei den Leistungshalbleitern wird der Zielmarkt für Infineon mit steigendem Automatisierungsgrad größer. Aktuell besitzt ein gut ausgestattetes Fahrzeug mit Cruise Control und Lane Assist einen Automatisierungsgrad Level 2 und hat damit Sensor- und Aktuator-Chips im Wert von 160 Dollar unter der Haube. Bei Vollautomatisierung wird der Halbleiterinhalt einen Wert von 930 Dollar erreichen.
Aktie ist ein Kauf
Angesichts dieser Perspektiven ist Infineon nach dem Rückgang der vergangenen Wochen ein spekulativer Kauf. „Spekulativ“ aber nur angesichts der am 12. November anstehenden Zahlen, da einige Branchenvertreter zuletzt eher enttäuscht hatten. Jedoch hat der Infineon-Kurs zwischenzeitlich viel an Enttäuschungspotenzial vorweggenommen. Zur Sicherheit sollte man aber nicht mit der vollen Positionsgröße einsteigen. Es bietet sich an, ein Drittel der geplanten Positionsgröße zum aktuellen Kurs zu kaufen, den Rest im Anschluss an die Zahlen. Sollte die Aktie wider Erwarten danach fallen, sollten im Abstand von zehn Prozent Abstauberlimits platziert werden. Stopp dann zehn Prozent unter dem Mischkurs der vollen Position.