Kaum etwas beschäftigt Anleger auf der ganzen Welt so sehr wie das Thema Zinsen. Dabei gehen die Aussagen bei der Frage, ob weitere Zinsanhebungen sinnvoll sind oder zeitnahe eine Zinssenkung notwendig ist, um die Risiken für das Finanzsystem zu minimieren, stark auseinander. Auch Europas Top-Banker, wie der französische Notenbank Chef und der deutsch Bundesbank-Präsident, sind verschiedener Meinung.
Der französische Notenbankchef François Villeroy de Galhau hat sich erneut gegen eine weitere Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgesprochen. "Seit der Ratssitzung sehen wir gute Inflationszahlen und zugleich einen starken Anstieg der langfristigen Zinssätze", sagte das EZB-Ratsmitglied dem "Handelsblatt". "Deshalb glaube ich, dass es derzeit keine Rechtfertigung für eine weitere Anhebung der EZB-Zinsen gibt." Die jüngsten Zinserhöhungen würden erst mit Verzögerung ihre Wirkung entfalten.
Beim Kampf gegen die Inflation sieht der französische Notenbankchef die Euro-Zone auf einem guten Weg. "Nach heutigen Daten gehen wir klar von einer Rückkehr der Inflation bis 2025 zum Zwei-Prozent-Ziel aus", sagte er. Im September war die Jahresinflationsrate auf 4,3 Prozent gefallen.
Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hat sich hingegen skeptischer mit Blick auf die Inflationsbekämpfung gezeigt. "Mittlerweile sinkt die Inflation zwar wieder, besiegt ist das 'gierige Biest' aber noch nicht", sagte Nagel laut Redetext am Donnerstag in Karlsruhe. Er verwies auf die hohe Kernrate, bei der die schwankungsanfälligen Energie- und Nahrungsmittelpreise herausgerechnet werden. "Sie gibt ein aufschlussreiches Bild über den zugrundeliegenden Inflationstrend, und der ist offensichtlich noch nicht gebrochen", so Nagel.
Die Schwäche Deutschlands, dessen Wirtschaft dieses Jahr wohl schrumpfen wird, hält Villeroy de Galhau für ein vorübergehendes Phänomen. "Deutschland war stärker von russischem Gas abhängig und von Exporten nach China, dessen Wachstum enttäuschend ist", sagte er. "Aber auf lange Sicht behält das deutsche Modell erhebliche Pluspunkte, darunter die Stärke seines Mittelstands."
US-Notenbank ebenfalls in der Zwickmühle
Die Fed hat Ende September verkündet, zunächst eine Zinspause einzulegen, nachdem seit März 2022 insgesamt elf Zinsanhebungen stattgefunden haben. Es zeigt sich ein gemischtes Konjunkturbild in den USA, was es für die Notenbank noch schwieriger macht, da sie sehr genau abwägen muss. Anleger müssen weiterhin wie die Notenbanken selbst "auf Sicht fahren" und die weitere Entwicklung der nationalen und internationalen Konjunktur genau beobachten.
Mit Material von dpa-AFX