Hohe Gaspreise in Europa haben Covestro das Leben schwer gemacht. Mittlerweile trüben zudem die hohe Inflation und finanzielle Sorgen die Lust der Verbraucher auf Elektronik, Haushaltsgeräte und Autos, und auch der Häusermarkt bekommt in vielen Ländern Risse - alles wichtige Endmärkte für den DAX-Konzern, der morgen seine Bücher öffnet.
Das ist los bei Covestro
Wie die gesamte Chemiebranche bekommt Covestro wegen Russlands Krieg gegen die Ukraine den stark gestiegenen Erdgaspreis zu spüren. Mittlerweile sorgen die Pläne der Politik, Gas- und Energiepreise zu deckeln, für ein wenig Entspannung. Trotz des Rückfalls verweilt der europäische Erdgaspreis aber auf hohem Niveau.
Ungewiss bleibt auch, wie sich die Versorgung im Winter entwickeln wird. Sollte es über einen längeren Zeitraum sehr kalt werden und entsprechend viel Gas für das Heizen von Wohnungen und Häusern benötigt werden, könnte es durchaus zu Engpässen und Rationierungen in der Industrie kommen.
Covestro stellt derweil die Erzeugung von Dampf, der die Hitze für chemische Produktionsprozesse liefert, wo möglich auf Öl um. Das ist kurzfristig aber nur bedingt machbar. Zudem ist Erdgas als Rohstoff für die Produktion noch wichtiger.
Neben den Energiepreisen rückt auch das immer trübere Konjunkturumfeld in den Fokus. Denn werden weniger Autos, Laptops, Smartphones, Kühlschränke und Möbel gekauft und lässt die Bautätigkeit nach, bekommt Covestro das zu spüren. So beliefert der Dax-Konzern mit seinen Schaumstoffvorprodukten, harten Kunststoffen und Lackzusätzen all diese Branchen.
Wegen der hohen Energiekosten und der gesamtwirtschaftlichen Eintrübung musste Covestro-Chef Markus Steilemann im Sommer beim Jahresausblick zurückrudern. Seither steht für 2022 ein Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von 1,7 bis 2,2 Milliarden Euro im Plan, am oberen und untere Ende der Spanne jeweils 300 Millionen Euro weniger als zuvor angepeilt. Der freie operative Mittelzufluss, also das Geld, was im Tagesgeschäft letztendlich bei Covestro hängen bleibt, wird zwischen 0 und 500 Millionen Euro erwartet.
Für das dritte Quartal avisierte Steilemann im Sommer ein operatives Ergebnis von 300 bis 400 Millionen Euro. Laut dem Analysten Chetan Udeshi von der US-Bank JPMorgan stellte der Konzernchef in einem Gespräch Ende September angesichts einer schwierigen Geschäftsentwicklung aber auf das untere Ende der Gewinnziele für das dritte Quartal sowie für das Gesamtjahr ab. Zum Vergleich: zum Halbjahr stand bereits ein operatives Ergebnis von 1,35 Milliarden Euro in den Büchern.
Das sagen die Analysten
Analysten rechnen für den Zeitraum Juli bis September laut vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Daten im Vergleich zum Vorjahreszeitraums mit einer Umsatzstagnation bei rund 4,3 Milliarden Euro. Dabei dürfte Covestro vom schwachen Eurokurs profitiert haben, denn Experten erwarten einen Absatzrückgang sowie teils niedrigere Verkaufspreise. Das operative Ergebnis dürfte auch wegen der hohen Gaspreise um fast zwei Drittel auf 320 Millionen Euro gesunken sein.
Für 2022 haben die Analysten im Mittel ein operatives Ergebnis von 1,83 Milliarden Euro auf dem Zettel, nach 3,1 Milliarden im vergangenen Jahr. Beim freien operativen Mittelzufluss dürfte demnach nur noch ein kleines Plus von 29 Millionen Euro stehen - das wären 1,4 Milliarden weniger als im vergangenen Jahr.
Analyst Geoff Haire von der Schweizer Großbank UBS hält die Konsensschätzung für das abgelaufene Quartal sowie für das Gesamtjahr für zu optimistisch. Er kalkuliert für Juli bis September mit einem operativen Ergebnis von 300 Millionen Euro und verweist auf eine geringere Profitabilität in der Sparte Performance Materials rund um das Massengeschäft mit Standard-Polycarbonaten, Standard-Urethankomponenten sowie Basischemikalien.
Hinzu komme vermutlich ein Absatzrückgang im Segment Solutions & Specialties, in dem Covestro Spezialprodukte wie maßgeschneiderte Urethankomponenten, Beschichtungen und technische Kunststoffe anbietet, die höhere Gewinnmargen ermöglichen als Standardprodukte.
Auch Analystin Georgina Fraser von der Investmentbank Goldman Sachs sieht den operativen Gewinn im dritten Quartal lediglich am unteren Ende der Unternehmensprognose. Neben einer schwachen Nachfrage und höheren Kosten verweist sie auf die gestoppte Produktion des Polyurethan-Vorprodukts TDI am Standort Dormagen.
So sei wegen der hohen Gaspreise eine TDI-Produktion in Europa für Unternehmen ihrer Einschätzung nach nicht mehr wirtschaftlich gewesen. Allerdings hätten die Unternehmen die Verkaufspreise - auch wegen des geringeren Angebots - mittlerweile stark anheben können, sodass sich die Lage bei TDI wieder verbessert haben dürfte.
Die Goldman-Sachs-Expertin sieht Covestro zudem - neben der BASF - unter den deutschen Chemiekonzern als größten Profiteur der vorgeschlagenen Gaspreisbremse.
Insgesamt halten Analysten die Risiken für die Covestro-Aktien nach dem Kursrutsch der vergangenen Monate für begrenzt. Im Durchschnitt sehen sie mit einem Kursziel von knapp 40 Euro sogar weiteres Erholungspotenzial. Dabei votieren sechs der 14 von dpa-AFX seit der Vorlage der Halbjahreszahlen erfassten Experten mit "Kaufen" und acht sagen "Halten".
Das macht die Aktie
Aufkommende Konjunktursorgen hatten die Papiere des Dax-Konzerns schon in den Monaten vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine tendenziell belastet, mit Kriegsbeginn begann dann eine Talfahrt angesichts nach oben schnellender Energiepreise und Befürchtungen eines Gasmangels. Mit gut 54 Euro ins Jahr gestartet, halbierte sich der Kurs bis Ende September fast, bevor konkreter werdende Pläne in puncto Energie- und Gaspreisdeckel für ein wenig Entspannung sorgen.
Mit einem Kurs von aktuell etwa 35,50 Euro hat sich das Jahresminus auf gut ein Drittel verringert, was einen Platz im hinteren Drittel im Feld der 40 DAX-Konzerne bedeutet. Der deutsche Leitindex hat 2022 bislang ein Fünftel an Wert verloren. Immerhin, die alten Tiefststände aus den Jahren 2015 und 2016 sowie dem Corona-Crash-Jahr 2020 von unter 25 Euro wurden dieses Mal von Covestro nicht erreicht.
Für Anleger der ersten Stunde - Bayer hatte die Papiere der damaligen Konzerntochter im Herbst 2015 zu 24 Euro das Stück an die Börse gebracht - summieren sich die Gewinne inklusive der seither gezahlten Dividenden indes immer noch auf 100 Prozent.
Aktionäre, die erst während des Booms 2017 oder etwas später auf den Zug aufgesprungen sind, dürften hingegen weniger glücklich sein, denn sie sitzen auf hohen Buchverlusten: Nach dem Börsengang hatte sich der Aktienkurs im Sog der stark laufenden Geschäfte vervierfacht - zu Beginn des Jahres 2018 kostete das Papier fast 96 Euro. Seit dem Hoch von damals steht aktuell noch ein Minus von fast zwei Dritteln zu Buche.
Mutige mit einem langen Atem können weiterhin bei der immer noch günstig bewerteten Covestro-Aktie auf eine nachhaltige Erholung setzen. Der Stoppkurs kann vorerst noch bei 26,00 Euro belassen werden.
Mit Material von dpa-AFX