Das neue Börsenjahr beginnt ähnlich wie das abgelaufene. Corona ist weiterhin das dominante Thema, Lieferketten-Probleme werden noch einige Monate anhalten. Noch immer ruht die Hoffnung auf einer Rückkehr zur Normalität und einer fortgesetzten Erholung der Weltwirtschaft. Doch mit der Inflation ist ein weiteres Thema in den Vordergrund gerückt. Für deutsche und europäischen Aktien sind Experten insgesamt zuversichtlich. Ein Blick in die Glaskugel.
Selbst wenn die Inflation nicht weiter anzieht, wird sie wohl auf erhöhtem Niveau bleiben. Ursachen sind laut Chefvolkswirt Carsten Mumm von der Privatbank Donner & Reuschel die sich nur langsam abbauenden Lieferkettenstörungen, hohe Energie- und Rohstoffpreise, der Fokus der Politik auf höhere Löhne sowie staatliche Investitionsoffensiven. Dabei stecken die Währungshüter laut den Experten des Vermögensverwalters Fiduka in einer Zwickmühle. "Zum einen rechtfertigt eine pandemiegeschwächte Weltwirtschaft weiterhin geldpolitische Unterstützung, zum anderen steigen die Risiken einer unkontrollierten Inflationsentwicklung."
Das spiegelt sich in der Aktienauswahl der Vermögensverwalter wider. Zahlreiche Häuser favorisieren Substanzwerte mit vergleichsweise günstiger Bewertung. "Vieles spricht dafür, dass Value-Aktien 2022 besser laufen sollten", meint etwa Stefan Breitner, Leiter des Bereichs Research & Portfoliomanagement der Fondsgesellschaft DJE.
Die Investmentexperten Pascal Blanque und Vincent Mortier vom französischen Vermögensverwalter Amundi empfehlen solide Unternehmen mit inflationssicheren Geschäftsmodellen. Vorsichtig sind sie dagegen bei Wachstumsaktien, die in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind. Sollte die Inflation hoch bleiben und die Notenbanken geldpolitisch stärker bremsen als geplant, könnten hoch bewertete Wachstumstitel weiter unter Druck geraten.
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Dividenden-Stars im Fokus
Die Einschätzungen der Experten sprechen tendenziell für den deutschen Aktienmarkt. Traditionelle Branchen sind in dem auf 40 Werte gewachsenen Leitindex DAX hoch gewichtet, während Technologiewerte eine eher untergeordnete Rolle spielen.
Auch andere Aspekte sprechen für deutsche Aktien. So könnten die prominent im DAX vertretenen Autowerte BMW, Daimler, Porsche SE und Volkswagen von einer Besserung der momentanen Chipknappheit profitieren, merkt Kapitalmarktanalyst Robert Halver von der Baader Bank an.
Neben Value-Werten haben auch Titel mit hoher Dividende Chancen. Schließlich knüpften die zu erwartenden Ausschüttungen an das hohe Niveau vor Corona an, betont Halver auch mit Blick auf den Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50. Mit Allianz, Telekom, Deutscher Post und Munich Re kommen einige der zuverlässigsten und bedeutendsten Dividendenzahler des Index aus Deutschland.
Konjunkturerholung ab dem Frühjahr?
Im Jahresverlauf könnte dann eine besser laufende Wirtschaft Rückenwind verleihen. "Nach winterlich-viraler Schwäche dürften die ab Frühjahr einsetzende weltweite Konjunkturerholung die typisch zyklisch dominierten Aktien in Europa begünstigen und ihnen Nachholpotenzial verleihen", prophezeit Halver.
Und: Während die US-Währungshüter bei der Geldpolitik auf die Bremse treten und im neuen Jahr den Leitzins wohl schrittweise anheben werden, hat die Europäische Zentralbank keine Eile, die Zügel anzuziehen. Solange die Inflation nicht noch weiter steigt, dürfte sich daran nichts ändern. "Die Geldpolitik in Europa bleibt fast das gesamte nächste Jahr über auf dem Gaspedal", erwartet Chefvolkswirt Ulrich Kater von der Deka.
Angesichts der Virusvariante Omikron, zunehmenden geopolitischen Spannungen und der Inflationsentwicklung gingen jedoch viele Beobachter derzeit von erhöhten Risiken aus, gibt Chefstratege Robert Greil von der Privatbank Merck Finck zu bedenken. Das ähnele den eher zurückhaltenden Prognosen zu Beginn des Jahres 2021, das dann aber deutlich besser als angenommen verlaufen sei. "Vielleicht werden die Marktteilnehmer am Ende des kommenden Jahres erneut überrascht sein."
Die europäischen Aktien haben sich 2021 trotz aller Unwägbarkeiten beachtlich geschlagen. Der DAX erklomm im November ein Rekordhoch von 16.290 Punkten, der EuroStoxx markierte immerhin den höchsten Stand seit Ende 2007. Mittlerweile sind die Kurse beider Indizes zwar etwas gefallen, für den DAX steht 2021 aber immer noch ein Plus von 15,8 Prozent zu Buche. Beim EuroStoxx sind es fast 20 Prozent.
"Auf dem aktuellen Niveau ist bereits viel Positives eingepreist", stellen denn auch die Anlageexperten der Fiduka fest. So kontinuierlich wie bis November dieses Jahres dürfte es daher 2022 wohl nicht mehr nach oben gehen. Carsten Mumm von der Privatbank Donner & Reuschel rechnet vielmehr "in den kommenden Monaten immer wieder mit Rückschlägen".
DAX-Schätzungen gehen weit auseinander
Auch der technische Analyst Jörg Scherer von HSBC geht von einem eher holperigen Verlauf aus. "Im saisonal besonders rückschlagsgefährdeten Frühjahr" hält er einen Rückgang des DAX in Richtung der Schlüsselunterstützung bei 14.900 Punkten für möglich. Hält diese Marke nicht, könnte ein Test der "ehemaligen Ausbruchsmarken" von 13.500 und 13.800 Punkten anstehen. Hier entscheide sich dann, wie es weitergehen werde.
"Diese Schlüsselzone dürfte letztlich die Schwelle zwischen einem gesunden Kräftesammeln einerseits und einer scharfen Korrektur mit Crashpotenzial anderseits markieren", so Scherer. Das gelte auch für den EuroStoxx 50, bei dem um die 3.900 Punkte eine wichtige Unterstützungszone liege.
Einen Trost für Anleger hat Scherer aber doch: "Aus der Höhe der Tradingrange ergibt sich ein rechnerisches Kursziel von 16.700 Punkten, welches noch ein wenig 'Luft nach oben' lässt". Mit diesem DAX-Ziel für 2022 liegt Scherer auf dem durchschnittlichen Niveau, das knapp 16.800 Punkte beträgt.
Im Detail gehen die Schätzungen der Analysten, wo der DAX in einem Jahr steht, allerdings weit auseinander: Die Bandbreite reicht von 15.000 (Bank of America) bis 18.000 Punkte (DZ Bank, M.M.Warburg, Unicredit) und zeugt entsprechend von erhöhter Unsicherheit. (Mit Material von dpa-AFX)