Die Masterflex SE hat einen Lauf. Nach mehreren Quartalen mit guten Zahlen in Folge stellt der Hightech-Schlauch-Spezialist nun die Weichen für die Zukunft. Mit der Strategieerweiterung namens HERO@ZERO startet die AKTIONÄRs-Empfehlung eine Wachstumsinitiative und ebnet den Weg in die Kreislaufwirtschaft. Im Interview mit DER AKTIONÄR verrät CEO Andreas Bastin weitere Details zu HERO@ZERO und der Vision einer vollständigen Kreislaufwirtschaft.
DER AKTIONÄR: Herr Bastin, sie haben kürzlich die Strategieerweiterung HERO@ZERO vorgestellt und in diesem Zusammenhang auch eine Kooperation mit dem Recycling-Spezialisten Remondis geschlossen. Können Sie zunächst etwas detaillierter darauf eingehen, was es mit HERO@ZERO auf sich hat?
Andreas Bastin: Die Idee für HERO@ZERO ist eine konsequente Weiterentwicklung unseres Geschäftsmodells, die sich durch Gespräche mit Kunden, Lieferanten und Partnern aus Wissenschaft, Chemie und Entsorgung ergeben hat. Vor allem aber bietet uns die Nachnutzungsphase im gesamten Lebenszyklus unserer Produkte ökonomisch neue Chancen, abgesehen von der ökologischen Notwendigkeit. Unsere Vision mit HERO@ZERO ist es, unsere Produkte in eine echte Kreislaufwirtschaft zu transformieren.
Demnach ist HERO@ZERO auch als Erweiterung Ihres Geschäftsmodells einzustufen?
Dr. Andreas Bastin: Richtig. Bei HERO@ZERO handelt sich in erster Instanz um eine Erweiterung um Services und Dienstleistungen rund um das Thema digitalisierte Verbindungstechnik mit planbaren Umsatzerlösen und reduziertem Ressourcenverbrauch innerhalb eines kreislaufwirtschaftlich kompletten Gesamtkonzepts. Sprich: Unsere Kunden bekommen von uns die optimale Schlauch- und Verbindungslösung und zusätzlich eine ökonomisch und ökologisch optimierte Rücknahme der Produkte nach der Nutzung in den Materialkreislauf.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung dabei?
Andreas Bastin: Eine entscheidende, denn die Digitalisierung hat längst auch die Welt unserer Schlauchsysteme erfasst. Technologisch sind wir darauf längst vorbereitet. Mit unserer digitalen Schlauchwelt AMPIUS haben wir die dafür notwendige Datenplattform inklusive eines über mehrere Jahre aufgebauten Datenschatzes an Lebenszyklusinformationen unserer Schlauchsysteme bereits einsatzfähig.
Der Vorstoß Richtung Kreislaufwirtschaft hat in erster Linie einen ökologischen Hintergrund?
Andreas Bastin: Die Ökologie steht zunächst einmal im Vordergrund. Der Übergang zur Kreislaufwirtschaft hat aber enorme volkswirtschaftliche und auch ökonomische Bedeutung für die Gesellschaft und die Unternehmen. Die zurückliegende Krise hat nicht zuletzt die Endlichkeit unserer Ressourcen- und Wertschöpfungsketten aufgezeigt. Die Ressourcenknappheit macht den Übergang von einer Wegwerf-Gesellschaft in eine nachhaltige und schadstofffreie Kreislaufwirtschaft schlichtweg notwendig.
Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft wird für die Unternehmen in den nächsten Jahren ein kritischer Erfolgsfaktor im Wettbewerb werden. Und das nicht nur im Kontext des Klima- oder Umweltschutzes, sondern es wird das Wirtschaftswachstum und auch die Beschäftigung beeinflussen. Hinzu kommt der regulatorische Druck auf die Unternehmen. Mit HERO@ZERO leisten wir also einen wichtigen Beitrag und stellen uns vor allem zukunftssicher auf.
Was heißt regulatorischer Druck?
Andreas Bastin: Die Unternehmen, unsere Kunden, haben nicht nur einen Eigenantrieb zu nachhaltigen Geschäftspraktiken, sondern werden auch von den Regierungen für die Schaffung einer nachhaltigen Wirtschaft gewissermaßen gedrängt. Das geschieht durch die Erhöhung des regulatorischen Drucks. Dadurch entsteht ein Katalysator für unsere Kunden, ihre Produkte neu zu bewerten und nachhaltige Geschäftspraktiken zu fördern. Die EU ist dabei ein Vorreiter.
Ende 2022 gab es bereits mehr als 1.100 aktive Rechtsvorschriften zur Kreislaufwirtschaft, die jeden Schritt der Produktkette betreffen, weitere Vorschläge sind in Vorbereitung. Das betrifft aktuell allein in der EU rund 340 aktive Gesetze in 44 europäischen Ländern.
Und weitere werden folgen?
Andreas Bastin: Man kann davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren eine Reihe von weiteren Gesetzen und Vorschlägen mit großer Wirkung quer durch sämtliche Branchen anstehen. Hier geht es unter anderem um EU-Vorschläge für Mikroplastik, Zielvorgaben für Textil- und Lebensmittelabfälle oder aufgrund aktueller Rechtsfälle um PFAS-Chemikalien. Diesem regulatorischen Druck kann man sich nicht entziehen.
Die Kooperation mit Remondis ist ein erster Schritt, das Angebot zu komplettieren?
Andreas Bastin: Genau. Remondis ist seit vielen Jahren ein Spezialist für die Rückgewinnung wertvoller Rohstoffe. Entscheidend für Masterflex ist, dass Remondis bereits seit vielen Jahren im Kunststoffrecycling tätig ist. Wir ergänzen uns mit Blick auf die notwendigen Elemente in einer kreislaufwirtschaftlichen Prozesskette optimal. Masterflex bietet mit dem AMPIUS-System den digitalen Zwilling der Schlauch- und Verbindungssystem und Remondis ergänzt die fehlenden Kompetenzen in der Prozesskette für Logistik, Rücknahme und Materialaufbereitung. Gemeinsam wollen wir für Kunden und Partner attraktive, kreislaufwirtschaftliche Geschäftsmodelle entwickeln.
Welche Investitionen sind seitens Masterflex hier in den nächsten Jahren notwendig?
Andreas Bastin: Wir investieren in diese Transformation bereits seit Jahren. Wir haben die Funktionen, die Schnittstellen und die Leistungsfähigkeit unserer digitalen Schlauchwelt AMPIUS stetig ausgebaut. Das umfasst sowohl die Identifikationstechnik am Schlauch als auch unser AMPIUS-Schlauchmanagementsystem als zentrale Datenplattform für alle Stakeholder in der Kreislaufwirtschaft. Diese Investitionen laufen weiter. So wie bisher werden wir auch weiterhin mit Augenmaß, gemäß der Marktmöglichkeiten und -anforderungen sowie unserer wirtschaftlichen Möglichkeiten investieren. Hier zahlt sich unsere Innovationsfreude und marktseitige Weitsicht aus, die mittlerweile in der Masterflex-DNA fest verankert ist.
Können sie zum Thema Kreislaufwirtschaft ein paar konkrete Zahlen nennen?
Andreas Bastin: Dazu gibt es unterschiedliche Studien bzw. Schätzungen. Weltweit werden rund 90 Prozent der Materialien, die gewonnen und anschließend verwendet werden, weggeworfen. Es herrscht also ein eklatanter Mangel an Kreislaufwirtschaft in faktisch allen Bereichen. In der für uns relevanten Welt der Kunststoffe werden weltweit weniger als 10 Prozent recycelt. In den USA landen 73 Prozent der Kunststoffabfälle auf Deponien, nur 5 Prozent werden recycelt. In der EU liegt die Recyclingquote immerhin bei 14 Prozent. Diese niedrigen Raten der Kreislaufwirtschaft bieten eine große Marktchance.
Wie groß ist diese Marktchance?
Andreas Bastin: Es gibt hier mehrere Modellierungen und Marktprognosen. Das Beratungshaus Accenture zum Beispiel schätzt, dass der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft bis 2030 eine globale Wachstumschance von 4,5 Billionen Dollar und bis 2050 sogar von 25 Billionen Dollar bietet. Man geht dabei davon aus, dass der Übergang zur Kreislaufwirtschaft eine Veränderung der Geschäftsmodelle mit sich bringen wird.
Dazu gehören Sharing-Plattformen, der Ersatz von Eigentumsmodellen durch Product-as-a-Service, die Verlängerung der Produktlebensdauer, der Aufbau von Kreislauf-Lieferketten und die Gewährleistung von Rückgewinnung und Recycling. Masterflex wird sich hier aktiv einbringen.
Masterflex ist auf die bevorstehenden regulatorischen Umwälzungen mit Blick auf die Kreislaufwirtschaft gut positioniert und befindet sich mit der Anpassung des Geschäftsmodells auf dem Weg zu einem „Product-as-a-Service“-Unternehmen. Mit Blick auf die Bewertung kommt die Aktie aktuell auf ein KGV von 13 für das laufende Jahr. Gemessen an den Bewertungsrelationen, die zuletzt bei M&A-Transaktionen in der Branche bezahlt wurden, hat die Aktie trotz der guten Kursentwicklung von knapp 40 Prozent im laufenden Jahr noch immer Potenzial nach oben.