Zum richtigen Zeitpunkt die richtige Aktie: Das ist die Spezialität von Joel Tillinghast. Peter Lynch bezeichnet ihn sogar als den größten und erfolgreichsten Stock-Picker aller Zeiten. Für Fidelity betreut er Fonds in Milliardenhöhe. DER AKTIONÄR hat ihn interviewt.
DER AKTIONÄR: Die Fed hat die erwartete Zinspause eingelegt, will aber noch zweimal erhöhen. Wie schätzen Sie die Situation mit Blick auf die weitere Entwicklung der Märkte ein?
Joel Tillinghast: Die Wirtschaft arbeitet mit Vorlauf- und Nachlaufzeiten, daher ist es schwer zu sagen, ob die jüngsten Zinserhöhungen ausreichen werden, um die Inflation wieder auf ein akzeptables Niveau zu bringen. Es ist auch schwer einzuschätzen, was am Markt bereits eingepreist wurde. In diesem Marktumfeld wollen wir Unternehmen besitzen, die höhere Inputkosten an ihre Kunden weitergeben können. Außerdem sollten sie höhere Zinsen verkraften können und überschaubare Verschuldungsniveaus und Fälligkeiten haben. Unternehmen, die nicht diskretionäre und kostengünstige Produkte verkaufen oder wiederkehrende Umsätze haben, sind transparenter als Unternehmen, bei denen das nicht der Fall ist.
Mit Ihrem Fonds haben Sie den S&P 500 in den vergangenen drei Jahrzehnten kontinuierlich outperformt. Wird Ihnen das Kunststück auch in diesem Jahr gelingen? – Verraten Sie uns Ihr Erfolgsgeheimnis?
Die meiste Zeit lief es gut, aber es gab auch einige mittelmäßige Jahre. Ich weiß nie, wie sich ein Jahr entwickeln wird, bis es vorbei ist. Das sind keine Geheimnisse, aber mir hat es geholfen, langfristig zu denken, den Preis mit dem Wert zu vergleichen und stets viele Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.
Peter Lynch hat maßgeblich dazu beigetragen, Sie zu Fidelity zu bringen. Würden Sie ihn als Ihren Mentor bezeichnen?
Ohne Peter wäre meine Karriere nicht annähernd so erfolgreich gewesen. Ich habe viel von ihm gelernt.
„Überlegen Sie, wo Sie sich mit Ihrem Wissen und Ihren Fähigkeiten einen Vorteil verschaffen können.“
In Ihrem Buch „Alles, was Sie über Stock-Picking wissen müssen“ sprechen Sie von fünf Investment-Fehlern, die man vermeiden muss, wenn man erfolgreich investieren will. Welche Fehler sind das, und können Sie uns diese kurz skizzieren?
Die fünf Fehler sind: (a) emotional zu investieren und nicht darüber nachzudenken, warum man von Investitionen profitieren könnte, (b) in Unternehmen zu investieren, die man nicht versteht, (c) mit Betrügern und Idioten zu investieren, (d) in trendige, schnelllebige Standardunternehmen mit zu hohen Schulden zu investieren und (e) mehr zu bezahlen, als ein Vermögenswert wert ist – oder überhaupt nicht über seinen Wert nachzudenken.
Was war der größte und damit auch teuerste Fehler, den Sie je gemacht haben?
HealthSouth war für mich die größte Katastrophe. Ich hätte auf den Free Cash Flow achten sollen und nicht auf die bereinigten Gewinnprognosen. Das Management war zwar charmant, hat aber auch einige zwielichtige Dinge getan.
Machen Sie, wie Warren Buffett, einen Bogen um gewisse Branchen, weil Sie deren spezifische Marktgegebenheiten nicht hinreichend durchdringen?
Man sollte nie investieren, wenn man die wirtschaftlichen Treiber eines Unternehmens nicht fünf oder zehn Jahre vorhersagen kann. Manche Bereiche sind einfach zu wettbewerbsintensiv oder zyklisch, um verlässliche Prognosen zu treffen. Andere, wie zum Beispiel die Biotech-Branche, sind stark von ihrer Entwicklung abhängig und können sehr unterschiedliche Ergebnisse erzielen.
Worauf legen Sie mehr Wert: Zahlen und Fakten, oder Psychologie?
Fehler beim Investieren können durch falsche Analysen ODER Fehlverhalten entstehen, daher muss man auf beides achten. Aber ohne konkrete Daten weiß man zum Beispiel nicht, ob es eine gute Idee ist, Aktien zu kaufen, die in den Schlagzeilen sind, oder nicht. Ohne Zahlen kann man den Wert nicht einschätzen.
Was war Ihr bester Deal? Und womit haben Sie richtig viel Geld verbrannt?
Monster Beverage hat sich spektakulär entwickelt und wird jetzt zum 1.400-Fachen des Kaufpreises gehandelt, auch wenn das über 20 Jahre gedauert hat. HealthSouth war das schlimmste Desaster, das ich je erlebt habe.
Ändern die derzeitigen wirtschaftlichen Gegebenheiten mit hoher Inflation, wohl weiter steigenden Zinsen und einer gewissen Rezessionswahrscheinlichkeit grundsätzlich etwas an Ihrer Anlagestrategie?
Die aktuellen Bedingungen ändern nichts an meinem Vorgehen, aber sie ändern meine Annahmen für die Zukunft. Wenn die Inflation höher ist, muss ich die Gewinne und Renditen sowohl nominal als auch „real“, also inflationsbereinigt, analysieren. Die nominalen Zins- und Diskontsätze werden höher sein, selbst wenn die realen Zinssätze konstant bleiben. Ich bin immer auf der Suche nach Unternehmen, die sich gut entwickeln werden, auch wenn meine Annahmen oft völlig falsch sind.
Welche Aktien und Branchen sind in der derzeitigen Situation besonders attraktiv?
Die stabileren Bereiche des Gesundheitswesens profitieren von einem stetigen Nachfragewachstum und kommen gut mit der Inflation zurecht. Energieunternehmen sind unbeständiger, aber viele zahlen hohe Dividenden und haben starke Bilanzen. Beim Einzelhandel kommt es aufs Detail an, und es gibt immer ein paar Unternehmen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie den Kunden genau das bieten, was sie wollen.
Welchen übergeordneten (guten) Rat würden Sie unseren Anlegern mit Ihrer jahrzehntelangen Erfahrung noch mit auf den Weg geben?
Überlegen Sie, wo Sie sich mit Ihrem Wissen und Ihren Fähigkeiten einen Vorteil verschaffen können. Kennen Sie Ihre Schwächen und agieren Sie in den Bereichen, wo sie Ihnen am wenigsten schaden können. Ärgern Sie sich nicht über Fehler, sondern lernen Sie aus diesen.
Wer ist Ihrer Meinung nach der bessere Investor? Peter Lynch oder Warren Buffett?
Buffett hat seine erste Aktie gekauft, bevor Peter und ich geboren wurden. Beim Investieren geht es um das Wunder des Zinseszinseffekts, und Buffett hatte mehr Zeit, diesen zu nutzen.
Dieser Artikel ist in DER AKTIONÄR Nr. 26/2023 erschienen, welches Sie hier als PDF gesamt herunterladen können.
von Carsten Kaletta und Lukas Meyer