Mit der auf Rekordniveau gestiegenen Inflation in der Eurozone nimmt auch die Debatte um mögliche Zinserhöhungen durch die Europäische Zentralbank (EZB) Fahrt auf. Im Interview beschreibt Ex-EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, wie er das Handeln der EZB aktuell bewertet, wieso Flexibilität das Gebot der Stunde ist und warum die US-Notenbank kein gutes Vorbild wäre
DER AKTIONÄR: Rasant steigende Energiepreise haben die Inflation in der Eurozone zuletzt auf ein Rekordhoch getrieben – mit 5,9 Prozent war sie im Februar fast dreimal so hoch wie das EZB-Ziel von zwei Prozent. Wann erwarten Sie, dass die Inflation wieder in der Nähe dieses Ziels liegen wird?
JEAN-CLAUDE TRICHET: Ohne Frage befinden wir uns aktuell in eine sehr schwierigen Situation mit einem Gesamtinflation von 5,9 Prozent. Ich achte besonders auf die Kerninflation, also die Inflation ohne Energiepreise, unverarbeitete Lebensmittel sowie Alkohol und Tabak. Aktuell liegen wir mit 2,7 Prozent über dem Zielwert von zwei Prozent. Das zeigt drei Dinge: Zum einen ist die Inflation sehr hoch. Zum zweiten müssen wir vorsichtig damit sein, unsere Inflationserwartungen festzulegen. Insbesondere gilt es in Zeiten hoher Energiepreise Zweitrundeneffekte zu vermeiden, da diese die Kerninflation und die Inflationserwartungen treiben würden. Gerade im Hinblick auf die Verankerung von Inflationserwartungen sollte die EZB wachsam und aufmerksam sein. Für mein Dafürhalten hat der EZB-Rat bei seinem letzten Treffen diese Wachsamkeit mit der Vorverlegung des Enddatums des Erwerbs von Anleihen demonstriert – auch wenn er dafür von einigen kritisiert wurde.